Fachleuten haut’s den Vogel raus ob der Entscheidung des Obersten Amerikanischen Gerichtshofs, nun doch darüber beraten zu wollen, ob Donald J. Trump als Präsident uneingeschränkte Macht und damit die totale Immunität für jegliche von ihm begangenen Straftaten gehabt haben sollte oder nicht. Die Richter hätten sich nicht damit befassen müssen, sie hätten einfach auf die Entscheidung des Berufungsgerichts verweisen können, das Trump die von ihm geforderte Immunität bereits abgesprochen hat. Man muss sich fragen, was wohl hinter dieser Entscheidung steckt, mit der sich das Gremium der Ansicht von Fachleuten nach enorm viel Zeit gelassen hat, wo doch die Zeit mehr denn je drängt …
Wir erinnern uns: Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte vor drei Wochen den Supreme Court gebeten, sich in die Strafsache um seine Immunität im Falle des Aufruhrs vom 6. Januar 2021 einzuschalten und die einstimmige abschlägige Entscheidung des Washingtoner Bezirksgerichts erst mal zu blockieren. »Ein monatelanges Strafverfahren gegen Präsident Trump auf dem Höhepunkt der Wahlsaison«, so schrieben Trumps Anwälte in ihrer Eingabe, »würde Präsident Trumps Möglichkeiten im Wahlkampf gegen Präsident Biden erheblich beeinträchtigen.«1
Zum maßlosen Erstaunen aller einschlägig Bewanderten haben die neun Richter ganze zweieinhalb Wochen gebraucht, um zu dem Entschluss zu kommen, sich nun doch mit der Sache zu befassen. Niemand versteht, was es da derart lang zu überlegen gab. Man hatte aus der Dauer der Diskussion den Schluss gezogen, SCOTUS würde die Entscheidung der unteren Instanz stehen lassen. Von wegen! Und nicht nur wollen die Richter sich mit dem Fall befassen, es soll dies erst in sieben Wochen passieren! Also weitere sieben Wochen bangen Wartens. Das Erstaunen ist groß.
Hayes: Es kann nicht sein, dass die zweieinhalb Wochen brauchen, um dann zu sagen, wir beschäftigen uns mit dem Fall in sieben Wochen. Wie hast du auf den heutigen Beschluss reagiert?
Maddows: Ich meine, du solltest nicht wütend auf dich sein. Ich denke nicht, dass du dich da zu schämen brauchst. Meiner Ansicht nach hielten das alle für die einzige vernünftige Erklärung dafür, warum sie so lange gebraucht haben – dass sie den Fall nicht annehmen würden, dass vielleicht
Samuel Alito oder einer der anderen echten MAGA-Richter sich darüber aufregen, einen zornigen Einspruch einlegen würde, um so viel Zeit wie möglich zu schinden, weil das die letzte Chance ist, den Fall noch einmal hinauszuzögern, was natürlich genau das ist, was Trump will. Ich meine, wenn man dieses Gericht als den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten und als rationalen und anständigen Akteur sieht, dann war das eine durchaus vernünftige Annahme, aber wie sich herausgestellt hat, sind sie das nicht.«
Man muss sich das noch einmal vor Augen halten: Staatsanwalt Jack Smith hatte den Obersten Gerichtshof am 11. Dezember in einem eher ungewöhnlichen Antrag um eine Entscheidung darüber gebeten, ob Donald Trump tatsächlich für mutmaßliche Straftaten während seiner Amtszeit Immunität genießt.2 Genauer gesagt, Smith hatte das Gericht um eine Überprüfung der Entscheidung von Bezirksrichterin Tanya Chutkan ersucht, laut der Trump als ehemaliger Präsident keineswegs immun sei:
Ungeachtet der Immunitäten, die ein amtierender Präsident genießen mag, haben die Vereinigten Staaten stets nur einen Leiter der Exekutive, und diese Position gewährt keine lebenslange ›Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte‹. Für ehemalige Präsidenten gelten keine besonderen Bedingungen hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf Bundesebene. Gegen einen Beklagten kann aller während seiner Amtszeit begangenen Straftaten wegen auf Bundesebene ermittelt, Klage erhoben, ein Verfahren angestrengt werden, das Verurteilung und Bestrafung nicht ausschließt … Die vierjährige Amtszeit als Oberbefehlshaber hat ihm nicht das gottgegebene Recht von Königen verliehen, sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen, der seine Mitbürger unterliegen.«3
Nun, der Supreme Court hatte Jack Smiths Eingabe um sofortige Prüfung abgebügelt. Jetzt will er sich des Falls plötzlich doch annehmen. Muss es da wundern, wenn der Verdacht aufkommt, dass die Republikaner unter den Richtern nach Trumps Pfeife tanzen und den Fall so lange wie nur möglich hinausziehen wollen? Stephen Colbert versucht dem Skandal frustriert eine komische Seite abzugewinnen:
Passen Sie auf: Bereits am – wievielten? – 11. Dezember bat Jack Smith den Obersten Gerichtshof um eine rasche Entscheidung in dieser Angelegenheit, weil der Fall für unsere Demokratie von entscheidender Bedeutung sei. Die Richter meinten darauf: ›Nä, haben wir keine Lust zu!‹ und verwiesen die Angelegenheit an ein Berufungsgericht. Dieses Gericht entschied gegen Trump – mit Nachdruck und einstimmig. Trump legte Berufung ein, und 16 Tage sagt der Oberste Gerichtshof nichts, nullinger – bis gestern. Aber selbst jetzt hat er lediglich Plädoyers anberaumt, für die Woche des 22. April, und erklärten das Verfahren vor der ersten Instanz bis auf weiteres für eingefroren. Das macht insgesamt 19 Wochen Verzögerung! Diese Verfahren sind schon so lange eingefroren, dass sie in Alabama rechtlich als Kinder zählen.«4
Aber Scherz beiseite. Besteht aufgrund der Entscheidung eines so offensichtlich voreingenommenen Gerichts tatsächlich die Möglichkeit, dass die durchgeknallte Orange Präsident auf Lebenszeit wird?
Die wesentliche Frage ist hier nicht, ob der Oberste Gerichtshof entscheiden wird, dass Donald Trump und alle Präsidenten immun gegen Strafverfolgung für Straftaten sind, die sie während ihrer Amtszeit begangen haben. Ich meine, das wäre völlig verrückt, würden die sich hier tatsächlich auf Trumps Seite stellen. Erinnern Sie sich, wie Richterin Florence Pan Trumps Anwalt vor dem Berufungsgericht fragte: ›Wollen Sie mir sagen, dass dieser Typ, dass ein Präsident die Ermordung seiner politischen Rivalen anordnen könnte und dafür strafrechtlich nicht zu belangen sei? Dass das in Ordnung wäre? Dass wir das nicht nur für die Dauer seiner Präsidentschaft, sondern auf Lebenszeit durchgehen lassen müssten? Trumps Anwälte sagen im Grunde genommen: ›Ja.‹
Also die Vorstellung, dass die sich auf seine Seite stellen, wenn es um Immunität geht, ist einfach undenkbar, und außerdem ist die Schlussfolgerung, die wir jetzt ziehen können, ohne das Urteil abwarten zu müssen, dass die dafür sorgen werden, dass Trump nicht vor Gericht gestellt wird. Und wenn die, was unausweichlich ist, entscheiden, dass Präsidenten nach dem Ausscheiden aus dem Amt gegen Strafverfolgung nicht immun sind, bedeutet das für Donald Trump, wenn er bis dahin Präsident ist, dass er das Amt des Präsidenten nie wieder verlassen kann.
Genau.
Und falls er 2028 abgewählt wird, kann er nicht aus dem Amt ausscheiden und hat das Recht, jedes Verbrechen zu begehen, das er nur begehen will, solange er noch Präsident ist, um das Wahlergebnis zu ignorieren und für den Rest seines Lebens an der Macht zu bleiben, weil er ins Gefängnis geht, wenn er abgewählt wird.
Und genau so wird das ausgehen, es sei denn, das Land wählt Trump ab und stimmt im November für Biden und gegen Trump.«
Nehmen Sie zu dieser unerbittlichen Logik noch das, was wir über das Project 2025 erfahren haben, demzufolge die Vereinigten Staaten 180 Tage nach der Wahl ein durch und durch autoritärer, von Trump und seinen korrupten Arschkriechern regierter und reglementierter Staat sein werden, der mit Putin und Konsorten im Schulterschluss gegen Ukraine und gegen NATO ins Feld zieht, dann verstehen Sie vermutlich, worum es hier geht.
Einen Hoffnungsschimmer freilich sieht Michael Popok, ein Anwalt mit Podcasts bei MeidasTouch, der sich nach den ersten Schock über die Entscheidung5 hingesetzt und diese noch einmal mit dem Lausrechen durchgegangen ist. Er meint dabei festgestellt zu haben, dass der Wortlaut, die Art, wie die Richter ihre Entscheidung formuliert haben, eine »geheime Botschaft« enthält, die den Schluss zulässt, dass die Richter im Grunde nur noch zwei Dinge interessieren: zum einen die Unterscheidung zwischen »offiziellen und inoffiziellen Handlungen« eines Präsidenten, zum anderen die Unterscheidung zwischen einem »ehemaligen Präsidenten und einem Präsidenten im Amt«6:
Hier ist Michael Popok, Legal AF. Es ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, die Donald Trump seine Berufung bewilligte, könnte die Voraussetzungen für sein eigenes Verderben enthalten. Mit anderen Worten, der Art und Weise nach, wie der Oberste Gerichtshof das für die Berufung relevante Problem formuliert, und nachdem er so gut wie alle Argumente von Donald Trump zurückgewiesen hat, konzentriert er sich so sehr auf ein sehr spezifisches, gesondertes Problem, über das er nach der mündlichen Anhörung am 22. April entscheiden … und … gegen Donald Trump entscheiden wird.«
Das Gericht, so Popok, habe der Berufung nur in einem einzigen scharf umgrenzten Punkt stattgegeben: »Ob, und falls ja, in welchem Ausmaß, ein ehemaliger Präsident präsidentielle Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung für ein Verhalten genießt, bei dem mutmaßlich offizielle Handlungen während seiner Amtszeit involviert waren.«
Der Berufung wird nur in einer einzigen Frage stattgegeben: »Ob, und falls ja, in welchem Ausmaß, ein ehemaliger Präsident präsidentielle Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung für ein Verhalten genießt, bei dem mutmaßlich offizielle Handlungen während seiner Amtszeit involviert waren.«
Lassen Sie mich Ihnen das aufschlüsseln … Also: Der ehemalige Präsident genießt präsidiale Immunität für offizielle Handlungen. Das ist alles. Das löst das Problem: Wenn der Oberste Gerichtshof so entscheidet, wie er meiner Ansicht nach in dieser eng gefassten Frage entscheiden und damit den Ausführungen und der Urteilsbegründung von Richterin Henderson vom Berufungsgericht und dem Beschluss folgen wird, der schließlich gegen Donald Trump erging und der ihm präsidiale Immunität absprach.
Es löst das Problem der Gleichung: Was, wenn einige seiner Handlungen offiziell gewesen sind und andere nicht? Und das ist, glaube ich … was man mit dieser sehr spezifischen Wortwahl signalisiert.
Das erste, worüber sie zu entscheiden haben, ist, ob diese präsidiale Immunität von einem ehemaligen Präsidenten in Anspruch genommen werden kann, im Gegensatz zu einem aktuellen Amtsinhaber, der sich möglicherweise während seiner Amtszeit mit einer Anklage konfrontiert sieht. Also, ehemaliger Präsident. Ich werde Ihnen sagen, was sie meiner Meinung nach tun werden, und zweitens, ob er als ehemaliger Präsident wegen offizieller Handlungen belangt werden kann, sofern es bei der Anklage um offizielle Handlungen geht.
Aber was in dieser Formulierung fehlt, ist … : Kann ein Präsident zu der Zeit wegen offizieller Handlungen während seiner Amtszeit angeklagt werden, und kann er angeklagt werden, während er Präsident ist? Ich denke, die Antwort, die wir aus diesem Entscheid bekommen werden, lautet: Nein: Wenn jemand im Oval Office Straftaten begeht, die im Kern einer Anklage stehen … und er nutzt seine während der Amtszeit bestehende Immunität zu dem Versuch, eine während seiner Amtszeit erfolgende Anklage wegen Taten im Rahmen seiner Amtshandlungen abzuweisen, dann wird er Immunität genießen. Das soll klargestellt werden. Aber was bedeutet das für Donald Trump?
Sie könnten auch sagen – und werden dies wahrscheinlich auch –, dass ehemalige Präsidenten nicht denselben politischen Erwägungen unterliegen, weil sie nicht mehr im Amt sind, so dass ehemalige Präsidenten, selbst wenn es um offizielle, also Amtshandlungen während ihrer Amtszeit geht, keine Immunität genießen. Das können sie klären.
Und schließlich könnte die Art und Weise, wie sie die Berufung und deren Begründung eingegrenzt und zugelassen haben, auf die Entscheidung deuten, dass er, sofern es nicht um Amtshandlungen geht, immer angeklagt werden kann, egal ob er nun im Amt ist oder nicht.
Das klingt alles gut und schön, lässt aber die Zeitfrage außer acht. Selbst wenn das auf Eis gelegte Verfahren stattfinden darf, müsste es 60 Tage vor der Wahl erledigt sein …
Anmerkungen
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