Nicht weniger komplex als Trumps Flirt mit dem Faschismus ist die Beziehung zu einem wesentlichen Teil seiner Wählerschaft: den ach so christlichen Gläubigen der USA – der christlichen Rechten, den weißen christlichen Nationalisten, den weißen Evangelikalen. Seien sie hier ruhig mal alle in einen Topf geworfen, wo sie politisch schon alle dasselbe wollen.
Der christliche Nationalismus oder die »christliche Rechte« bündelt eine ganze Reihe von Tendenzen und Bestrebungen, mit denen im Einzelnen andere Einträge dieses Wörterbuchs befasst sind. Wir können uns also hier – Gott sei’s gedankt! – darauf beschränken, einige der Gefährlicheren davon aufzuführen, ohne noch mal detaillierter darauf einzugehen. Aber keine Bange, ein unangenehmes Gruseln ist auch so garantiert.
Amerikas Christlicher Nationalismus ist beseelt von der Überzeugung, dass Amerika eine christliche weiße Nation sei und eine solche bleiben müsse. Daraus ergibt sich für seine Anhänger zwangsläufig die Forderung, der Staat habe sich aktiv um deren Erhalt zu bemühen. Ein verengender Blick auf Amerikas historische Entwicklung, d.h. letztlich auf seine »anglo-protestantische« Vergangenheit, wird zum Programm für Amerikas Zukunft. Ohne Bewahrung dieses kulturellen Erbes werde Amerika seiner Identität und Freiheit verlustig gehen.1 Was nicht etwa eine Theokratie2 impliziert, sondern lediglich dem Christentum im öffentlichen Raum eine privilegierte Stellung einräumt. Das Problem freilich ist hier, wie diese Stellung aussehen und wie man sie und wer sie gestalten soll.
Wie diese bevorzugte Stellung im öffentlichen Raum im Einzelnen aussehen soll, sei hier anhand einiger bevorzugter Forderungen und Tendenzen kurz dargestellt. Einen Bereich haben wir bereits im Pro-Life-Kapitel angeschnitten. Setzen wir also über den Schwangerschaftsabbruch hinaus etwas höher an.
Familienplanung: Der Christliche Nationalismus ist sowohl gegen jede Art von Schwangerschaftsabbruch als auch gegen gleichgeschlechtliche Ehen, letztlich aber auch gegen ethnische Mischehen.3 Die Schnittmenge von Bundesstaaten mit einer besonders harten Haltung gegenüber der Abtreibung und solchen mit einem messbaren Defizit in Sachen Sexualkundeunterricht ist bezeichnenderweise erheblich. Wir sprechen hier, wohlgemerkt, nicht mehr nur von Plänen, sondern von Trends.
Bildungspolitik: Bildungspolitisch geht es nicht nur um Inhalte wie den eben erwähnten Sexualkundeunterricht, sondern vor allem auch darum, dass mehr und mehr auch Privatschulen, also auch religiöse Schulen öffentliche Gelder erhalten sollen. Es gibt dazu bereits jüngste positive Urteile des Obersten Gerichtshofs. Steuererleichterungen für private religiöse Schulen stehen ebenfalls auf dem Programm. Dazu kommt ein seit Jahrzehnten währender Kampf der amerikanischen Rechten gegen die allgemeine Pflicht zum Besuch öffentlicher Schulen. Und schließlich untergraben immer mehr Ausnahmen für religiöse Schulen die Gleichstellung aller am Arbeitsplatz.
Rechtliche Sonderstellung für religiöse Institutionen: Immer lauter wird der Ruf nach Sonderrechten für religiöse Einrichtungen und Traditionen, die nicht mit der Anti-Diskriminierungsgesetzgebung oder mit den Menschenrechten überhaupt zu vereinbaren sind. Nehmen wir nur einige Beispiele wie etwa die Konversionstherapie. Laut dem TIME MAGAZINE impliziert der Schutz der Religionsfreiheit, dass hier religiöse Einrichtungen von staatlichen Verboten weitgehend ausgenommen sind. Unter Berufung auf einen Bericht des Trevor Project, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dem Kampf gegen den Freitod unter LGBTQ-Jugendlichen verschrieben hat, schreibt TIME: »Pick und ihr Team fanden heraus, dass in den USA derzeit mindestens 1.320 Konversionstherapeuten tätig sind. Sie fanden Therapeuten in allen Bundesstaaten außer Hawaii und Vermont. … Mehr als die Hälfte der in dem Bericht genannten Praktiker bieten … Konversionstherapie über religiöse Organisationen an.«4 Nehmen wir noch die Kinderehe5, die »derzeit in 41 Bundesstaaten legal ist (nur Connecticut, Delaware, Massachusetts, Minnesota, New Jersey, New York, Pennsylvania, Rhode Island und Vermont haben das Mindestalter auf 18 Jahre festgelegt und alle Ausnahmen abgeschafft), und 20 US-Bundesstaaten verlangen kein Mindestalter für die Eheschließung … In den USA wurden zwischen 2000 und 2018 fast 300.00 Kinder verheiratet. Die überwiegende Mehrheit waren Mädchen, die mit erwachsenen Männern verheiratet wurden, von denen viele weit älter waren.«6 Laut Salon sind neben konservativen Gesetzgebern religiöse Gruppen ein wesentliches Hindernis für die Abschaffung der Kinderehe.
Denial-of-Care Laws: Eine besonders infame Blüte »christlicher« Bemühungen ist die zunehmende Verbreitung von Gesetzen zur Verweigerung von Behandlungen, die es religiösen Krankenhäusern, Leistungserbringern und Kostenträgern (z. B. Arbeitgebern und Versicherungsgesellschaften) ermöglichen, die Bereitstellung oder Bezahlung jeglicher Art von medizinischer Versorgung zu verweigern, die sie ablehnen«.7 In den letzten Jahren haben immer mehr Bundesstaaten derartige Gesetzesentwürfe in Erwägung gezogen, und 2023 wurden in Florida und Montana umfassende Gesetze zur Verweigerung der Gesundheitsversorgung verabschiedet. Mit der Begründung eines solchen Gesetzes könnte sich beispielsweise ein Krankenhaus weigern, medizinische Anweisungen am Lebensende zu befolgen, ein Arzt könnte sich weigern, eine Fehlgeburt in Notfällen zu behandeln, ein Versicherer könnte sich weigern, die Kosten für eine HIV-Behandlung zu übernehmen, oder ein Arbeitgeber könnte sich weigern, alleinstehenden Arbeitnehmern eine Schwangerschaftsversicherung anzubieten.
Unterminierung der Trennung von Kirche und Staat: Letztlich werden wohl so gut wie alle von religiösen Extremen eingebrachten Gesetzesänderungen ein Aufweichen der von der Verfassung garantierten Trennung von Kirche und Staat zur Folge haben. Einige freilich mehr als andere. Aber nehmen wir aus dem Wust vor allem bundesstaatlicher Gesetzgebung ein fast schon harmloses Beispiel heraus: »New Hampshires Gesetzgeber erwägen eine unnötige und ausgrenzende Gesetzesvorlage (HB 69), die vorschreibt, dass jedes Gebäude in jedem Schulbezirk die Inschrift ›In God We Trust‹ aufzuweisen hat.«8 Mehrere andere Bundesstaaten haben bereits ein solches Gesetz verabschiedet, und natürlich ist dieses nationale Motto der USA auf allen Dollarnoten zu sehen. Dennoch sehen Gegner in Gesetzesentwürfen zur Darstellung nationaler Mottos einen Versuch christlicher Nationalisten, die amerikanische Geschichte auf eine Art und Weise umzuschreiben, die ihre Agenda begünstigt. Ihrer Ansicht nach zielen Entwürfe dieser Art darauf ab, die Trennung von Religion und Regierung zu untergraben und die falsche Erzählung zu verbreiten, laut der Amerika als christliche Nation gegründet sei.
Zensur: Zensur ist ein Problem, dass in den USA seit Jahren massiv ins Kraut schießt. Immer öfter und konsequenter entfernt man aus öffentlichen Bibliotheken neben dem Tagebuch der Anne Frank vor allem Werke schwarzer und geschlechtlich diverser Autoren. Und Wörterbücher! Wie etwa in Florida: »Ein Schulbezirk in Florida hat mehr als 1600 Bücher, darunter Wörterbücher und Enzyklopädien, aus seinen Bibliotheken entfernt, um sie auf die Vereinbarkeit mit floridianischem Gesetz zu überprüfen, das Bücher mit sexuellen Inhalten verbietet.«9 Dazu kommen Gesetze wie der »Stop Woke Act« oder »Don’t Say Gay Bill«.10
Um nun aber endlich auf Donald Trump zu kommen und was er mit alledem zu tun hat, sei hier der Soziologe Philip Gorski zitiert. Er sieht im Christlichen Weißen Nationalismus »eine Ideologie, die in einer Erzählung über Amerika gründet, die … dem Mythos nachhängt, dass das Land von weißen Christen als christliche Nation gegründet wurde und dass seine Gesetze und Institutionen auf dem protestantischen Christentum beruhen. Weiße christliche Nationalisten glauben, dass das Land göttlich begünstigt ist und von ihm mit der Verbreitung von Religion, Freiheit und Zivilisation beauftragt ist. Diese Mission und die Werte, die sie hochhalten, sehen sie durch die wachsende Präsenz von Nicht-Weißen, Nicht-Christen und Einwanderern in den Vereinigten Staaten bedroht. Dies ist ein Punkt, an dem sich der weiße christliche Nationalismus sich mit der Erzählung ›Make America Great Again‹ überschneidet. Es ist die Ansicht, dass das Land korrumpiert wurde oder dass man es ihm wegzunehmen versucht. Weiße christliche Nationalisten wollen es zurückerobern.«11
Laut einem Artikel der Frankfurter Rundschau rede man die vom Christlichem Nationalismus ausgehende Bedrohung gern klein oder tue sie als übertrieben ab. »Immerhin, heißt es dann, sei doch klar, dass der Anteil derjenigen, die daran glaubten, kleiner werde. Doch das verkennt nicht nur das Wesen, sondern auch den Aufbau der Christlich-Nationalistischen Institutionen, die das Rückgrat der amerikanischen Religiösen Rechten ausmachen: ein enges Netz von juristischen Interessenvertretungen, ausgeklügelten Datentransaktionen, politischen Think Tanks und einer riesigen rechten Nachrichten-Sphäre.«12
Und dann ist die religiöse Rechte besonders anfällig für Verschwörungstheorien. Der Sturm auf das Kapitol der Vereinigten Staaten am 6. Januar 2021 war von den Christlichen Nationalisten wesentlich mitgetragen und mitgeprägt.13 Und wer hat sie dazu aufgestachelt? Und noch etwas haben diese Leute mit der durchgeknallten Orange gemeinsam: Gerade mal ein Drittel der weißen Evangelikalen hält den Klimawandel für vom Menschen verursacht. »Es gibt beispielsweise die Cornwall Alliance, die von Evangelikalen gegründet wurde und gegen Umwelt- und Klimaschutz lobbyiert.«14
Trump hat sich das von Anfang an zunutze gemacht. Er benutzt die religiöse Rechte. Sie ist ein effektives Transportsystem für eine Denkweise, die er im tiefsten Innern noch nicht einmal respektiert. Trump nutzt den Schulterschluss von Christentum und Nationalisten. Nationalisten definieren, wer Teil der Nation ist und wer nicht. Da mag der Deutsche unter Berufung auf das Motto »Deutschland ist kein Einwanderungsland!« mehr oder weniger unwidersprochen auf seinen Mief bestehen, in einem zwangsläufig vom kulturellen Pluralismus geprägten »Schmelztiegel« wie den USA wird der Zwang zum bevorzugten kulturellen Schema jedoch zum Problem.
Anmerkungen
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