Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass Donald Trump nicht nur in Sachen Milliardenpleiten Rekorde gebrochen hat, er ist auch der erste Präsident, gegen den gleich zwei Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wurden, und der erste, der sich, wenn auch nach seiner Amtszeit, in Strafsachen vor dem Kadi verantworten muss. Satte 88 Anklagepunkte werden dem Mann zur Last gelegt. Natürlich muss man die nicht alle einzeln aufdröseln, um zu verstehen, worum es geht. Eine kurze systematische Übersicht tut es durchaus. Die Verfahren sollten im Grunde ohnehin nur eine Formsache sein, da man sich über die Schuld des Mannes ohnehin einig scheint. Was freilich in den USA, denken Sie an den eben verstorbenen O.J. Simpson, nicht viel heißt. Und dann sieht es ganz so aus, als seien diese »leidigen« Verfahren weder ein Hindernis für Trumps Kandidatur, noch für eine drohende zweite Amtszeit der durchgeknallten Orange.
Präsident Richard Nixon hätte sich als erster Präsident – der Watergate-Affäre wegen – vor Gericht verantworten müssen, wurde aber von seinem Nachfolger Gerald Ford begnadigt und entging so dem Knast. Eugene Debs,1 das ist in diesem Zusammenhang vielleicht interessant, hat 1920 seinen Wahlkampf als sozialistischer Kandidat vom Knast aus geführt und brachte es auf immerhin eine Million Stimmen; und 1992 kandidierte der rechtslastige Spinner und Verschwörungstheoretiker Lyndon LaRouche hinter schwedischen Gardinen und brachte es auf 26.000 Stimmen (etwa 0,02% der Wählerstimmen).2 Gott sei’s gedankt! Nur: im Vergleich zu Trump war der Typ noch normal.
Ganz seinem überdimensionalen Profil entsprechend, bricht der Donald auch hinsichtlich seiner Gerichtsverfahren alle Rekorde. Aber zunächst einmal ist wohl eine Erklärung angebracht. Wenn, wie so oft, von »91 Anklagen« die Rede war, dann ist das vielleicht etwas verwirrend, denn es handelt sich dabei nicht um 91 Verfahren gegen Donald Trump, sondern um 91 Anklagepunkte in insgesamt vier Verfahren (Nachdem man in Georgia drei Anklagepunkte hat fallen lasssen, sind wir nun bei 88.): 1) die Schweigegeld-Zahlung an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels (Hush-Money Case) 2) die Geheimdokumente von Mar-a-Lago (Classified-Documents Case) 3) der Versuch der Wahlmanipulation (Election-Interference Case) 4) der Versuch, das Wahlergebnis im Bundesstaat Georgia zu kippen (Fulton-County Case).3
Nehmen wir die Nummer 1 – das Schweigegeld für die Pornoactrice Stormy Daniels zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Wahl 2026 und dessen Verbuchung als Geschäftskosten – hier vorweg, nicht nur weil der Prozess bereits läuft, sondern auch weil er rechtlich wohl auch etwas anders gelagert und gar nicht so eindeutig ist, wie sich das in der Presse – schon gar für uns Deutsche – darstellt. Juristen jedenfalls, zogen die Brauen hoch ob der Anklageschrift mit ihren 34 Punkten4, die Trump die Fälschung von Geschäftsunterlagen ersten Grades zur Last legt, in New York ein Verbrechen (felony) der Klasse E, praktisch die Strohgewichtsklasse unter den Verbrechen5 – was Donald Trump dennoch, wenigstens theoretisch, 136 Jahre Knast bescheren könnte. Im Allgemeinen gilt diese Art von Urkundenfälschung im Staat New York nur als Fälschung von Geschäftsunterlagen zweiten Grades und erfüllt damit den Tatbestand eines Vergehens (misdemeanor) der Klasse A, also der Schwergewichtsklasse unter den Vergehen. Und hier liegt wohl die juristische Krux. Um das Vergehen zum Verbrechen zu machen, muss noch ein weiterer, schwerer wiegender Tatbestand greifen, etwa die zur Last gelegte Fälschung in der Absicht vorgenommen werden, eine andere Straftat zu begehen oder der Begehung einer solchen Vorschub zu leisten oder sie zu vertuschen. Was die Staatsanwaltschaft freilich zweifelsfrei nachweisen muss. Diese Räuberleiter, mittels der man hier ein Vergehen in den Rang eines Verbrechen gehievt hat, ging denn auch einigen Fachleuten etwas zu weit. Dennoch scheint sich die New Yorker Staatsanwalt ihres Falls sicher zu sein.6 Für unsereins verständlicher ausgedrückt, wirft die Staatsanwaltschaft Trump die Beteiligung an einer strafbaren Verabredung7 zur Untergrabung der Integrität der Wahl von 2016 vor. Zudem soll er Teil rechtswidriger Bestrebungen zur Unterdrückung negativer, möglicherweise die Wahl beeinflussender Informationen gewesen sein, in deren Rahmen auch die Zahlung von 130.000 Dollar fiel.8
Trump selbst, der auf »nicht schuldig« plädierte, stilisiert das Verfahren zum politischen Prozess in Tateinheit mit physischer Folter – im Gerichtssaal sei es saukalt. Er verstieg sich dabei sogar zu einem Vergleich mit Nelson Mandela. Zu schaden jedenfalls scheinen ihm die täglichen wehleidigen Auftritte vor dem Gerichtssaal politisch nicht. Umfragen zufolge ist er Biden jedenfalls immer noch um mehrere Nasenlängen voraus. Ich meine, wer sich für diese Art von Mensch (und ich verwende den Begriff in seinem weitesten Sinne) entscheiden kann, der wird auch bei dem Mann bleiben.
Im Gegensatz zum Schweigegeld-Prozess ist das Verfahren um die Geheimdokumente von Mar-a-Lago juristisch unantastbar, im Gegensatz zum ersten Verfahren gibt es hierzu Präzendensfälle; außerdem handelt es sich um die Klage eines Bundesgerichts. Man wirft ihm vor, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt geheime Dokumente verteidigungstechnischen Inhalts aus dem Weißen Haus entwendet und sich anschließend geweigert zu haben, das Material herauszugeben. Selbstverständlich plädierte Trump auch in diesem Fall auf »nicht schuldig«. Die Anklage umfasst nach letztem Stand 32 Punkte (counts).9
Die Amerikaner verstehen keinen Spaß, wenn es um die Staatssicherheit geht, das wissen wir aus 1000 Filmen. Und so verfolgten wir, durchaus staunend, im August 2022 die Durchsuchung von Trumps Xanadu Mar-a-Lago im floridianischen Palm Beach. Es war das erste Mal, dass man das Domizil eines amerikanischen Präsidenten durchsuchte, ex oder nicht. Konkret suchte man, wie wir später erfuhren, Tausende von Dokumenten höchster Geheimhaltungsstufe, von denen schließlich 31 als Punkte ihren Weg in die Anklageschrift fanden. Dazu kamen noch Anklagepunkte wegen Verabredung zur Behinderung der Justiz, Falschaussagen, falscher Darstellungen sowie Veränderung, Vernichtung, Beschädigung oder Verbergen von Gegenständen. Liest man das durch, scheint das im Einzelnen eher albern, aber immerhin ging es um Einzelheiten zur Landesverteidigung – einem australischen Milliardär gegenüber und Mitglied seines Mar-a-Lago-Clubs gegenüber prahlte er sogar mit sensiblen Informationen über US-Atom-U-Boote.10 Unterm Strich sollte man dazu sagen, dass man da schon Leute weit weniger und geringerer Straftaten wegen weggesperrt hat.
Das Verfahren ist für den Mai 2024 anberaumt.
Das dritte Verfahren gegen Trump ist das Ergebnis der Ermittlungen von Sonderankläger Jack Smith hinsichtlich der mutmaßlichen Bemühungen des Ex-Präsidenten, die Wahl von 2020 zu kippen. Die Anklage umfasst vier Punkte; Trump plädierte in allen vier Fällen auf »nicht schuldig«. Absatz 2 der Einleitung der Anklageschrift bringt auf den Punkt, was wir aus den Medien bis dato erfahren haben: »Trotz seiner Niederlage war der Angeklagte fest entschlossen, an der Macht zu bleiben. Dazu verbreitete der Angeklagte nach dem Wahltag am 3. November 2020 über zwei Monate lang Lügen, laut denen es bei der Wahl zu einem ergebnisbestimmenden Betrug gekommen sei und dass eigentlich er gewonnen habe. Diese Behauptungen waren falsch, und der Angeklagte wusste, dass sie falsch waren. Dennoch wiederholte und verbreitete der Angeklagte sie, um seine wissentlich falschen Behauptungen als legitim erscheinen zu lassen, um in der Nation eine intensive Atmosphäre des Misstrauens und der Wut zu schaffen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Durchführung der Wahl zu untergraben.«11 Eine gerade mal vier Punkte umfassende Anklageschrift scheint mager im Vergleich zur Fülle der Anklagepunkte in den oben erwähnten Verfahren. Aber das täuscht. So umfasst etwa der »Count One« detailliert die Bemühungen Trumps und seiner Mittäter in Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, wobei die Vorwürfe in jedem der genannten Staaten mehrere Seiten der Anklageschrift beanspruchen. Außerdem werden detailliert die Bemühungen zur Einsetzung falscher Wahlmänner aufgeführt. Feinsäuberlich durchnummeriert, umfasst allein »Count One« 124 Straftaten, die zum Teil noch weiter aufgeschlüsselt sind. Selbstverständlich geht es darin auch um den 6. Januar 2021. Man wirft Trump und den am Komplott Beteiligten den Versuch vor, »die Gewalt und das Chaos am Kapitol auszunutzen, indem sie [Abgeordnete und Senatoren] telefonisch dazu zu überreden versuchten … die Bestätigung der Wahl zu verzögern«.
Anklagepunkte Zwei und Drei umfassen den Vorwurf der Verabredung zur Behinderung eines amtlichen Verfahrens, genauer gesagt die Bestätigung der Wahlmännerstimmen zu ver- bzw. behindern. Punkt vier umfasst, vereinfacht ausgedrückt, die Verabredung zur Entrechtung des amerikanischen Wählers.
Das vierte Verfahren gegen Trump ist das im Fulton County, Georgia. Es schien viele Fachleute zu überraschen, ging man doch davon aus, dass die Anklage aus Georgia unter die der Anklageschrift zum 6. Januar in Washington fallen würden.12 Der Vorwurf ist zwar ähnlich gelagert (in beiden Fällen geht es um die Bemühungen des ehemaligen Präsidenten, sich rechtswidrig der friedlichen Machtübergabe zu widersetzen), doch während die Anklageschrift vom District Columbia sich auf Washington und die Pläne für den 6. Januar konzentrierte, geht es der Anklage in Georgia in erster Linie um die Bemühungen, die Ergebnisse der Wahlen in Georgia im Jahr 2020 zu kippen. Und im Gegensatz zu der Washingtoner Anklage, in der nur von am Komplott Beteiligten die Rede ist, die jedoch selbst nicht angeklagt sind, richtet sich die im Fulton County nicht ausschließlich gegen Donald J. Trump. Hier haben sich weitere 18 Angeklagte vor Gericht zu verantworten. Trump selbst sieht sich in 10 Punkten angeklagt.13
Und dennoch sieht es, Stand Anfang Mai, nicht so aus, als müsste Donald Trump um seine zweite Amtszeit nicht bange sein. So sehr liberale Zeitgenossen sich das einreden wollen. Trumps Anhänger bilden eine Sekte und die Mitglieder von Sekten folgen ihrem Führer bedingungslos – nötigenfalls in den Tod.
Anmerkungen
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