Zum eigenen wie zum allgemeinen Amüsement hier eine Übersetzung, an der ich – weil mich das Thema interessiert und ich Chesterton bewundere – gerade nebenher arbeite. Sie öffentlich zu veranstalten ist als Experiment gedacht. Sie lässt sich damit sowohl mitverfolgen als auch kommentieren. Bevor nicht die letzte Seite übersetzt ist, handelt es sich um einen ersten Durchgang, der bei mir freilich immer bereits lesbar sein muss; der Inhalt bereits veröffentlichter Passagen kann sich jedoch jederzeit ändern – je nach Bedarf, späterer Einsicht oder auf einen Ihrer sachdienlichen Hinweise hin. Eine sinnvolle Verlinkung auf andere Websites ist ebenfalls angedacht; vielleicht entsteht so eine lesbare und nützliche Blake-Biographie.


Informationen zu G.K. Chesterton.
Das Buch finden Sie hier. © Das englische Original ist mittlerweile gemeinfrei; die Rechte an der Übersetzung liegen selbstverständlich bei mir.

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Gilbert Keith Chesterton
William Blake

John Linnel – William Blake at Work

[Teil 1][Teil 2][Teil 3][Teil 4][Teil 5]

Im Jahre 1800 wechselte er den Wohnsitz, was in vieler Hinsicht ein Markstein in seinem Leben war. Er war Londoner, wenn auch zweifelsohne ein Londoner jener Tage, in denen London noch klein genug war, um ringsum von Grün umgeben zu fühlen. Nicht dass Blake je im wahren Sinne des Wortes auf dem Land gewesen wäre. In seinen frühesten Gedichten lesen wir von Seraphim auf den Bäumen; aber wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass es sich um Gartenbäume handelt. Wir lesen von Heiligen und Weisen, die auf den Feldern wandeln, und wir haben das Gefühl, dass es Backsteinfelder waren. Seine vollkommene Landschaft ist pastoral bis an den Rand der Konventionalität; in keiner Weise riecht sie tatsächlich nach England. Das Bild der Stadt ist ihm ganz offensichtlich so heimisch (zu seinem Wesen gehörig, könnte man sagen) wie irgendein Bild vom Land.

Der schwarze Schornsteinfeger ist so ein­leuchtend wie das weiße Lamm. Schlimmer noch, Englands weiße Lämmer sind ihm nicht natürlicher oder heimischer als die exotischen goldenen Löwen Afrikas. Er war letztlich ein Cockney, wie Keats; und der Cockney als Menschenschlag neigt nun einmal zu einer arg poetischen Lebens­auffassung voll über­bordender Phantasie. Blake war von seiner Umgebung so unbeleckt wie nur irgendeiner in der Geschichte der Welt. Dennoch hat er seine Umgebung verändert, und sie ver­änderte ihn.

Hayley by Henry Howard

Es lebte zu dieser Zeit in dem kleinen Weiler Eartham in Sussex ein schlichter, herzens­guter, aber einigermaßen bedeutender Land­junker namens Hayley.1 Er war Grundbesitzer und Aristokrat, gehörte aber zu der Sorte, deren Eitelkeit durch derlei Funktionen allein nicht zu befriedigen sind. Er sah sich als Förderer der Dichtkunst; was durchaus zutraf, nur war er– ach! – auf eine Idee verfallen, die weit mehr Anlass zur Sorge gab: Er wähnte sich selbst als Poet. Ob jemand diese Ansicht teilte, während er noch als Herr seiner Güter der Jagd frönte, ist heute schwer zu sagen.2 Man einiger Sicherheit ist dem heute jedenfalls nicht mehr so. »The Triumphs of Temper«, das einzige Poem Hayleys, an das der moderne Mensch sich erinnern könnte, ist wohl nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil Macaulay damit in einem Essay spöttisch einen seiner klingenden Sätze krönte.3 Nichtsdestoweniger war Hayley zu seiner besten Zeit ein ebenso mächtiger wie wichtiger Mann, als Dichter noch unerschüt­tert, als Grundherr schlicht nicht zu er­schüttern. Aber wie alle schlicht unvertret­baren englischen Oligarchen war er von einer unmäßigen Gutmütigkeit, die irgendwie ausgleichend oder schützend wirkte, was seine offensichtliche Untauglichkeit und sein Unvermögen anging. Er war fehl am Platz, hatte aber das Herz auf dem rechten Fleck. Diesem tadellosen und strahlenden Herrn der Schöpfung, zu selbst­zu­frieden, um arrogant, zu solenn kindisch, um zynisch zu sein, zu behaglich in seiner Exis­tenz, um an sich oder anderen zu zweifeln, diesem Manne also stellte Flaxman, ach was, schleuderte Flaxman die weißglühende Kanonen­kugel namens Blake an die Brust. Ich frage mich, ob Flaxman dabei wohl gelacht hat. Aber andererseits verzerrt Lachen die klare Linie des griechi­schen Profils.

Hayley, der auf seine Art nicht weniger großzügig war als Maecenas (und ich argwöhne, das Maecenas nicht weniger dumm war als Hayley), schenkte Blake ein Häuschen in Felpham, nur wenige Meilen von seinem eigenen Wohnsitz, ein Häuschen, in das Blake sich fast buchstäblich verliebte. Er beschreibt es, als hätte er nie zuvor ein englischen Land­haus gesehen; und womöglich hatte er das auch nicht. »Niemals«, so entfährt es ihm in einer Art Ekstase, »könnte etwas in seiner schlichten Zweckdienlichkeit erhabener sein. Einfach und unkompliziert, scheint es mir spontaner Ausdruck des Menschseins, ganz den Bedürfnissen des Menschen entsprechend. Kein anderes gebautes Haus könnte mir je so gefallen.« Dem war wahrscheinlich auch so. Die erhabenen Winde zwischen Sussex‘ hehren Hügeln und der Küste brachten das Reinste und Galanteste in seiner Dichtung und Philosophie zum Erblühen. Er war zeit­lebens zufrieden, da er Gott hatte. Aber hier erlebte er fast so etwas wie Erfüllung.

Lord Macaulay

Zu dieser Zeit war bereits die zunehmend schwarze Wolke des französischen Schreckens über Blakes Kopf hinweg gezogen. Blake sah sich jetzt in einer Welt, in der noch nicht einmal er mit der roten Mütze herumlaufen konnte. Darüber hinaus schien er, wie die meisten zeit­­genössischen und geistesverwandten Genies, Coleridge und Shelley etwa, durchaus ange­widert von der Aufsehen erregenden Wirk­lich­keit der französischen Tragödie; und nach­dem man die Aufständischen etwas zu eifrig angestachelt hatte, beklagte man jetzt, dass da Köpfe rollten. Und waren aufrichtige Revolutionäre wie Blake und Coleridge ent­täuscht von der Revolution, der englische Staat und die herrschende Klasse kämpften mit der Entschlossenheit der Verzweiflung da­gegen an. Man spricht im Falle Frankreichs von einer Schreckens­herrschaft, aber be­rücksichtigt man die Unterschiede im natio­na­len Tem­perament und die jeweilige Be­dro­­hung, so war eines wie das andere: auch England herrschte der Schrecken. Ein Mann von Stand sah sich zu Zwangsarbeit verur­teilt (die für einige Herren von Stand schlimmer war als Guillotine), wenn er auf die Leibes­fülle des Prinzregenten hinwies. Unser Terror war nicht weniger grausam als der Robespierres, nur war er feiger – so wie unsere Presspatrouille4 nicht weniger grausam als die Wehrpflicht sondern nur feiger war. Wo immer sich für die Staatsmacht ein Feind scheinbar ungewollt umhauen ließ, wo immer sich einem Jakobiner der brutale Knüttel eines zufällig passenden Paragraphen übers Haupt ziehen ließ, geschah das auch. Viele solcher Hiebe wurden damals geführt, und einer von ihnen galt Blake.

Eines Morgens im August des Jahres 1803 trat Blake hinaus in seinen Garten und fand dort einen Soldaten der Ersten Dragoner im scharlachroten Rock, der sich mit der zu­frie­denen Miene des Besitzenden die Landschaft besah. Blake äußerte den Wunsch, der Dragoner möge den Garten verlassen. Der Dragoner äußerte – »unter zahlreichen ab­scheulichen Verwünschungen« – den Wunsch, Blake die Augen aus dem Kopf zu hauen. Mit verblüffender Behändigkeit stürzte Blake sich auf den Mann, bekam ihn mit den Ellenbogen von hinten zu fassen und warf ihn aus dem Garten wie einen Streuner. Der Mann, der wahrscheinlich betrunken und bestimmt überrascht war, entfernte sich unter vielen Anwürfen, jedoch keine davon politischer Art. Kurz darauf jedoch tauchte er mit einer schwerwiegenden Anzeige auf, Blake habe bei dieser Gelegenheit folgende – eher unwahrscheinliche – Worte geäußert: »Zum Teufel mit dem König, zum Teufel mit seinen Untertanen, seinen Soldaten! Sklaven, einer wie der andere. Wenn Bonaparte kommt, dann heißt es Mordbube gegen Mordbube. Und ich werde ihm dabei helfen.« Der unparteiische Kritiker dürfte zur Ansicht neigen, dass kaum wohl einer den Atem hat, derartige politische Gemeinplätze auszu­stoßen, während er unter Gewaltanwendung einen Angehörigen der Leibdragoner aus seinem Vorgarten wirft; und nirgendwo findet sich ein Hinweis darauf, dass der Vorfall länger als eine halbe Minute gedauert haben könnte. Blake hat den Mann möglicherweise, ja sogar höchstwahrscheinlich »zum Teufel« ge­wünscht, aber der Rest der Tirade entsprang, so kann ich mir vorstellen, der Phantasie eines anderen. Aber auch wenn Blakes Biographen den Fall als bloßes Missgeschick deuten, ich kann mir kaum vorstellen, dass er dies war. Es sind zu viele Zufälle im Spiel. Warum war der Dragoner ausgerechnet in seinen Garten spaziert? Warum hat er sich nicht mit einem anderen Dichter angelegt? Es scheint doch merkwürdig, dass ausgerechnet der Mann mit der roten Mütze sich mit dem Mann im roten Rock herumschlagen musste. Es war eine Zeit der Tyrannei, und die Tyrannei ist immer voll kleiner Intrigen. Es ist gar nicht ausgeschlos­sen, dass die Polizei, wie wir heute sagen würden, Blake zu provozieren versuchte. Aber es trat etwas auf den Plan, was in England mächtiger ist als selbst die Polizei. Hayley, nicht der kleine Hayley, der Autor der »Triumphs of Power«, sondern der großmächtige Hayley, Landjunker von Eartham und Bognor, erschien – mit dem zusätzlichen aristokratischen Charme einer Jagdverletzung – vor Gericht. Er verteidigte Blake mit Großmut und jenem gesundem Menschenverstand, an dem es seiner Klasse in solchen Fällen selten gebricht; und Blake wurde freigesprochen. Die Beweise, so hieß es, seien ungenügend; aber wäre Hayley nicht eingesprungen, sie hätten, wie ich mir vorstellen kann, durchaus genügt.5

  1. William Hayley, 9. November 1745 – 12. November 1820; englischer Schriftsteller und Dichter, vor allem seiner Freundschaft mit Willliam Cowper bekannt, dessen Biographie er schrieb. []
  2. Die Bösartigkeit von Chestertons Bemerkung hat vermutlich eine Ursache; Tatsache ist, dass William Hayley zu seiner Zeit ausgesprochen erfolgreich und bekannt war. []
  3. Ich bin dem auf meinem Blog nachgegangen. []
  4. Kommando, das Bürger von der Straße weg zum Militärdienst zwang; siehe »Impressment«. []
  5. Eine schöne und ausführlichere Schilderung des »Falles Blake« findet sich übrigens in Edward Verrall Lucas‘ Highways and Byways of Sussex auf den Seiten 64ff. []

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