Unter die mancherlei Ursachen, welche eine Sprache entstellen und verunreinigen, rechnet man besonders auch den Krieg. Er gebietet, wie über Alles, das er ändern und sich zueignen kann, so auch über Zunge und Feder, sucht sie ihrer Rechte und Freiheiten zu berauben, oder ihr Eigenthum ungescheut zu verwüsten.
Dr. J. F. H e i g e l i n, Allgemeines Fremdwörter-Handbuch für Teutsche, Tübingen, Verlag von C. F. Osiander, 2. Aufl. l838.
Wenn ich mal mit meiner Mutter auf das eine oder andere französische Wort im Bayerischen zu sprechen komme, erinnert sie mich gern mal daran, dass schon ihre Mutter auf die Internationalität von uns Bayern hingewiesen habe. Das Zitat aus Heigelins Fremdwörterbuch oben erinnerte mich wieder mal daran. Und dass ich – und ich bin vermutlich nicht der einzige – lange davon ausgegangen bin, allein oder in der Hauptsache das Kriegsgeschehen im süddeutschen Raum habe für all die französischen Wörter im Bayerischen gesorgt. Dem ist allerdings nicht ganz so…
Zunächst einmal verbindet uns Deutsche ja schon mal eine lange durchlässige Grenze mit unseren französischen Nachbarn. Bereits im Mittelalter sind von »Abenteuer« über »Harnisch« und »Sold« bis »Turnier« eine ganze Reihe Wörter eindeutig französischer Herkunft belegt. Dazu kamen im Spätmittelalter weitere nützliche Wörter von »Bastard« bis »rund« (oh ja). Die »Joppe«,1 scheint dazu zu gehören, auch wenn die natürlich bei weitem weniger bayerisch ist als der »Janker«. Und wo wir schon gerade gesamtdeutsch sind, auch der heutige »Kumpel« kam seinerzeit erst mal als »Kumpan«2 aus dem Französischen.
Aber um auf den Krieg zurückzukommen. Ab dem Spätmittelalter ging es in Europa rechtschaffen wüst zu; entsprechend kommt viel Militärisches zu uns, die »Kavallerie«, zum Beispiel; dafür haben wir den Franzosen mit dem »lansquenet« unseren wackeren »Landsknecht« verpasst. Im 30-jährigen Krieg ging es völlig drunter und drüber; da kamen eine ganze Menge Wörter ins Land.
Krieg hin oder her, mit dem ausgehenden Mittelalter nahm die Bedeutung der französischen Kultur im übrigen Europa gewaltig zu. Diese »übertriebene Ausrichtung des modisch-gesellschaftlichen Lebens nach französischem Vorbild«3 oder auch »Alamodewesen« bringt das Französische als erste Bildungssprache für Adel und Großbürgertum.4 So war denn auch beim bayerischen Adel und am Hof in München sowie bald auch in den Residenzstädten das Französische die angesagte Sprache.
Am Anfang des 19. Jahrhunderts sah Bayern sich dann nicht nur kulturell, sondern gleich militärisch von den Franzosen übernommen. Da konnte man die bisher erworbenen Französischkenntnisse gleich einsetzen. Fast zehn Jahre zogen französische Truppen durchs Land.
Aber kommen wir auf Heigelin und sein Wörterbuch zurück. Wenn das 1818 zum ersten Mal erschien, so musste er seit geraumer Zeit daran gesessen haben5, will sagen unter dem unmittelbarem Eindruck des napoleonisches Spuks, der damals erst seit drei Jahren vorbei war. Man kann ihm seine Aussage also kaum verdenken, auch wenn gar nicht alles Französische durch den Krieg zu uns kam.
Ich würde Heigelins Moniten wie seine Vorschläge in nächster Zeit gern genauer unter die Lupe nehmen, womöglich auch einen Vergleich anstellen mit Friedrich Erdmann Petris Fremdwörterbuch von 1852. Mal sehen, was er von so grauenhaft französischen Dingen wie »Möbeln«, »Sofas« »Terrassen« oder »Balkons« denn so hält.
Aber was uns Bayern anbelangt, so können wir uns doch kaum beschweren.6 Nicht nur verdanken wir den Franzosen mit dem Code Napoléon ein »ordentliches« Gesetz sowie die Abschaffung von Leibeigenschaft und Standesunterschieden, sondern – egal wann genau sie nun zu uns kamen – auch die Mama und den Papa. Die ja gerade bei uns heimisch geworden sind. Warum wir nicht auch »Onkel«und »Tante« übernommen haben,7 die dem übrigen Deutschland wohl mehr zugesagt haben, wäre sicher eine spekulative Betrachtung wert. Sei’s drum, wurde unsere Zunge durch die Franzosen verwüstet? »Unbeschwert« oder sonst wie. Überlegen Sie selbst.
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