Mee­res­früch­te – Anrü­chi­ger Rock ’n’ Roll

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Ich habe hier schon mal auf mehr oder weni­ger ein­deu­ti­ge Zwei­deu­tig­kei­ten in Song­tex­ten ver­wie­sen. Und dar­auf dass die plat­te Direkt­heit etwa im Rap­gen­re trotz net­ter Prä­gun­gen wie »kno­ckin’ boots« die sexu­el­le Meta­pher weit­ge­hend ver­drängt hat. Die Anfän­ge die­ser Ver­drän­gung fal­len in eine gan­ze ande­re Ära, näm­lich in die Zeit, in der schwar­ze Musik den wei­ßen ame­ri­ka­ni­schen Markt zu erobern begann. Und ver­drängt wur­den die Meta­phern damals mit­nich­ten durch Direkt­heit – man merz­te sie ein­fach aus. Solan­ge die schwar­ze Musik als »race music« ein vor­wie­gend schwar­zes, sexu­ell weni­ger ver­krampf­tes Publi­kum gehabt hat­te, waren die meta­phern­las­ti­gen Tex­te nie­man­dem auf­ge­sto­ßen, als man die Musik dann einem wei­ßen Publi­kum ver­kau­fen woll­te, wur­den sie zum Problem.

1954. Die hei­ße Affä­re zwi­schen Coun­try Music und Rhythm & Blues hat­te Fol­gen gehabt: Ame­ri­ka wand sich unter den Geburts­we­hen des Rock ’n’ Roll. Finan­zi­ell gese­hen hät­te der schwarz­wei­ße Misch­ling es nicht bes­ser tref­fen kön­nen, der Zwei­te Welt­krieg hat­te den Ame­ri­ka­nern einen nie gekann­ten Reich­tum beschert. Und das galt auch für die schwar­zen Ame­ri­ka­ner, obwohl sie sich nach wie vor als Men­schen zwei­ter Klas­se behan­delt sahen. In die­ser Hin­sicht erblick­te der Rock ’n’ Roll also unter gelin­de gesagt eher pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen das Licht der Welt. Das hat­te zur Fol­ge, dass es nach wie vor nach Ras­sen getrenn­te Märk­te gab und dass man den quä­ken­den Klei­nen für das blü­ten­wei­ße Ame­ri­ka etwas zurecht­ma­chen muss­te. Bei all den Gefah­ren, die das blü­ten­wei­ße Ame­ri­ka in dem unehe­li­chen Ban­kert bald wit­tern soll­te, vom Text her war er, ver­gli­chen mit dem, was das schwar­ze Eltern­teil da mit­ge­bracht hat­te, herz­lich zahm.

Mit das bes­te Bei­spiel für die Säu­be­rung bie­tet die inof­fi­zi­el­le »Natio­nal­hym­ne des Rock ’n’ Roll«, Bill Haleys Rocker »Shake, Ratt­le and Roll«. Geschrie­ben hat ihn Jes­se Stone1 auf Geheiß von Label­chef Herb Abramson für den Blues Shou­ter Big Joe Tur­ner, der den Song denn auch ein­spiel­te. »Shake, Ratt­le and Roll« war eben die Num­mer Eins der R ’n’ B‑Charts, als Bill Haley und sei­ne Comets ihn im Juni 1954 auf­nah­men. Aller­dings mit fri­sier­tem, ach was, mit gekämm­tem Text. Das beginnt damit, dass Big Joe sei­ne »Mama« aus dem Bett schmeißt, damit sie ihm das Früh­stück macht. Nicht zu ver­ges­sen mit der Auf­for­de­rung, dass sie sich vor­her die Hän­de waschen soll:

Get out­ta that bed, wash your face and hands,
Get out­ta that bed, wash your face and hands.
Well, you get in that kit­chen, make some noi­se with the pots ’n’ pans.

In einer Gesell­schaft, deren »ver­film­te« Bett­sze­nen noch vom Hays Code regu­liert waren,2 konn­te so kein Pop­song begin­nen. Pro­bie­ren wir’s mal lie­ber so:

Get out from that kit­chen and ratt­le tho­se pots and pans,
Get out from that kit­chen and ratt­le tho­se pots and pans.
Well, roll my break­fast, ‘cau­se I’m a hun­gry man.

Was die gute Frau ohne­hin maß­los ver­wirrt haben dürf­te: Wie soll­te sie ihren hung­ri­gen Kerl beko­chen, wenn sie aus der Küche »raus­kom­men« soll­te? Aber viel­leicht sehe ich das etwas zu eng. Inter­es­san­ter ist ohne­hin der zwei­te Vers. Da scheint doch glatt die Son­ne durchs Kleid und legt dem aner­ken­nen­den Blick eine offen­sicht­lich statt­li­che Sil­hou­et­te frei:

Way you wear tho­se dres­ses, the sun comes shi­nin’ through,
Way you wear tho­se dres­ses, the sun comes shi­nin’ through.
I can’t belie­ve my eyes, all that mess belongs to you.

»Mess« war im Slang damals übri­gens noch was Gutes – Big Joe kann also nicht glau­ben, was sie für fei­ne Sachen unter dem Kit­tel hat. So oder so, für Bill Haley macht man daraus:

Wea­rin’ tho­se dres­ses, your hair done up so right,
Wea­rin’ tho­se dres­ses, your hair done up so right.
You look so warm, but your heart is cold as ice.

Sie trägt also nur noch nicht näher defi­nier­te Klei­der, was eigent­lich gar nichts sagt, da die alle Frau­en anhat­ten; wenn die Fum­mel wenigs­tens »tight« gewe­sen wären, der Reim, der sich dem Tex­ter doch auf­ge­drängt haben muss. Aber offen­sicht­lich war schon das zu ein­deu­tig. Und dass die Frau plötz­lich als eis­kalt bezeich­net wird? Nun ja, für Big Joe ist sie immer­hin der »Teu­fel«, weil sie sein Geld schnel­ler zum Fens­ter raus­wirft, als er es ver­die­nen kann. Blei­ben wir also lie­ber bei den Meta­phern. Und hier wird es erst rich­tig inter­es­sant, denn gera­de hier ist den Sau­ber­män­nern ein rich­tig fet­ter haben durch die Lap­pen gegan­gen. Heißt es doch in der »wei­ßen« wie der »schwar­zen« Ver­si­on des Songs »I’m like a one-eyed cat pee­pin’ in a sea­food store«.

I’m like a one-eyed cat pee­pin’ in a sea­food store,
I’m like a one-eyed cat pee­pin’ in a sea­food store.
Well I can look at you till you ain’t no child no more.

I’m like a one-eyed cat, pee­pin’ in a sea-food store,
I’m like a one-eyed cat, pee­pin’ in a sea-food store.
I can look at you, till you don’t love me no more.

Tja, und so put­zig das Bild von der Kat­ze in der Fisch­hand­lung auf den ers­ten Blick sein mag, es ist eine knall­har­te Sex­me­ta­pher ganz in der hand­fes­ten Tra­di­ti­on des Blues. Das Bild des Penis als »ein­äu­gi­ges« Wesen, meist ein Tier, ist alt und heu­te noch en vogue. Mei­ne Daten­bank spuckt auf die schnel­le zwei Dut­zend Bei­spie­le aus, von denen die »one-eyed trou­ser-sna­ke« wohl die geläu­figs­te ist.

Und der »sea­food store«? Nun, ich bin nicht ordi­nä­rer als Sie und kann nichts dafür, aber »fish« ist nun mal ein Bild für die »lady parts« aus einer Zeit in der die kör­per­li­che Hygie­ne noch tat­säch­lich ein Pro­blem war. Und es hat sich gehal­ten. Im Schwu­len­jar­gon etwa, der – Will & Grace unge­ach­tet – ein miso­gy­nes Ele­ment nicht leug­nen kann, fin­det sich »fish« noch heu­te immer wie­der als Meta­pher für »Frau«. Und im schwar­zen Slang hat­te die Anspie­lung nie etwas Nege­a­ti­ves gehabt. Ein wei­te­res berühm­tes Bei­spiel aus der popu­lä­ren Musik ist der Text zu »Hold Tight (Want Some Sea­food, Mama)«, einer alten Fats Wal­ler-Num­mer, die selbst der womög­lich nur gefun­den hat. Laut Sid­ney Bechet gab es sie bereits in New Orleans, als Fats noch ein klei­ner Bub war.

Want some sea food mama
Shrimps and rice they’­re very nice
I like oysters, lobsters too,
I like my tasty but­ter fish, fooo
When I come home late at night
I get my favo­ri­te dish, fish

Die Andrew Sis­ters (»Rum and Coca-Cola«) hat­ten mit »Hold Tight« 1939 einen Hit. Angeb­lich nahm man die Sin­gle vom Markt, als man dahin­ter kam, was es mit dem »sea­food« im Text auf sich hat­te.3 Ob dem tat­säch­lich so war, mag dahin­ge­stellt sein, Tat­sa­che ist, dass »sea­food« hier eben­so für Sex steht wie in ande­ren Bluestexten.

Neh­men wir Pee­tie Wheat­straw;4 bei ihm heißt es:

I want some sea­food, mama, and I don’t mean no tur­nip greens
I want some fish, oooh, well, well, and you know just what I mean.
I want fish, fish, mama, I wants it all the time.
I want fish, fish, mama, I wants it all the time.
The peo­p­les call it sea­food, oooh, well, well, all up and down
the line.
If you love your sea­food, you is a good fri­end of mine. (x2)
If you don’t love good fish, oooh, well, well, you bet­ter get on
some kind of time.
Pee­tie Wheat­straw, I Want Some Sea Food

Und Blind Boy Ful­ler wirft sei­ner »mama« in »What that smell like fish« vor, ihren »fish« einem ande­ren Kerl vor­ge­setzt zu haben:

What’s that smells like fish, baby?
Food, if you real­ly wants to know.
Smell like sar­di­nes and it ain’t in no can.
Same dog­go­ne thing you chu­cked at the other man.
What that smell like fish, mama?

Etwas »hot tuna«, gefäl­lig?

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  1. Charles E. Cal­houn ist nur ein Pseud­onym []
  2. IX.   Loca­ti­ons: The tre­at­ment of bed­rooms must be gover­ned by good tas­te and deli­ca­cy. Decem­ber 1956 []
  3. Ich habe die Behaup­tung vor Jah­ren mal in einem Forum gefun­den, aber nie nach einer Bestä­ti­gung gesucht. []
  4. mehr dazu in Paul Garon, Blues & the Poe­tic Spi­rit, New York: Da Capo Press, 1978 []
SlangGuy

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