Ich könnte nicht sagen, ob Übersetzungen heute schlechter denn je sind, das erforderte etwas umfassendere statistische Arbeit; ich kann nur sagen, dass sie trotz all der Möglichkeiten, die sich dem Übersetzer heute bieten, nicht besser geworden zu sein scheinen. Aber ehrlich gesagt, wie sollten sie auch? Übersetzerseitig tummeln sich heute in diesem Metier mehr blutige Amateure denn je.1 Und verlagsseitig sieht es nicht viel besser aus. Alles, was zu faul zum Arbeiten ist, bietet sich heute als freier Lektor an. Über das Lektorat – frei oder nicht – habe ich hier im Blog schon das eine oder andere gesagt, ich möchte die einschlägige Arie hier mal außen vor lassen; Tatsache ist, der Übersetzer hat heute weniger über den Inhalt »seiner« Übersetzung zu bestimmen denn je.2 Deshalb ist »das dreckige Dutzend« auch keine Übersetzerkritik, sondern eine Übersetzungskritik, will sagen eine Kritik des fertigen Produkts, das in jedem Falle besagtes Lektorat zu verantworten hat.3
Ich habe eben das mehr oder weniger verkaufsfertige Produkt »meiner« vorvorletzten Übersetzung zurückbekommen, Teil eines Schnellschusses zu einem aktuellen Thema, bei dem ich einer von vielen war.4 Im Begleitschreiben aus dem Lektoratsbüro heißt es sinngemäß, Hinweise auf »Böcke« nehme man gern entgegen, was natürlich reine Rhetorik ist. Ich meine, wann hätte ein Lektor schon mal einen Fehler gemacht?
Um es vorweg zu nehmen: Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte. Am Anfang sicher, aber wie soll man in zwei Tagen 278 Seiten einer lektorierten Übersetzung durchsehen, deren Redaktion nach folgenden Grundprinzipien erfolgte: 1) Es spielt keine Rolle, was da im Originaltext steht. Konkret: Es wurde, diplomatisch gesagt, »leicht gerafft«. Und 2) Was da im Originaltext steht, spielt überhaupt keine Rolle. Konkret: Der recht präzise geschrieben Originaltext wimmelt in der redigierten Übersetzung plötzlich von unpräzisen bis falschen Formulierungen. Und 3) Was der Übersetzer schreibt, ist wie eh und je piepegal. Mein Deutsch ist das einzig Mögliche. Konkret: Das altbackene 08/15-Deutsch des Lektorats ist in jedem Fall die gegebene Lösung.
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Kurz gesagt: Es wurden eine Unmenge Änderungen vorgenommen. Und die alte Faustregel »Je mehr Änderungen, desto mehr Fehler« greift wie eh und je. Es geht dabei nicht um die »Raffungen« an sich; das ist eine legitime Art des Übersetzens, gegen die ich gar nichts habe, nicht bei einem Sachbuch, aber man sollte dabei das Hirn einschalten (oder überhaupt eines haben). Das mag sich nun für viele nicht so dramatisch anhören, aber vielleicht haben Sie in diesem Fall ja mit Büchern nichts zu tun und sind mit jedem Satz zufrieden, der mit einigen »Stichwörtern« das »zu Sagende« irgendwie zu umreißen scheint. Die Präzision des Ausdrucks, nicht nur bei Hemingway Prinzip des Schreibens, halten Sie vermutlich für kolossal überschätzt. Dann kann Ihnen ein Satz(teil) wie der folgende natürlich egal sein:
»wie Par verzweifelt seiner Gefangennahme durch den Secret Service zu entgehen versucht«.
Das ist nicht aus meinem Teil der Übersetzung, aber falls das auf Konto des Übersetzers geht, hätte es geändert gehört – in meinem Teil wurden Hunderte von Wörtern so unnötig wie ungeniert durch andere ersetzt – »rotzdoof« durch »saublöd«, Herrgott noch mal! Da hätte »Gefangennahme« allemal geändert gehört. »Gefangennahme« gehört in den militärischen Bereich; der Duden definiert das Wort mit »das Entwaffnen und Festsetzen von Soldaten im Krieg«. Man hätte »Gefangennahme« durch »Verhaftung« oder »Festnahme« ersetzen müssen – und sei es auch nur aus derselben verschimmelten Konventionalität heraus, die »rotzdoof« in »saublöd« zu ändern sich bemüßigt sah. Aber das ist nun mal das Problem mit der Konventionalität – es steckt dahinter selten mehr als Phantasielosigkeit; mit Intelligenz jedenfalls hat sie nie was zu tun.
Aber nun endlich zum dreckigen Dutzend aus meinem Teil. Und falls Sie alles Folgende für pingelig halten, denken Sie immer daran, dass das Lektorat »pingelig« genug war, »rotzdoof« durch »saublöd« zu ersetzen.
»Eine Kopie von Deszip oder DES, ja überhaupt eines Verschlüsselungsprogramms aus den Vereinigten Staaten herauszuschaffen, war eine Straftat.«
»Powerspike und Electron kümmerte das angeblich wenig, wie sie sagten.«
Im Englischen heißt es da: »Powerspike and Electron told each other they didn’t really care.« Bei mir hieß das schlicht, die beiden »sagten einander, was soll’s«. Damit ist alles gesagt. Nicht nur läuft der neue »deutsche« Satz dem Konzept der Redaktion – die Kürzung – zuwider, er ist einfach falsch. Entweder wird hier doppelt gemoppelt: »angeblich« und »wie sie sagten«. Oder es wird mit »angeblich« eine neue Perspektive in den Satz gebracht, die eines Dritten, die aber im Ausgangssatz beim besten Willen nicht angelegt ist. Wie auch immer, ein derart lausiger Satz, würde nach jedem intelligenzbegabten Wesen schnappen, während es ihn zu Monitor bringt.
»Er zog einen Stuhl durch das Zimmer, stieg darauf und drückte gegen die Decke aus Gipskarton. Die rechteckige Platte war leicht anzuheben, und Par schob die Fotos ins Dunkel.«
Im Englischen Text heißt es hier: »He pulled a chair across the room, climbed on it and pressed on the ceiling. The rectangular panel of plasterboard lifted easily and Par slipped the photos in the space, then replaced the panel.« Man braucht kein Häuslebauer, noch nicht mal ein Heimwerker zu sein, um das Prinzip der Szene vor Augen zu haben; man hat es in Dutzenden von amerikanischen Krimis gesehen: die Decke ist abgehängt, und nicht etwa mit einer einzigen großen Platte, nein, mit vielen kleineren rechteckigen Platten, die sich in ihrem Rost einzeln anheben lassen. Da lässt sich dann rasch mal was verstecken. Mal eine Leiche, mal eine Tatwaffe, oder eben ein paar Fotos. In diesem »deutschen« Satz entsteht der Eindruck, hier hebe jemand die ganze Decke an. Eine Decke aus einer einzigen Gipsplatte würde ziemlich durchhängen. Sie müsste an irgendeine Art von Rost geschraubt sein – und dann ließe sie sich nicht mehr anheben. Und selbst dem Dümmsten müsste auffallen, dass eine ganze Rigips-Decke nie und nimmer »leicht« anzuheben wäre. Die Person hebt eines der vielen »Gips-Paneele«, wenn ich mir mal die Freiheit gestatten darf, in einem Rost an. Und schiebt die Fotos in den Spalt, der dabei entsteht.
»Gerade als er sich umdrehen wollte, ließ einer der Agenten seinen Blick über den zweigeschossigen Motelkomplex schweifen und blieb an Par hängen.«
Im Englischen heißt es hier: »Just as Par began to move, one of the agents turned around. He scanned the two-storey motel complex and his gaze quickly came to rest on Par.« Der Agent blieb an dem Gebäude hängen? Während er seinen Blick darüber schweifen lässt. Wieso in aller Welt muss eine – in diesem Fall ziemlich wörtliche – Übersetzung wie die meine geändert werden: »Par wollte sich eben abwenden, als einer der Agenten sich umdrehte. Sein Blick schweifte über den zweigeschossigen Motelkomplex, um im nächsten Augenblick an Par hängen zu bleiben.« Okay, man könnte aus dem »Augenblick« einen »Moment« machen, wenn einem der zweite Blick zuviel. Die doppelte Nennung des Protagonisten ist eines, nein, das einzig Nervige an dem Buch: Die Vornamen werden ad nauseam wiederholt. Aber einen Grund für einen derart lausigen deutschen Satz sehe ich nicht.
»Er erinnerte Theorem an ihre gemeinsamen Wochen in Kalifornien, und sie lachten leise über ihre intimen Geheimnisse.«
Im Englischen heißt es hier: »He reminded Theorem of their time together in California, of two and a half weeks, and they laughed gently over intimate secrets.« Warum um alles in der Welt lachen die beiden plötzlich »über ihre intimen Geheimnisse«? Hecheln die wirklich alle ihre intimen Geheimnisse durch. Vielleicht. Aber das steht nicht im englischen Satz. Außer einer spontanen Synapsenfehlzündung, wie sie leider beim Lektorat üblich ist, gibt es keinen irdischen Grund, diesen schlichten Satz zu ändern – oder durch eine Veränderung zu versauen.
»…was sie mit ihm im Gefängnis anstellen würden. Würde man ihn nicht lieber beseitigen? Die Frage ging ihm nicht aus dem Kopf.«
Im Englisch heißt es hier: »…of what the authorities would do to him in prison. The question of elimination loomed large in his mind.« Wieso sorgt man hier mit einem »nicht lieber« für einen verwirrenden Gegensatz. Es sollte simpel heißen: »Würde man ihn beseitigen?« »Im Gefängnis« ist damit gemeint. Es ist nicht davon die Rede, ob man ihn »nicht lieber« beseitigen würde, als ihn einzusperren. Ist das wirklich zu »fein«? Dann stellt sich natürlich anders herum wieder die Frage: Warum eine Änderung vornehmen? Offensichtlich erschien dem Änderer – gefällt mir immer besser – diese »Feinheit« ungeachtet ihrer Falschheit vonnöten.
Eine ähnliche völlig überflüssige Unklarheit entsteht in folgendem Fall: Wenn aus »Irgendetwas stimme in der Anlage nicht, sagte er Nibbler und Par.« folgendes wird: »Irgendetwas stimme in der Anlage nicht, stellte er fest.« Der englische Satz spielt hier gar keine große Rolle: »He told Nibbler and Par that something weird was happening in the motel’s phone system.« Mit »feststellen« ist nicht mehr klar, dass das indirekte Rede ist. Es kann sich auch auf das Ergebnis seiner Untersuchung beziehen. Auf den Ausgangsatz bezogen, ist es jedoch indirekte Rede und müsste »stimmte nicht« heißen oder etwas anderes für »feststellen«. Warum überhaupt für derlei Irritationen sorgen? Aber die Frage ist rein rhetorisch; man ist eben nicht mit dem Kopf dabei. Oder ist einfach nicht für diese Arbeit, die nun mal sprachliche Feinheiten impliziert, nicht ausreichend qualifiziert.
»Nach einigen Wochen hatte er plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Er fragte sich, ob die Motelgäste, die draußen in ihren Autos warteten, auf ihn angesetzte Spione waren, und begann Gespenster zu sehen«
»Was sie nicht wusste, war, dass die Jungs von MOD ihren Account dazu benutzten, das Altos-System zu hacken. Und dass es für alle so aussah, als sei sie es.«
»… als sei sie es.« WTF? Es ist mir schon klar, dass jeder sein eigenes Sprachgefühl hat…
Gleich noch was in dieser Richtung:
»Das Problem war nur, dass weder Par noch Theorem wussten, was Gandalf getan hatte.«
Wie gesagt, jeder hat sein eigenes Sprachgefühl. Aber warum muss ich mir Jahrzehnte lang das Sprachgefühl anderer aufdrängen lassen? In diesem Fall wurde mein »gemacht« durch »getan« ersetzt. Warum? Was zum Teufel geht denn das überhaupt jemanden an? Und doch kommt diese Art von penetranter Klugscheißerei (sorry, aber das ist es!) immer wieder vor. Es geht hier darum, dass jemand etwas »gemacht«, von dem der andere nichts gewusst hat. Und ich – mit meinem Sprachgefühl – sage eben: »Was hast du denn da wieder gemacht?« »Was hat der denn da gemacht?« »Was machst du denn da?« etc. Warum muss ich mir daraus »Was hast du denn da wieder getan?« »Was hat der denn da getan?« »Was tust du denn da?« etc. machen lassen? Ähnlich verhält es sich mit »hinab« und »hinunter«. Hauptsache, es wird ins Gegenteil geändert. Das nervt. Und die Frage ist immer wieder dieselbe: Warum muss man sich das von jemandem bieten lassen, der nicht zwischen »Gefangennahme« und »Verhaftung« bzw. »Festnahme« unterscheiden kann? Und das in einer gottverdammten Tour: »Was konnte Par tun?« »Was um alles in der Welt tat sie da Nacht für Nacht vor einem Monitor?« etc. Was willste machen? Was willst tun? Ne, tut mir Leid, bei mir heißt das eben »machen«.
Nerviger sind natürlich Fälle, in denen diese Unterschiede im Sprachgefühl zu schlichtem Dreck führen:
»Den Handel mit Passwörtern konnte Par nicht leiden, aber das musste jeder für sich entscheiden.«
»Mord kann ich nicht leiden«? Sprachgefühl? So jemand muss doch einen Nagel im Ohr haben! Im Englischen heißt es: »Par didn’t go in for selling passwords, but to each his own.« Ich hatte daraus gemacht: »Auf den Verkauf von Passwörter konnte Par nicht, aber jedem das Seine.« Ich will gar nicht darauf hinweisen, dass mein Version kürzer und dass der Ton besser getroffen – nein, nicht »besser«, das »nicht leiden können« ist hier einfach falsch. Da fehlt es nicht nur an Kenntnissen der deutschen Umgangssprache, da fehlt es Sprachgefühl überhaupt.
»Par starrte gegen die bröckelnde, graue Wand eines alten Raums und sah den Polizisten beim Tippen ihrer Berichte auf alten, elektrischen Schreibmaschinen zu.«
Im Englischen heißt es: »the peeling grey paint«, was mir mit »die schuppige graue Wand« auch auf einen zweiten Blick hin anschaulich übersetzt scheint. Wo zum Geier ist hier davon die Rede, dass die Wand »abbröckelt«? Die Farbe blättert ab, Herrgottnochmal! Warum zwischen »bröckelnde« und »grau« ein Komma muss, ist mir schleierhaft. Völlig unterschlagen ist »beim Tippen der Berichte im Adler-Such-System« (»using the two-finger hunt-and-peck method«). Geht halt über den Horizont.
Das geht ewig so weiter, Seite für Seite; auf der eben zitierten wird sogar plötzlich ein Agent des Secret Service zum »Cop«! Mir wird das zu blöde. Ich denke »das dreckige Dutzend« ist ein gutes Konzept. Man wüsste sonst nicht, wo man aufhören sollte. Das uralte Rätsel erhebt wieder das hässliche Haupt: Wenn es keine Rolle spielt, was da im Englischen steht – warum lässt man dann nicht einfach die Version des Übersetzers stehen? Nun, die Antwort darauf liegt natürlich auf der Hand.
Sie halten das alles für Albernheiten, für Lappalien? Nun, dann sollten sie Bücher vielleicht gar nicht erst kaufen dürfen, noch nicht mal als Untersetzer für einen wackligen Schrank. Ach, Ihre Schränke wackeln nicht? Natürlich nicht, weil Sie einem Schreiner – oder Ikea – so ein mangelhaftes Produkt erst gar nicht abkaufen würden! Nur in Büchern kaufen Sie jeden Mist.
Und falls Ihnen das jetzt etwas lang vorkam für zwölf poplige Schnitzer: Man hat sich das als Übersetzer eben alles überlegt, sich alle diese Gedanken gemacht, bevor man den Punkt hinter einen Satz gesetzt hat. Ich habe kaum je einen Satz übersetzt, bei dem nicht – automatisch – ein Dutzend Versionen aus den Fingern kamen, die ich abgewogen / abgewägt und verworfen habe, bevor ich mich für eine Lösung entschied. Das Letzte, was ich brauche, ist eine »spontane« Änderung von jemandem, der sich all diese Gedanken so offensichtlich nicht macht.
Die eigentliche Frage sollte doch sein: Stellen derlei Änderungen tatsächlich die intendierte Verbesserung dar?
Ich denke, die Frage kann sich jetzt auch der Laie leicht beantworten. Der schlechte Witz bei der ganzen Geschichte ist immer derselbe: Der Übersetzer, oder jedenfalls der professionelle Übersetzer, macht sich diese Gedanken eben alle. Das geht ganz automatisch. Da fließen Hunderte von früheren Erfahrungen ein. Und wenn einem mal was durch die Lappen geht, dann findet man das im zweiten oder dritten Durchgang. Hier und da bleibt mal etwas stehen. Und genau das zu finden, wäre die Aufgabe des Lektorats. Und nicht in überheblicher, hirnloser Selbstherrlichkeit den ganzen lieben langen Text mit Ungenauigkeiten und Fehlern verschmieren…6
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