Wir verachten die Wortschrift der Chinesen. Aber, da die Aufgabe aller Schrift ist, in der Vernunft des Andern, durch sichtbare Zeichen, Begriffe zu erwecken; so ist es offenbar ein großer Umweg, dem Auge zunächst nur ein Zeichen des hörbaren Zeichens derselben vorzulegen und allererst dieses zum Träger des Begriffes selbst zu machen: wodurch unsere Buchstabenschrift nur ein Zeichen des Zeichens ist. Es frägt sich demnach, welchen Vorzug denn das hörbare Zeichen vor dem sichtbaren habe, um uns zu vermögen, den geraden Weg vom Auge zur Vernunft liegen zu lassen und einen so großen Umweg einzuschlagen, wie der ist, das sichtbare Zeichen erst durch Vermittlung des hörbaren zum fremden Geiste reden zu lassen; während es offenbar einfacher wäre, nach Weise der Chinesen, das sichtbare Zeichen unmittelbar zum Träger des Begriffes zu machen und nicht zum bloßen Zeichen des Lautes; um so mehr, als der Sinn des Gesichts für noch mehrere und feinere Modifikationen empfänglich ist, als der des Gehörs, und auch ein Nebeneinander der Eindrücke gestattet, dessen hingegen die Affektionen1 des Gehörs, als ausschließlich in der Zeit gegeben, nicht fähig sind. —
1) Wir greifen, von Natur zuerst zum hörbaren Zeichen, und zwar zunächst um unsre Affekte, danach aber auch, um unsre Gedanken auszudrücken: hiedurch nun gelangen wir zu einer Sprache für das Ohr, ehe wir nur daran gedacht haben, eine für das Gesicht zu erfinden. Nachmals aber ist es kürzer, diese letztere, wo sie nöthig wird, auf jene andere zurückzuführen, als eine ganz neue, ja, ganz anderartige Sprache für das Auge zu erfinden, oder respektive zu erlernen, zumal da man bald entdeckte, dass die Anzahl der Wörter sich auf sehr wenige Laute zurückzuführen und daher, mittelst dieser, leicht ausdrücken läßt.
2) Das Gesicht kann zwar mannigfaltigere Modifikationen fassen, als das Ohr: aber solche für das Auge hervorzubringen, vermögen wir nicht wohl ohne Werkzeuge, wie doch für das Ohr. Auch würden wir die sichtbaren Zeichen nimmer mit der Schnelligkeit hervorbringen und wechseln lassen können, wie, vermöge der Volubilität der Zunge, die hörbaren; wie Dies auch die Unvollkommenheit der Fingersprache der Taubstummen bezeugt. Dieses also macht, von Hause aus, das Gehör zum wesentlichen Sinne der Sprache, und dadurch der Vernunft. Demnach nun aber sind es im Grunde doch nur äußerliche und zufällige, nicht aber aus dem Wesen der Aufgabe an sich selbst entsprungene Gründe, aus welchen hier ausnahmsweise der gerade Weg nicht der beste ist. Folglich bliebe, wenn wir die Sache abstrakt, rein theoretisch und a priori betrachten, das Verfahren der Chinesen das eigentlich richtige; so daß man ihnen nur einige Pedanterie vorwerfen könnte, sofern sie von den empirischen, einen andern Weg anrathenden Umständen dabei abgesehn haben. Inzwischen hat auch die Erfahrung einen überaus großen Vorzug der chinesischen Schrift zu Tage gebracht. Man braucht nämlich nicht Chinesisch zu können, um sich darin auszudrücken; sondern Jeder liest sie in seiner eigenen Sprache ab, gerade so, wie unsre Zahlzeichen, welche überhaupt für die Zahlenbegriffe Das sind, was die chinesischen Schriftzeichen für ale Begriffe; und die algebraischen Zeichen sind es sogar für abstrakte Größenbegriffe. Daher ist, wie mich ein englischer Theehändler, der fünf Mal in China gewesen war, versichert hat, in allen indischen Meeren die chinesische Schrift das gemeinsame Medium der Verständigung zwischen Kaufleuten der verschiedensten Nationen, die keine Srache gemeinschaftlich verstehn. Der Mann war sogar der festen Überzeugung, sie würde einst, in dieser Eigenschaft, sich über die Welt verbreiten. Einen hiemit ganz übereinstimmenden Bericht giebt J.F. Davis in seinem Werke The Chinese, London 1836, cap. 15.
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