So sicher wie dass alle Jahr’ das Ros entspringt, so sicher dürfen Sie sein, dass eine Woche später weltweit ein Song gegrölt wird, der dem schottischen Dichter Robert Burns zugeschrieben wird, obwohl er selbst gesagt hat, es sei weder der Text von ihm noch die Melodie. Ich spreche von »Auld Lang Syne«, klar, aber jetzt die Sylvester-Preisfrage, die Ihnen noch niemand gestellt hat: Was hat »Auld Lang Syne« mit Traffic, einer der kultigsten Bands der Sixties, zu tun?
Nun, ganz einfach: So wie »Auld Lang Syne« dem schottischen Nationaldichter Robert Burns zugeschrieben wird, stammt auch der Text des wohl bekanntesten Traffic-Songs von Robert Burns. Jedenfalls in dem Maße, in dem Maße, in dem »Auld Lang Syne« von ihm stammt. Doch davon weiter unten mehr. Singen Sie doch, falls Sie alt genug sind, bei folgenden Zeilen mit:
There was three Kings into the east,
Three Kings both great and high,
And they hae sworn a solemn oath
John Barleycorn should die.
Die Kundigen unter Ihnen werden’s gemerkt haben: Es ist der Traffic-Text und doch auch wieder nicht. Vergleichen Sie selbst:
There were three men came out of the west,
their fortunes for to try.
And these three men made a solemn vow
John Barleycorn must die.
Es ist nur eine frühere Version der alten Ballade, die wenigstens auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Soweit die Quizfrage. Die Frage, die sich hier hinsichtlich Robert Burns stellt, hat etwas von der, der ich hier im Fall von Bob Dylan nachgegangen bin, nämlich der des Plagiats – oder besser der, inwieweit sich ein Dichter – oder Liedermacher – in den Folkprozess eingegliedert sieht. Aber auch darum soll es hier nicht gehen.
Als ich anno dunnemals »John Barleycorn« das erste Mal hörte, fand ich die Geschichte, soweit ich sie verstand, recht brutal.1 Grimms Märchen kommen mir in den Sinn, die auch nicht gerade zartbesaitet sind – und auch nicht eigentlich von den Gebrüdern Grimm, die sie ja nur gesammelt, aber eben auf ihre ganz eigene Art nacherzählt haben.
Seit »Nowhere Man«2 mit einschlägigem Interesse vorbelastet, kam ich denn dahinter, dass John Barleycorn die personifizierte Gerste ist, mit der man gar so brutal verfährt. Die dann zu Bier oder Whiskey verarbeitet wird. Hat Robert Burns als Schotte die Ballade deshalb nachgedichtet bzw. aufgezeichnet?
Übrigens erinnert Burns mit nicht nur »John Barleycorn«’s wegen an die Sechziger-Jahre. Wo immer man nachliest, hört man nur Gutes über den Mann, er muss ein netter Kerl gewesen sein. Und wissen Sie, über wen man das sonst noch sagt? Nun, über eine weitere klassische Band der Sixties: The Small Faces. Ich habe zentnerweise Biographien gelesen, die einzigen Leute, über die nirgendwo was Abfälliges zu lesen ist, sind die Jungs von den Small Faces. Mal abgesehen davon, dass die Ärmsten Marianne Faithfulls erster Nacht mit Mick Jagger in die Quere kommen. Marianne erzählt in ihrer Autobiographie, wie sie praktisch so gut wie in Micks Armen lag, als es bei Jagger klingelt: »Und verdammte Scheiße, die Klingel ertönte, und wer spaziert herein? Die Small Faces, alle Mann hoch, mit ihrer ganzen Ausrüstung, den Verstärkern, Gitarren und Mikroständern. Gott! Auf dem Höhepunkt unseres Trips kamen sie vorbei und wollten jammen.«3
Okay, wo waren wir? »John Barleycorn«.
They took a plough and plough’d him down,
Put clods upon his head.
And they hae sworn a solemn oath
John Barleycorn was dead.
Soweit Burns. In Traffics traditioneller Version geht das so:
They’ve ploughed, they’ve sown,
they’ve harrowed him in
Threw clods upon his head
And these three men made a solemn vow
John Barleycorn was dead.
Wieder Burns:
But the cheerfu’ Spring came kindly on,
And show’rs began to fall;
John Barleycorn got up again.
And sore surpris’d them all.
Und Traffic:
They’ve let him lie for a very long time,
‘til the rains from heaven did fall
And little Sir John sprung up his head
and so amazed them all.
Traffics Version ist etwas kürzer. Vielleicht haben Winwood & Co. sich ein paar Verse geschenkt. Immerhin ist es ein Song, selbst in den jamverliebten Sechzigern. Bei Burns jedenfalls geht es folgendermaßen weiter:
They’ve let him stand ‘til Midsummer’s Day
‘til he looked both pale and wan
And little Sir John’s grown a long long beard
and so become a man.The sultry suns of Summer came.
And he grew thick and strong,
His head weel arm’d wi’ pointed spears,
That no one should him wrong.The sober Autumn enter’d mild,
When he grew wan and pale ;
His bending joints and drooping head
Show’d he began to fail.His colour sicken’d more and more,
He faded into age;
And then his enemies began
To shew their deadly rage.
Okay, Traffic haben sich, traditional hin oder her, den Reifeprozess geschenkt. Jetzt wird’s brutaler. Ich entsinne mich vor allem der Zeile »to cut hin off at the knee«. Ich wusste ja die ersten paar Male hören nicht, worum es ging.
They’ve hired men with their scythes so sharp
to cut him off at the knee
They’ve rolled him and tied him by the waist
serving him most barbarously.
Bei Burns geht das so:
They’ve ta’en a weapon, long and sharp,
And cut him by the knee;
Then tied him fast upon a cart,
Like a rogue for forgerie.They laid him down upon his back.
And cudgell’d him full sore;
They hung him up before the storm.
And turn’d him o’er and o’er.
Und bei Traffic:
They’ve hired men with their sharp pitchforks
who’ve pricked him to the heart
And the loader he has served him worse than that
For he’s bound him to the cart.
In beiden Versionen geht’s dem armen John Barleycorn nicht weniger schlimm als der armen indischen Studentin, die sich von einem halben Dutzend Dreckskerlen totschlagen lassen musste, nur weil die Kultur es so und nicht anders will …4
They filled up a darksome pit.
With water to the brim.
They heaved in John Barleycorn,
There let him sink or swim.They laid him out upon the floor,
To work him farther woe,
And still, as signs of life appear’d,
They toss’d him to and fro.They wasted, o’er a scorching flame,
The marrow of his bones;
But a miller us’d him worst of all,
For he crush’d him between two stones.
Bei Traffic ist das alles wieder kürzer:
They’ve hired men with their crabtree sticks
to cut him skin from bone
And the miller he has served him worse than that
For he’s ground him between two stones.And they hae ta’en his very heart’s blood,
And drank it round and round;
And still the more and more they drank,
Their joy did more abound.John Barleycorn was a hero bold,
Of noble enterprise,
For if you do but taste his blood.
‘Twill make your courage rise;
Bei der Traffic lautet der vorletzte Vers:
And little Sir John and the nut brown bowl
and his brandy in the glass
And little Sir John and the nut brown bowl
proved the strongest man at last.
Bei Burns endet die Ballade folgendermaßen:
‘Twill make a man forget his woe;
‘Twill heighten all his joy;
‘Twill make the widow’s heart to sing,
Tho’ the tear were in her eye.Then let us toast John Barleycorn,
Each man a glass in hand;
And may his great posterity
Ne’er fail in old Scotland!
Bei Traffic hört sich das weniger nationalistisch an:
The huntsman he can’t hunt the fox
nor so loudly to blow his horn.
And the tinker he can’t mend kettle or pots
without a little barleycorn.
Mag sein, dass der eine oder andere meint, das habe nicht miteinander zu tun, aber noch vierzig Jahre später ist es mir bei Traffics »John Barleycorn« nicht möglich, nur die übertragene Bedeutung zu hören. Der Song schmerzt nach wie vor. Und deshalb erinnert er mich dieser Tage, gerade heute, am Tag ihres Todes, an die 23-jährige Inderin, die nichts weiter wollte, als Physiotherapeutin zu werden…
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