Sagt der Richter zum Angeklagten: »Erzählen Sie mir, ob Sie sich schuldig bekennen.«
Sagt die Kleine abends zur Mama: »Sagst du mir noch ein Märchen?«
Sie wissen sofort worauf ich hinauswill, ja? Ich spreche hier wirklich nicht von feineren Unterschieden wie dem zwischen »jemanden treffen« und »jemandem begegnen«, nein, ich spreche von dem Unterschied zwischen »jemandem etwas sagen« und »jemandem etwas erzählen«. Das ist ein Riesenunterschied — etwa vergleichbar wie dem zwischen »das« und »dass«.
Interessanterweise hätte man, wäre man tatsächlich von einem anderen Stern auf deutschen Boden gefallen, wirklich seine Schwierigkeiten, den Unterschied anhand des Wörterbuchs auszuklamüsern. Wo soll er anfangen?
sagen …
1. a) (Wörter, Sätze o. Ä.) artikulieren, aussprechen: etw. laut, leise, deutlich, im Flüsterton, vorwurfsvoll s.;
2. a) (Worte, Äußerungen) an jmdn. richten: ich habe das nicht zu dir, sondern zu Peter gesagt; jmdm. Komplimente, Grobheiten, tröstende Worte, ein paar aufmunternde Worte s.;
© 2000 Dudenverlag
3. a) (Gedanken, Inhalte) mit Worten vermitteln, zum Ausdruck bringen; aussagen…1
Ich habe nur eine Handvoll herausgepickt aus dem Rieseneintrag zu »sagen« im Duden. unter »erzählen« heißt es:
erzählen <sw..; hat> [mhd. erzeln, erzellen = aufzählen, berichten]: a) schriftlich od. mündlich auf anschauliche Weise darstellen: gut, spannend e. können; eine [erdachte] Geschichte, eine Anekdote e.; den Kindern ein Märchen e.; erzähle keine Märchen! (lüg nicht so!); der soll mir nur kommen, dem werd’ ich was e.! (ugs.; meine Meinung sagen!); Ü der Film erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe; die erzählende (epische) Dichtung; b) berichten: den Hergang eines Unfalls e.; er hat viel von ihm, über ihn erzählt; er erzählte, dass er…; er kann etwas e. (er hat viel erlebt); erzähle mir, wie alles gekommen ist; ich habe mir e. lassen (man hat mir berichtet), dass…; das kannst du einem anderen, deiner Großmutter e./mir kannst du viel e. (ugs.; das glaube ich dir nicht); von einer Reise, aus seinem Leben e.; c) [in vertraulicher Unterredung] mitteilen, sagen: man kann ihm alles e., was einen innerlich beschäftigt; sie erzählt alles ihrer Freundin; du darfst aber niemandem [etwas] davon e.!2
Da bekommt man schon eher ein Gespür für den gewissen Unterschied. Aber darum geht es mir eigentlich hier gar nicht. Es gibt so etwas wie ein Sprachgefühl. (Der Link zu Wikipedia entbehrt damit nicht einer gewissen Ironie…) Bei gewissen Dingen muss man nicht nachschlagen, man muss sie noch nicht mal erklären können.Das ist wie bei besagtem Unterschied zwischen »das« und »dass«. Relativproomen? Subjunktion? Man muss kein Deutschlehrer sein, um das nicht falsch zu machen. Ebenso weiß man, wo ein Dativ steht, wo ein Akkusativ. Da muss man nicht sämtliche Präpositionen mit dem einen oder anderen Fall aufzählen können wie jemand, der Deutsch gerade frisch als Fremdsprache lernt. Man hat die Litanei vergessen, macht es aber instinktiv richtig, so wie man sich die Schuhe ordentlich binden kann. Und das ist es, worum es mir als Übersetzer geht, um das Sprachgefühl. Man weiß, dass es etwas richtig ist, weil man es einfach spürt, weil man es im Urin hat. Und je mehr so ein Mist dieses Sprachgefühl verwässert, desto frustrierender wird die Übersetzerei für den, dem noch ein bisserl was von diesem Sprachgefühl übrig geblieben ist.
Für einen Übersetzer ist diese Entwicklung der deutschen Sprache vergleichbar mit dem, was ein ordentlicher Koch empfinden müsste, würden alle plötzlich Kacke für das Gericht schlechthin halten, und ich meine jetzt nicht Fastfood, sondern das, was Ihnen Ihr Fifi beim Gassigehen in die Wiese setzt, damit der nächste reinsteigt. »Reinsteigt«, »reintritt«, Sie sehen, was ich meine. Aber hier kommen weitere Feinheiten ins Spiel. Feinheiten, die einen womöglich wiederum dazu veranlassen könnten, doch »erzählen« zu setzen anstatten »sagen«. Aber das ist es ja: es geht hier nicht um Feinheiten…
Und noch was: Falls es sich hier um eine Maschinenübersetzung handelt, dann sollte man eben Maschinen in einem Massenmedium wie dem Internet einfach nicht übersetzen lassen. Die breite Masse ist einfach nicht sprachmündig genug für einen derartigen Mist… Übersetzungen gleichen heute mehr und mehr denen von Maschinen, und das Maschinenvolk, das sind die »hippen« Idioten, die allem Neuen huldigen, plappert diesen Mist nach. Und irgendwann muss ich diesen Mist in meine Übersetzungen schreiben, weil ihn mir irgendein sprachloser Trottel verlagsseitig sowieso reinschmieren wird…
… mit Sicherheit jedoch möchte ich diese Art von depperten Übersetzungsfehlern nicht in einer Enzyklopädie sehen.
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