Gestatten Sie mir wieder mal ein Lamento über das ewige Kreuz mit dem Lektorat oder – besser gesagt – darüber, wie es hierzulande in der Regel gehandhabt wird. Wieder mal, ja, aber da das Problem die letzten Jahrzehnte über nur noch schlimmer geworden ist, kann es gar nicht oft genug angesprochen werden. Und da’s die Kollegen nicht machen, hier eben mein Lamento #99 – und es wird schwerlich das letzte sein …
Neulich sah ich mich – wieder mal – verlagsseitig (& recht aggressiv) gefragt, woher ich denn wüsste, dass ich »Recht habe«,1 und das nicht etwa anlässlich einer konkreten Diskussion um eine von mir getroffene Übersetzungsentscheidung, nein, ganz grundsätzlich – eine Frage, die lauthals unausgesprochen »Erfahrungen« mit Übersetzern als »aufgeblasenen Rechthabern« impliziert oder »empfindlichen Diven«, wie ich auch schon mal gelesen habe.
Die simple Antwort wäre natürlich: Es geht nicht ums Rechthaben, es geht darum, was richtig ist. Darum, wissen, was richtig ist. Und warum ich das in der Regel weiß? Weil ich meinen Beruf tatsächlich »gelernt« habe. Oder wenigstens habe ich das versucht. Und das seit Ende der 60er-Jahre, als ich mir die Übersetzerei als Beruf vorstellen konnte. Und damals musste man einen Beruf noch erlernen. Ich hatte keine Ahnung, wie man Übersetzer werden sollte, aber ich begann Wörter und deren Bedeutungen auf Ringbuchblätter zu notieren und auswendig zu lernen. Eine glückliche Fügung bescherte dann meinem Gymnasium das Pilotprojekt Kollegstufe und damit den Leistungskurs Englisch. Und dann habe ich eben Anglistik studiert.
Und nichts davon hat mich zum Übersetzer gemacht. Schon gar nicht die zahllosen Übersetzungskurse im Studium, bei denen man nur immer über die geforderte depperte Wörtlichkeit hinausübersetzt hat. Übersetzen habe ich gelernt, indem ich – für mich – ganze Bücher übersetzt habe. Kürzere sicher, aber immerhin. Ich erinnere mich noch an John Steinbecks The Pearl und so einige Krimis von Carter Brown, weil die mit ihren 128 Seiten perfekt dafür waren. Dass ich auf dem richtigen Weg war, merkte ich, als mir mal ein englischer Gastdozent – zu Unrecht – vorwarf, ich hätte mir meinen Hausaufsatz von einem Amerikaner schreiben lassen. Immerhin ein veröffentlichter Dichter, der Mann.
Und ich hatte längst angefangen, Übersetzungen zu sammeln – englisches Buch, deutsches Buch – und mir Passagen davon anzusehen.
Aber zurück zu unserer Frage, auf die ich Folgendes hätte sagen können: Es geht angesichts dessen, was ich seit nunmehr über drei Jahrzehnten in meine Manuskripte geschmiert bekomme, beim besten Willen nicht um die Gewissheit, Recht zu haben, oder ums Recht-haben-wollen an sich; es genügt in der Regel völlig zu wissen, dass etwa sieben von zehn – ich habe jahrelang Buch geführt, als ich noch dachte, das ändert sich zum Besseren – verlagsseitig vorgenommenen Änderungen zwischen nervig überflüssig und totalem Schwachsinn rangieren.2 Oder damit’s auch der Letzte kapiert: Es geht bei solchen Diskussion doch selten darum, ob es sich hier um Spaghetti oder Farfalle oder gar Tortellini handelt, es geht darum, dass ein Haufen Mist nie und nimmer Pasta ist.
Bleiben Sie hier, das ist keine Einbildung oder bloße Bösartigkeit. Lassen Sie mich, um nicht gleich nochmal in den Geruch himmelschreiender Aufgeblasenheit zu kommen, aus dem Lektorat, der »Korrektur« meiner letzten Arbeit also, zitieren:
»interesierte« – »ihren Wasserbecher anzureichen« – »sondern auch und die Signale ihres Körpers« – »unser geleibtes Kind« »ich zog weiterer Kreise« – »den ich besorgte hatte« – »in beide Richtung gehen« – »die Kinder hatte große Freude« … »Was es zu viel des Guten gewesen?« … »schob sie die Hänge nach oben« etc. etc. etc.
Ich zitiere hier aus dem pdf eines fertigen Umbruchs, nicht etwa aus dem »korrigierten« Manuskript (ein solches habe ich nie zu sehen bekommen). Ich hätte mir diesen Umbruch nur mal »ansehen«, sprich: ihn als druckreif abnicken sollen. Auf die Übersetzung an sich hätte ich, anders gesagt, ohnehin keinen Einfluss mehr nehmen können.
Woher ich weiß, dass ich Recht habe? Hier geht’s nicht um Recht haben, hier braucht’s einen Hundebeutel, sonst nichts. Oder anders gesagt: Muss man wirklich mit Leuten, die dergleichen & mehr Mist als »Lektorat« definieren, auch noch Übersetzungslösungen diskutieren wollen?3 Gauben Sie wirklich, jemand, der so arbeitet, hat irgendwann in seinem Leben tatsächlich die Notwendigkeit verspürt zu lernen, was es bräuchte, um eine Übersetzung tatsächlich zu korrigieren? Und falls mir der Laie, der sich hierher verirrt hat, nicht glauben will, gucken Sie doch mal in einen anderen meiner letzten Titel,4 da finden Sie derlei Mist seitenweise gedruckt. Warum? Na, weil da genauso lektoriert wurde, nur habe ich das nicht noch mal auf meine Kosten korrigiert, weil ich es mir bei 70er-Jahre-Honorar schlicht nicht leisten kann, in einem 400-Seiten-Schinken die »Korrekturen« des Lektorats zu korrigieren. Und dann habe ich, was die Übersetzung an sich anbelangt, immer noch nichts zu sagen – selbst, wenn ich das dürfte, reicht’s dazu einfach beim besten Willen nicht mehr.5
Natürlich könnte ich auch einfach darauf hinweisen, wie beleidigend es ist, davon auszugehen, ach was, auch nur auf den Gedanken zu kommen, dass ich mich meiner Arbeit auf dieselbe schlampige Art & Weise »entledige«. Wie gesagt, ich könnte das eben Gesagte sagen, tu’s aber nicht. Lassen Sie mich das Problem lieber grundsätzlicher , also sachlich angehen …
… mit einer Gegenfrage: Wenn Sie Ihre Bremsen zum Einstellen geben, warum fragen Sie dann nicht, woher die in der Werkstatt wissen, dass sie das »richtig machen« – spirch: dass die dort Recht haben? Sie fragen weder, wer das macht, noch ob der Betreffende dazu auch in der Lage ist, und das obwohl Sie fünf Minuten nach Abholen Ihres Wagens sterben könnten, wenn diese Person Mist gebaut hat. Sie kämen noch nicht mal auf die Idee, an den Kompetenzen der Werkstatt zu zweifeln! Warum? Nun, weil Sie selbstverständlich davon ausgehen, dass derjenige, der das macht, sein Handwerk gelernt hat. Geschweige denn, dass Sie hinterher selber an Ihrer Schüssel rumschrauben, um die Arbeit Ihrer Mechaniker zu »korrigieren« – ob’s das nun braucht oder nicht, Sie können das eben besser als die.
Übersetzen ist der einzige Beruf, in dem die Kundschaft einen anfeindet, weil man etwas gelernt hat, was sie nicht kann.
Kombiniert man das mit unserem Problem, impliziert die oben zitierte Frage Folgendes: Beim Übersetzen schließt man diese Möglichkeit, nämlich selbiges als Handwerk erlernen zu können, ganz offensichtlich aus. Anders gesagt: Wieso sollte so ein Übersetzer mehr wissen oder können als ich? Echt jetzt? Mehr oder weniger rudimentärer Spracherwerb am Gymnasium (was immer auch schon mit »Englisch können« und das wiederum mit »Übersetzen können« gleichgesetzt wird) und fertig ist die Laube fürs Leben. Oder anders gesagt: Beim Übersetzer schließt man die Möglichkeit, etwas über Leistungskurs Englisch & Anglistikstudium hinaus lernen zu können (sprachlich wie übersetzungstechnisch), ganz offensichtlich grundsätzlich aus. Oder um den Lektorengedanken dahinter konkret auszusprechen: Was kann so einer in fünfzig Jahren Beschäftigung mit der Übersetzerei schon groß gelernt haben?6 Was wiederum impliziert: Was ich nicht mit der Muttermilch aufgesogen habe oder rasch mal nachschlagen kann.
Beim Übersetzen schließt man diese Möglichkeit, nämlich selbiges als Handwerk erlernen zu können, ganz offensichtlich aus.
Nun, selbst wenn dem so wäre,7 man kann sehr wohl dazulernen über Leistungskurs Englisch & Anglistikstudium hinaus. Voraussetzung dafür ist natürlich Interesse an der & Leidenschaft für die Materie. Passen Sie auf …
Es geht nicht darum, Recht zu haben, es geht darum zu wissen, was man macht. Deshalb sollten Sie jetzt eigentlich erst mal den Artikel hier lesen: »›in an agony of‹ – von den Agonien übersetzerischer Fortbildung«. Ich weiß, Sie werden’s nicht tun, es ist durchaus ein Aufwand, aber klicken Sie sich ruhig mal hin. Überfliegen Sie das. Es geht mir lediglich darum, Ihnen klarzumachen, welche Arbeit alleine in diesem Artikel steckt. Und dass sich die in der gesamten Verlagsgeschichte auch nicht ein Lektor gemacht hat. 8 Und jetzt rechnen Sie das mal auf eine fünfstellige Zahl von Wörtern & Wendungen hoch, die ich mir seit den 60er-Jahren auf diese Weise erarbeitet habe. Und diese Arbeit fällt größtenteils in die Zeit, in der man seine Bibliothek noch nicht in Satzdatenbanken unterbringen konnte, um Sie durchsuchbar zu machen.
Heute geht das einfacher, zumindest wenn man sich die Mühe gemacht hat, für einen Korpus zu sorgen. Selbst wenn das Arbeit ist. Aber nicht nur habe ich als Nerd meine Freude dran, es ist nun mal mein Beruf & einen Beruf sollte man nicht nur erlernen, sondern sich auch darin fortbilden. Ein Textmining-Tool wie etwa Wordsmith (das ich persönlich am liebsten benutze), zaubert da kleine Wunder an Material zur weiteren Verarbeitung aus den Texten. Das sieht dann beispielsweise für eine simple Suche nach »goof« und »off« folgendermaßen aus.
Wenn Sie da nun vierzig Jahre gesammelt & die entsprechenden deutschen Übersetzungen zusammengetragen haben, dann haben Sie eine ausgezeichnete Möglichkeit, genau das zu tun, was Ihrer Ansicht nach nicht geht: dazuzulernen. Es ist freilich mit Arbeit verbunden, ja.
Sie sollten Freude an der Beschäftigung mit der Fremdsprache haben, von der eigenen ganz zu schweigen. Ich verlange ja gar nicht, dass Sie schon in den 60er-Jahren am Familienradio in der Küche gedreht haben, um den auf AFN zu stellen. Nur können Sie dann auch nicht nachempfinden, wie es war, dort auf die gruseligen Hörspiele aus der Whistler-Serie zu stoßen, und – muss ich es wirklich aussprechen? – was das für Ihre Englischkenntnisse tut. Wenn Sie jedoch heute, in Zeiten des Internets, noch immer nicht jeden Tag auf Entdeckungstour gehen und sich etwa den Whistler anhören, wenn Sie zwar »Schwarze Serie« im Munde führen, weil man ja ach so gebildet ist, sich die Filme nicht aber nicht auch tatsächlich angeguckt haben, z.B. hier, wenn Sie nicht jeden Mittag die Jeremy Vine Show auf BBC2 hören, Hörspiele auf BBC4extra, wenn Sie nicht wenigstens ein Netflix-Abo haben,9 wenn Sie bei alledem nicht ständig Stift & Zettel zum Notieren bei der Hand haben, wenn nicht alles, was Sie gesehen & gehört haben, Wort für Wort in Ihre Datenbanken wandert … tja, dann teilen wir diese Freude am Englischen nicht, zu schweigen vom Übersetzen, aber dann haben Sie auch nicht gelernt, was ich in den letzten 50 Jahren gelernt habe, und die Illusion der Unfehlbarkeit, die hinter einer Frage steht, wieso ein popliger kleiner Übersetzer wie ich meint, er könnte Recht haben, sprich: womöglich tatsächlich was wissen!, sollte sich doch spätestens jetzt als solche erweisen … und eigentlich der Freude darüber weichen, dass Sie einen Idioten wie mich gefunden haben, der nichts lieber macht, als zu übersetzen, und ihm nicht weiter die Zeit stehlen mit Dreck wie dem oben zitierten. Yeah right, I should be so lucky …
Schön, als nächstes schauen Sie mal in zwei Bücher von mir rein: American Slang und Explicit Hiphop. Nicht, weil ich damit angeben will. (Zu sehr bin ich mir des Umstands bewusst, was da alles fehlt & wie alt die schon wieder sind.) Was Sie sich klar machen sollen ist, dass da Jahrzehnte Arbeit (= Beschäftigung mit der englischen und der deutschen Sprache) drinstecken – und auch diese fiel wiederum in die Zeit, als man noch meterweise Bücher mit dem Textmarker lesen musste, um sich dieses Wissen zusammenzutragen. Und wenn diese beiden Titel heute noch die weltweit größten zweisprachigen Slang-Wörterbücher ihrer Art sind,10 dann liegt das daran, dass sich diese jahrelange Arbeit eben kein Aas machen will. Nicht nur weil es leichter ist, sich einzubilden, das alles mit der Muttermilch aufgesogen zu haben oder sich »Wissen« ergooglen (det jeht nich!) zu können, sondern auch weil Ihnen so etwas hierzulande keiner mehr drucken will. Weil’s keiner kauft. Weil keiner was genauer wissen will. Weil jeder heute bloß noch die Klappe aufreißt.11
Einen Jahrzehnte alten [Fehler] habe ich neulich selbst entdeckt, als ich mich in Bernhard Schmids unentbehrlichem ›American Slang‹-Wörterbuch … unter shit festgelesen hatte.
– Harry Rowohlt, Die Zeit (17. Juni 2010)
Exkurs: Ich habe mal für Hannibal die Songtexte von Eminem übersetzt, und dann fängt da irgendein Hirni an, da dran rumzudoktern. Muss diesen Menschen interessieren, dass ich mich mit der Materie – Hiphop-Slang – befasst habe? Iwo, geschweige denn dass er mein Büchl vielleicht sogar besitzen sollte, bevor er da zu »verbessern« beginnt. Ich meine, es wäre ja immerhin ein Fachwörterbuch zu einem Thema, von dem er keinen Schimmer hat! Würde er sich nicht ein medizinisches Wörterbuch zulegen, wenn’s um diesen Fachbereich ginge?12 Er kannte noch nicht mal die simpelsten einschlägigen Wörter & Wendungen der Szene. Offensichtlich & nachweislich. Er dachte, »hittin trees« heißt gegen Bäume fahren!
Als nächstes sollten Sie eine fünfstellige Zahl von Filmen & Episoden von TV-Serien im Kopf haben; nur in Film, Funk & Fernsehen nämlich können Sie das Englische erlernen, wo es auch der Engländer oder Amerikaner lernt. Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit einem Urlaub oder Auslandsaufenthalt: a) spreche ich auch hier wieder von jahrzehntelanger Beschäftigung (spätestens seit den Astra-Satelliten) und b) der Engländer & Amerikaner hat seine Sprache nun mal auch aus Film, Funk & Fernsehen gelernt.
Und wenn Sie mir jetzt – wie schon mal ein Lektor – an den Kopf werfen: »Ja, wenn Sie so was gucken!«,13 dann haben Sie hoffentlich Ihre Klassiker – von Jane Austen bis Frank Zappa – mit Bleistift annotiert in den Regalen stehen, auch den Ulysses! Also ein paar Hundert sollten’s schon sein …14
Was ich sagen will, ist Folgendes: Sie können in Wörterbüchern nachschlagen & googeln, bis Sie schwarz werden, Sie werden in zahllosen Fällen nicht hinter die »eigentliche« Bedeutung von Wendungen kommen,15 aber in dem Augenblick, in dem Sie eine Szene dazu vor Augen haben, kommt es Ihnen: Ach, das ist damit gemeint! Und dann sollten Sie diese Aha-Erlebnisse natürlich sammeln & organisieren, miteinander vergleichen, sehen, was Kollegen damit gemacht haben. Erst so lernen Sie eine Fremdsprache wirklich. Und wenn Sie das Jahrzehnte gemacht haben, dann können wir uns auf Augenhöhe über Ihre Lösungen unterhalten. Und Sie werden von mir noch nicht mal hören, dass ich »Englisch kann«. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und das ist eben keine Koketterie, es ist einfach so. Eine andere Sprache spiegelt die ganze Kultur eines anderen Landes wieder, von oben bis unten & in die Breite. Unmöglich, all das zu lernen. Nicht mal für Muttersprachler. Aber man versucht eben zu tun, was man kann. Oder ich jedenfalls …
Exkurs: Sie dürfen auch gerne mal auf die Bildchen klicken, die diesen Artikel zieren. Es ist eine kleine Auswahl aus den »Wörterbuchwänden« um mich rum. Und ja, vermutlich hätte ich mir lieber eine Eigentumswohnung kaufen & die Klappe aufreißen sollen. Ich behaupte hier ja nicht, dass ich besonders gescheit bin – nur dass ich, wie jeder Handwerker, eine ordentliche Werkstatt mit dem besten Werkzeug habe.
Ich könnte hier durchaus so weitermachen, Sie zum Beispiel nach Ihren Datenbanken fragen, die hoffentlich alle in die Sechsstelligkeit gehen, aber Sie sind vermutlich ohnehin längst nicht mehr hier und wenn doch, dann gilt wieder die erste Annahme: Was ist das für ein eingebildeter Arsch‽ Und im Ton vergreift er sich auch. Stimmt’s oder hab’ ich recht‽
Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus: Ich hätte mir nicht fünfzig Jahre den Körperteil ausgerissen, für den Sie mich halten, um etwas zu lernen, hätte ich nur den Bruchteil der Einbildung des durchschnittlichen Lektors mit in die Wiege bekommen, der tatsächlich meint, er kann das Manuskript einer Übersetzung verbessern, die er nicht erst dreimal durchgeackert hat, mit Hüftschüssen mit anderen Worten. Und, glauben Sie mir, ich habe noch nicht mal das Gefühl, an der Oberfläche gekratzt zu haben. Ich weiß überhaupt nur eines: Dass ich mir, wenn ich das Manuskript einer Übersetzung abgeliefert habe, mehr Arbeit gemacht habe – mit dieser Übersetzung und auch mit der Übersetzerei an sich – als derjenige, der sich verlagsseitig hinsetzt, beim ersten Satz den Pflug ansetzt und dann den Text umzubrechen beginnt, dass die Schollen nur so fliegen – und dabei die frisch klaffenden Furchen mit seiner unqualifizierten Bleistiftlosung düngt. Nicht dass sich heute außer mir noch einer die Mühe machen würde, mit Papier & Bleistift zu arbeiten! Das ist ja einer der Gründe für die oben zitierte Schlamperei. Leute, man kann am Bildschirm nicht korrigieren!
Auf welcher Seite da wohl die Einbildung herrscht?
Aber werden wir ruhig noch mal konkret: Glauben Sie wirklich, ich bin nach nunmehr fünfzig Jahren Beschäftigung mit der Übersetzerei zu blöde, »overalls« mit Overall zu übersetzen, »right!« mit korrekt! oder »at the end of the day« mit am Ende des Tages? Es hat seine Gründe, dass ich das nicht mache, deren erster der ist, dass ich eben nicht blöde genug dazu bin.
Wenn ich mich am Schluss einer Übersetzung drei Tage hinsetze, um einen Text allein darauf noch mal durchzugehen, dass Michael Jacksons Bodyguards keine Konjunktive benutzen, möchte ich kein E‑Mail bekommen, da habe nun einer erste & gar zweite Konjunktive reingeschrieben – offensichtlich bin ich zu blöde dazu. Jetzt quasseln die beiden Leute daher wie die Gräfin Koks von der Gasanstalt.
Wenn ich bei der Übersetzung eines Artikels eines namhaften Journalisten über einen Flugzeugabsturz »Tutti va bene« stehen lasse, dann nicht weil ich zu blöde bin, das als italienischen Grammatikfehler zu erkennen & obendrein zu faul, diesen »Fehler« zu korrigieren, sondern weil der Autor es so geschrieben hat. Und ich als Übersetzer nun mal nachforsche, warum er es so & nicht anders geschrieben hat. Und er hat es so geschrieben, weil es so & nicht anders in der Abschrift der aufgezeichneten Kabinengespräche der abgestürzten Linienmaschine steht, um die es in seinem Artikel geht. Und diese Gespräche in einer französischen Maschine nun mal auf Französisch geführt wurden. Nicht auf Italienisch. Und im Französischen »Tutti va bene« – Grammatikfehler hin oder her – eine umgangssprachliche Wendung ist. Es gibt sogar einen Popsong, der so heißt. Und ich habe stundenlang gesucht nach den Abschriften dieser Aufzeichnungen & nicht nur das französische Original gefunden, sondern auch eine Übersetzung ins Italienische, in der auf die Richtigkeit des Fehlers mit einem [sic] verwiesen wird. Selbstverständlich ist das Arbeit, vor allem unbezahlte Arbeit. Die man sich verlagsseitig natürlich nicht machen muss. Denn da genügt es völlig, im Zweifelsfalle neben dem Übersetzer auch noch den Autor für dumm & faul zu erklären.16
Nochmal: Auf welcher Seite wird da wohl mit Einbildung statt mit Erfahrung operiert?
Aber zurück zu unserer Titelfrage: Woher ich weiß, dass ich Recht habe. Nun, ich weiß es nicht immer. Bestehe schon gar nicht drauf, wenn ich mich im Eifer des Gefechts mal verschaut haben sollte. Selbstverständlich kommt das vor; da meine Übersetzungen aber in wenigstens drei Durchgängen zustandekommen, finde ich die meisten meiner Fehler. Und dann habe ich mir den Großteil meiner Lösungen eben im jahrzehntelangen tagtäglichen Kampf mit zwei Sprachen draufgeschafft, oder anders gesagt, so wie jeder Handwerker, der was auf sich hält, sein Handwerk erlernt. Und in der Regel habe ich in Fällen, in denen das Lektorat erst mal ahnungslos zu googeln beginnt (wenn überhaupt), eben bereits all die Stellen parat, in denen mir das Problem bereits untergekommen ist. Mehr lässt sich dazu nicht mehr sagen …
… außer dass ich der Erste bin, der eine bessere Lösung erkennt & begrüßt, wenn ich mal eine finde. Aber da müsste natürlich das Verhältnis von besser & schlechter stimmen. Und das tut’s eben nie. Anders gesagt: Es wäre halt schön, wenn die Änderung über die bloße Einbildung, den überflüssigen Schuss aus der Hüfte ohne irgendeinen Blick aufs Ganze hinausgehen würde, sprich wenn sie der Tatsache Rechnung tragen würde, dass es eben nicht Ihre Übersetzung sondern die meine ist.17 Und noch wichtiger heute: Bei einem Übersetzungshonorar, das mittlerweile in die 1970er-Jahre zurückgerutscht ist, kann man es sich eben nicht mehr leisten, verschmierte Umbrüche noch einmal durchzuackern, in denen nur deshalb reingeschrieben wurde, weil da einer die paar Mark rechtfertigen zu müssen meint, die er dafür bekommt.
Das erste Prinzip des Übersetzens ist nun mal, dass es jeder anders machen würde. Was für einen Sinn sollte es haben, jemanden – schon gar einen Amateur! – dafür zu bezahlen, dass er das nochmal – nur eben anders – macht? Und die Übersetzung im Zug dieses überflüssigen Unterfangens auch noch mit Fehlern zuschmiert? Für die ich in der Öffentlichkeit den Kopf hinhalten darf. Aber das ist wieder ein eigenes Kapitel …
Exkurs: Hier könnte ich wieder die bereits gestellte Frage einflechten: Sie haben das alles nicht gemacht? Fünfzig und mehr gottverdammte Jahre lang! Und Sie wollen trotzdem Recht haben? Tu’s aber nicht.
Anmerkungen
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