Powerful — Mäch­ti­ger Mist

Über­set­zen Sie auch selbst? Als Laie, mei­ne ich, und dum­mer­wei­se gleich für eine welt­wei­te Öffent­lich­keit. Ob Jour­na­list, Blog­ger oder Forums­teil­neh­mer, es wäre wirk­lich schön, wenn Sie das Web nicht nur zur Ver­brei­tung Ihrer – in der Regel sicher durch­aus inter­es­san­ten – Äuße­run­gen nut­zen wür­den, son­dern auch sei­ne phan­tas­ti­schen Mög­lich­kei­ten, sich erst mal schlau zu machen, bevor Sie sel­bi­ges tun…

Ich weiß, ich weiß: Ich schwin­ge mich wie­der mal auf mein Ste­cken­pferd & gebe ihm die Spo­ren, dass die Spä­ne – ?Split­ter ?Ras­peln (ist gar nicht so ein­fach, das rich­ti­ge Wort zu fin­den) – nur so flie­gen. Und ist es im Zeit­al­ter der Cartoon-(?ist das nun Comic oder Cartoon)-Politik, in die wir die­se Woche offi­zi­ell ein­ge­tre­ten sind, über­haupt noch von Bedeu­tung? Natür­lich nicht, scheiß drauf, über­schrei­ten wir ruhig »rote Lini­en« statt Gren­zen oder »anstatt dass« (ist wenigs­tens deutsch) wir »ein­fach zu weit gehen«. Sag ich ja: Steckenpferd.

Es gab mal eine Zeit, da beschränk­ten sich lau­si­ge Über­set­zun­gen eher auf die Schul­ta­ge. Der Mensch brauch­te nur in der Schu­le zu über­set­zen, und außer dem Leh­rer brauch­te nie­mand etwas von den dabei gemach­ten Klöp­sen zu erfah­ren, geschwei­ge denn dar­un­ter zu lei­den. Mit dem Schul­ab­schluss war für die Unta­len­tier­ten die Pha­se ihres unse­li­gen Wir­kens vor­bei. In Zei­ten des Inter­nets hat sich das radi­kal geän­dert. Heu­te sieht sich prak­tisch jeder über die Schul­zeit hin­aus tag­täg­lich mit fremd­sprach­li­chen – in der Regel eng­li­schen – Tex­ten kon­fron­tiert, die er ent­we­der für sich ein­deut­schen muss oder für ande­re selbst ein­deut­schen zu müs­sen meint. Und da beginnt ein Pro­blem, das ich mal als die »Demo­kra­ti­sie­rung des Über­set­zens« bezeich­nen will. Und da das nun mal all­zu oft im Inter­net & damit in aller Öffent­lich­keit pas­siert, gewinnt der Begriff »Wir­ken« eine fins­te­re Realität.

Eben­so typi­sches wie womög­lich ner­vigs­tes Sym­ptom die­ses Trends ist die Wört­lich­keit, mit der da drauf­los­über­setzt wird. (»Wört­lich­keit« heißt in der Regel, auf fal­sche Freun­de her­ein­zu­fal­len.) Und eines der ner­vigs­ten Bei­spie­le hier­für ist das nun wirk­lich all­ge­gen­wär­ti­ge »mäch­tig« für das eng­li­sche »powerful«. Sie haben kei­ne Ahnung, wovon ich spreche?

Hol Dir das CS2, das ist ein mäch­ti­ges Pro­gramm, mit dem man viel machen kann. Gruß St…
„Ein mäch­ti­ges Werk­zeug“. Fern­war­tung Dank intel­li­gen­ter Daten­ana­ly­se war­nen Maschi­nen bereits vor Stö­run­gen, bevor die­se auf­tre­ten. Erset­zen Algorithmen …
26.08.2016 — Mäch­ti­ge Soft­ware ent­deckt Bei­spiel­lo­se Spio­na­ge auf iPho­nes. Desas­ter für Apple: Exper­ten haben eine neue Spio­na­ge­soft­ware entdeckt, …
Eine sehr mäch­ti­ge Soft­ware, sie fügt sich sehr gut in den Bereich zwi­schen … Die­se Idee und die mäch­ti­ge Soft­ware hin­ter die­sem ein­fa­chen Knopf.
… eine mäch­ti­ge Maß­nah­me, um die Pro­dukt-Qua­li­tät auch im Umfeld der immer kom­ple­xer wer­den­den mecha­tro­ni­schen Sys­te­me effek­tiv sicher­zu­stel­len und …

Ich mei­ne, dass man in allen die­sen Fäl­len mit einem ande­ren Wort bes­ser bedient wäre. Die hier ange­spro­che­nen Sach­ver­hal­te haben nichts mit »Macht« zu tun. Und wenn Sie jetzt sagen, im Eng­li­schen steht doch was von »power« da, dann stimmt das schon, ja, im Eng­li­schen. Das ist aber eine ande­re Spra­che als das Deut­sche. Hin­ter der ein ande­res Den­ken steht. Und dem soll­te man beim Über­set­zen Rech­nung tra­gen.  Man wäre in den zitier­ten & ähn­li­chen Fäl­len etwa mit »effek­tiv«, »wirk­sam«, »leis­tungs­fä­hig«, »nütz­lich«, »durch­schla­gend«, »uni­ver­sell«, »viel­sei­tig«, ja selbst mit »nütz­lich« bes­ser bedient; und wenn einem das ange­sichts der im Eng­li­schen impli­zier­ten »power« zu schwach scheint, dann kann man mit einem inten­si­vie­ren­den Zusatz nach­hel­fen, etwa mit »enorm«, »aus­ge­spro­chen«, »äußerst«, »höchst«, »recht« oder ein­fach »sehr«.

Sehen wir uns doch eini­ge ein­schlä­gi­ge Defi­ni­tio­nen an:

powerful adjec­ti­ve
1.
… able to con­trol or influence peo­p­le and events.
2.  all-powerful
3. You say that someone’s body is powerful when it is phy­si­cal­ly strong.
4. A powerful machi­ne or sub­s­tance is effec­ti­ve becau­se it is very strong. »…powerful com­pu­ter systems.«
»Alco­hol is also a powerful and fast-acting drug.«1

oder

powerful adjec­ti­ve

1 :  having gre­at power, pres­ti­ge, or influence <a powerful leader>
2 :  lea­ding to many or important deduc­tions <a powerful set of pos­tu­la­tes>2

oder

Defi­ni­ti­on of powerful for Eng­lish Lan­guage Lear­ners3
: having the abili­ty to con­trol or influence peo­p­le or things
: having a strong effect on someone or something
: having or pro­du­cing a lot of phy­si­cal strength or force

oder

pow·er·ful
adj.
1. Having or capa­ble of exer­ting power.
2. Effec­ti­ve or potent: a powerful drug.
3. Chief­ly Upper Sou­thern US Gre­at: “[Ever­y­bo­dy had] a powerful lot to say about faith and good works and free grace … and I don’t know what all” (Mark Twain).
adv.
Chief­ly Upper Sou­thern US
Very: It was powerful humid.4

Im Deut­schen:

mäch­tig
1. Macht besit­zend, einflussreich
»ein mäch­ti­ger Herr­scher, Diktator«
2. ⟨einer Sache, sei­ner mäch­tig sein⟩ gehoben
a)
⟨einer Sache mäch­tig sein⟩ etw. kön­nen, beherrschen
Bei­spiel: »er ist der deut­schen, fran­zö­si­schen Spra­che mäch­tig, er ist des Wor­tes, der Rede mächtig«
b)
⟨einer Sache, sei­ner mäch­tig sein⟩
oft verneint
etw., sich in der Gewalt haben
Bei­spie­le: »er war sei­ner Sin­ne, sei­ner selbst nicht (mehr), kaum noch mäch­tig«  »sie war ihres Wor­tes, ihrer Spra­che kaum mäch­tig (= konn­te kaum spre­chen)« / »er war wegen des Alko­hols sei­ner phy­si­schen Kräf­te nicht mehr mächtig«
3.
von beträcht­li­cher Grö­ße, Aus­deh­nung, umfangreich
Bei­spie­le: »ein mäch­ti­ges Tier; eine mäch­ti­ge Gestalt; ein mäch­ti­ger Baum, Fel­sen, Fluss«
»Wir muß­ten zu vie­ren eine mäch­ti­ge Wan­ne voll Kar­tof­feln … schä­len« [RinserGefängnistagebuch25]
4.
umgangssprachlich
von hohem Grad, sehr groß
Beispiele:
wir haben (einen) mäch­ti­gen Hunger
er bekam einen mäch­ti­gen Schreck
er hat­te mäch­tig Glück, einen mäch­ti­gen Dusel
adverbiell
sehr
Beispiele:
mäch­tig aufpassen
sich mäch­tig freu­en, ärgern, aufregen
er fror, schwitz­te mäch­tig5

Oder schla­gen wir im Duden nach:

mäch|tig  <Adj.> [mhd. meh­tic, ahd. mah­tig]: 1. a) gro­ße Macht (3), Gewalt besit­zend od. aus­übend, von gro­ßer Wir­kung, ein­fluss­reich: ein ‑er Staat; ein ‑es Reich; ‑e Bos­se, Unter­neh­mer; der ‑ste Mann Russ­lands; wenn sie war­nen, dann zit­tern die schein­bar so ‑en Par­tei­vor­stän­de (Dön­hoff, Ära 50); die Gewerk­schaf­ten waren zu m.; … dass Wor­te ‑er sind als Hand­lun­gen (Roth, Beich­te 63); <sub­st.:> die Mäch­ti­gen die­ser Welt; b) *einer Sache m. sein (geh.; etw. auf­grund ent­spre­chen­der Fähigkeit[en] kön­nen, beherr­schen): des Eng­li­schen, der Rede m. sein; einer Sache, sei­ner [selbst] m. sein (etw., sich [selbst] in der Gewalt haben): sei­ner Sin­ne, Wor­te, sei­ner [selbst kaum] noch m. sein. 2. a) beein­dru­ckend groß, umfang­reich, aus­ge­dehnt, stark; von beein­dru­cken­dem Aus­maß, Grad; gewal­tig (2 a): ein ‑es Fels­mas­siv; ein ‑er Wald; eine ‑e Eiche, Woge; ‑e Kup­peln; der Hirsch hat ein ‑es Geweih; Sein Kopf steck­te tief zwi­schen ‑en run­den Schul­tern (Rin­ser, Jan Lobel 53); ein ‑er (mit viel Schwung aus­ge­führ­ter, wei­ter) Sprung, Satz; ein ‑er (über­aus kraft­vol­ler) Schlag; mit ‑er Stim­me spre­chen; Noch ein­mal schien der Kom­so­mol einen ‑en Auf­schwung zu neh­men (Leon­hard, Revo­lu­ti­on 55); Es besteht aber ein ‑er Unter­schied zwi­schen der Lie­be, die man als Über­zeu­gung besitzt, und der Lie­be, die einen besitzt (Musil, Mann 1304); b) (landsch.) sehr sät­ti­gend; schwer: Er (=der Wind­beu­tel) ist eine … zum Kuchen aus­ge­höhl­te Sem­mel, mit ‑er Schlag­sah­ne ange­füllt (Jacob, Kaf­fee 191); das Essen ist mir zu m.; c) (bes. Berg­mannsspr.) (von Schich­ten o.Ä.) dick (2 a): ein etwa 10 Meter ‑es Flöz. 3. (ugs.) a) sehr groß, stark, beträcht­lich: ‑en Hun­ger, ‑e Angst, ‑es Glück haben; b) <inten­si­vie­rend bei Adj. u. Ver­ben> sehr, über­aus; bes. stark, hef­tig: m. viel, groß, erstaunt; Da muss irgend­was m. faul dabei sein (Remar­que, Obe­lisk 19); Es ist ein m. fei­nes Haus gegen das, wo ich gewe­sen bin, was? (Fal­la­da, Jeder 333); sich m. beei­len; sich m. freu­en, amü­sie­ren; Her­manns Geschen­ke hat­ten ihr im Wald­kran­ken­haus m. gehol­fen (Bie­ler, Bär 242); Und nach­her in Tra­ve­mün­de hat­ten es alle Damen m. mit ihm (Haus­mann, Abel 123). © 2000 Dudenverlag

Nir­gend­wo ist eine Defi­ni­ti­on genannt, die eine »mäch­ti­ge Soft­ware« oder ein »mäch­ti­ges Werk­zeug« rech­fer­ti­gen wür­de. Weder Soft­ware, noch Werk­zeug hat »Macht« – sie geben einem bes­ten­falls Macht an die Hand. Aber ich hät­te noch nicht mal etwas gegen das »mäch­tig« in die­sem Sin­ne, wäre es auf deut­schem Mist gewach­sen und eben kei­ne unfä­hi­ge Über­set­zung des eng­li­schen »powerful«. Gemeint ist, dass etwas leis­tungs­fä­hig ist, viel­sei­tig ist. Sie­he oben.

Unse­re Eng­lisch-deut­schen Wör­ter­bü­cher haben aus­ge­zeich­ne­te Lösun­gen für die­ses »powerful«, wenn es nicht tat­säch­lich mit »Macht« zu tun. Und nicht nur die neueren:

powerful, I. a. (~ly, adv.) 1. stark, mäch­tig, gewal­tig ; ~ in frame, v. star­kem Kör­per­bau; 2. kräf­tig, wirk­sam; 3. ein­fluß­reich; 4. (v. opti­schen Instru­men­ten) stark ver­grö­ßernd, stark; 5. Am. vulg. rie­sig, gewal­tig, groß. II. adv. Am. vulg. sehr, rie­sig, außer­or­dent­lich). ~ness, 1. die Macht, Gewalt; 2. die Kraft, Stär­ke, Wirk­sam­keit.6

»A powerful drug« ist eben kein »mäch­ti­ges Medi­ka­ment«; es gilt hier im Deut­schen zu suchen, wel­che Adjek­ti­ve sich eig­nen, die beson­de­re Wirk­sam­keit von Medi­ka­men­ten zu beschrei­ben. »A powerful speech« ist kei­ne »mäch­ti­ge Anspra­che«. Kli­cken Sie den Screen­shot oben mal an und über­le­gen Sie, ob die Lösun­gen unten nicht wir­kungs­vol­ler (und nicht »nicht mäch­ti­ger«) sind.

Um es kurz zu machen: In der Regel darf man bei sol­chen wört­li­chen Über­set­zun­gen davon aus­ge­hen, dass der »Über­set­zer« schlicht nicht weiß, was da im Ori­gi­nal steht, dass er den Satz bzw. des­sen Aus­sa­ge nicht kapiert hat & dass er nicht Deutsch kann. Und sei­ne unfä­hi­ge Über­set­zung beein­flusst Tau­sen­de von ande­ren sprach­lich Tauben.

Spielt das eine Rol­le? Nun, mehr denn je, so den­ke ich, in einer Zeit, in der man tat­säch­lich zur Ver­brä­mung sei­ner faust­di­cken Lügen von »alter­na­ti­ven Fak­ten« zu spre­chen beginnt.

  1. https://www.collinsdictionary.com/dictionary/english/powerful []
  2. https://www.merriam-webster.com/dictionary/powerful []
  3. http://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/powerful?a=british []
  4. xxx []
  5. https://www.dwds.de/wb/m%C3%A4chtig []
  6. FLÜGEL-SCHMIDT-TANGER, A  DICTIONARY OF THE ENGLISH AND GERMAN LANGUAGES FOR HOME AND SCHOOL, 1901. []
SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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