Slang ist alles und nichts. Der Begriff ist von Anfang an so schwammig wie seine Herkunft bis heute ungeklärt. Nicht dass es an Definitionsversuchen fehlte; deren gibt es genug. Aber sie sind vielfach widersprüchlich und lassen auch sonst zu wünschen übrig. Wie auch immer, von einem gescheiten Kopf wie G. K. Chesterton hätte ich mir da mehr erwartet. Er setzt Slang ganz offensichtlich mit Umgangssprache gleich, dann jedoch wieder mit dem Modewortschatz einer bestimmten Gruppe wie den nobligen Herrschaften, den Aristokraten der Edwardianischen Zeit … Und dann wieder mit der letztlich slangfreien Tirade eines Busschaffners, die ganz im Dialekt gehalten ist. Letztlich unterscheidet er zwischen gutem, weil lebendigem und bildkräftigem, und dem schlechtem, weil seiner Ansicht nach saftlosen und phantasielosen Slang einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, nämlich der der schicken Aristokraten der edwardianischen Zeit.
Aber urteilen Sie selbst …
G. K. Chesterton
Zur Verteidigung des Slang
Die Aristokraten des 19. Jahrhunderts haben ihren einzigen Nutzen gänzlich verspielt. Ihre Aufgabe besteht in der arroganten Zurschaustellung; sie jedoch stellen sich unaufdringlich zur Schau und ihre Arroganz erschöpft sich im kläglichen Versuch. Ihre wesentliche Pflicht war bislang die Entwicklung von Vielfalt, Vitalität und Lebensfülle; die Oligarchie war der Welt erstes Experiment in Sachen Freiheit. Jetzt jedoch haben sie sich das entgegen-gesetzte Ideal des »guten Tons« anverwandelt, einen Puritanismus ohne Religion, wie man sagen könnte. Wie der Schlag einer Totenglocke hat der gute Ton sie alle in Schwarz gehüllt. Wie Mr. Gilberts Kuraten1 führen sie einen Krieg der Milde, einen gutartigen Wettstreit um Obskurität. In der alten Zeit suchten die Herren der Erde vor allem, sich von ihresgleichen zu unterscheiden; dazu schmückten sie ihre Helme mit geschmacklosen Gebilden und bemalten ihre Schilde mit absurden Farben. Damit wollten sie unmissverständlich klarstellen, dass ein Norfolk sich von einem Argyll nicht weniger unterscheidet als ein weißer Löwe von einem schwarzen Schwein. Heute jedoch ist ihr Ideal genau das Gegenteil, und wenn ein Norfolk und ein Argyll so unterschiedslos gekleidet wären, dass man sie miteinander verwechseln könnte, sie würden beide im Freudentaumel nach Hause gehen.
Das hat zwangsläufig Folgen. Die Aristokratie verliert ihre Funktion, in der Welt für die Idee der Vielfalt, des Experiments und der Farbe zu stehen, und wir müssen diese Dinge bei einer anderen Schicht suchen. Zu fragen, ob wir sie in der Mittelschicht finden, käme der Verspottung von Sakrosanktem gleich. Der einzig logische Schluss daraus ist, uns bei unserer Suche nach Führung auf dem Weg zu Freiheit und Licht bei bestimmten Teilen der Unterschicht, so etwa bei den Busschaffnern mit ihrer prallen, rokokohaften Denkart umzutun.
Der einzige lyrische Strom, der unablässig fließt, ist der Slang. Tag für Tag fügt ein namenloser Dichter der populären Sprache ein feenhaft filigranes Maßwerk hinzu. Die modische Welt, so könnte man sagen, spricht dabei nicht weniger Slang als das Volk; das ist nicht zu leugnen und stützt die hier erörterte Ansicht. Nichts ist verblüffender als der Kontrast zwischen dem schwerfällig förmlichen und leblosen Slang des Mannes von Welt und dem leichtfüßig lebendigen und geschmeidigen Slang des Straßenhändlers. Die Sprechweise der oberen Schichten der gebildeten Klassen ist das formloseste, zielloseste und hoffnungsloseste literarische Produkt, das die Welt je gesehen hat. Auch hierin ist die Oberschicht eindeutig degeneriert. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die alten feudalistischen Kriegsherren sich gelegentlich mit einer gewissen natürlichen Symbolik und Eloquenz auszudrücken wussten, die mitnichten aus Büchern war. Als Cyrano de Bergerac in Rostands Versdrama Zweifel an der Echtheit von Christians Begriffsstutzigkeit und Kulturlosigkeit äußert, antwortet dieser:
»Bah! on trouve des mots quand on monte à l’assaut; Oui, j’ai un certain esprit facile et militaire … «2
und diese beiden Zeilen resümieren eine Wahrheit über die Oligarchen alten Schlags. Außerstande, auch nur drei leserliche Buchstaben aneinanderzufügen, kam aus ihrem Mund bisweilen durchaus Literatur. Als Douglas in seiner letzten Schlacht den Mauren das einbalsamierte Herz seines Königs entgegenschleuderte, rief er: »Geh voran, wackeres Herz, wie’s immer deine Art gewesen.« Als ein spanischer Adliger von seinem König den Befehl erhielt, einen berüchtigten hochrangigen Verräter zu empfangen, sagte er: »Ich werde ihn mit gebotenem Gehorsam empfangen und danach mein Haus niederbrennen.« Das ist Literatur ohne Kultur; so sprechen Menschen, die der Überzeugung sind, sie müssten stolz für die Poesie des Lebens einstehen.
Wollte man jedoch solche Perlen in der Unterhaltung eines jungen Mannes aus dem modernen Belgravia finden, es stünde einem eine bittere Enttäuschung ins Haus. Es ist Aristokraten nicht nur unmöglich, stolz für die Poesie des Lebens einzustehen; es ist ihnen unmöglicher als jedem anderen. Es gilt unter Adeligen geradezu als vulgär, sich seines alten Namens zu rühmen, der, wenn man es recht bedenkt, das einzig Rationale an seiner Existenz ist. Verkündete ein Mann auf der Straße mit plumper feudaler Rhetorik, er sei der Earl of Doncaster, man würde ihn als Verrückten festnehmen; stellte sich dann heraus, dass er wirklich der Earl of Doncaster ist, stäche man ihn einfach als Schurken ab. Von den Earls als Klasse ist keine poetische Prosa zu erwarten. Der modische Slang ist kaum als richtige Sprache zu bezeichnen; er gleicht eher den unartikulierten Schreien, mit denen Tiere vage auf bestimmte allgemeine und wohl¬verstandene Gemütszustände verweisen. »Bored«, »cut up«, »jolly«, »rotten« und dergleichen muten an wie Wörter von Wilden, deren Wortschatz nur zwanzig Begriffe umfasst. Wollte ein fashionabler Herr sich gegen die Taktlosigkeit eines anderen fashionablen Herrn verwehren, seine Äußerung erschöpfte sich in einer bloßen Aneinanderreihung von Floskeln von der Lebendigkeit einer Reihe toter Fische auf Eis. Ein Busschaffner dagegen wartete (von der Muse geküsst) mit einer soliden literarischen Anstrengung auf: »You’re a gen’leman, aren’t yer … yer boots is a lot brighter than yer ‘ed … there’s precious little of yer, and that’s clothes … that’s right, put yer cigar in yer mouth ‘cos I can’t see yer be’ind it … take it out again, do yer! you’re young for smokin’, but I’ve sent for yer mother… . / Goin’ ? / oh, don’t run away : I won’t ‘arm yer. / I’ve got a good ‘art, I ‘ave… . / ’Down with croolty to animals,’ I say,«3 und so weiter. Es ist offensichtlich, dass diese Redeweise nicht nur literarisch ist, sondern literarisch in einem blumigen, fast gekünstelten Sinn. Nie hat Keats in ein Sonett so viele ungewöhnliche Metaphern gepackt wie ein Straßenhändler in eine Schimpfkanonade; dessen Rede ist, wie Spensers »Faerie Queene«, eine einzige lange Allegorie.
Ich glaube nicht, hier beweisen zu müssen, dass dieser poetische Anspielungsreichtum das Merkmal echten Slangs ist. Ein Ausdruck wie »keep your hair on« erinnert nachgerade an Meredith in seiner verdrehten und mysteriösen Art, eine Idee auszudrücken. Die Amerikaner haben mit »swelled-head« eine bekannte Wendung zur Beschreibung der Selbstgefälligkeit, und neulich hörte ich eine bemerkenswerte Variation zu diesem Thema. da meinte ein Amerikaner, die Japaner hätten sich nach dem Chinesischen Krieg »den Hut am liebsten mit dem Schuhlöffel aufgesetzt«. Es ist dies ein Monument für die wahre Natur des Slangs, sich immer weiter von der ursprünglichen Vorstellung zu entfernen, sie zunehmend lediglich als unterstellt zu sehen. Sie ähnelt darin durchaus der literarischen Doktrin der Symbolisten.
Der eigentliche Grund für diese ausgeprägte Entwicklung der Beredsamkeit bei den unteren Schichten führt uns wieder zurück zum Fall der Aristokratie früherer Zeiten. Die unteren Schichten leben in einem Kriegszustand, einem Krieg der Worte. Ihre Schlagfertigkeit ist das Produkt des gleichen feurigen Individualismus wie die Schlagfertigkeit der kämpfenden Oligarchen der alten Zeit. Jeder Droschkenkutscher muss seine Zunge bereithalten, so wie jeder Gentleman des letzten Jahrhunderts sein Schwert bei der Hand haben musste. Es ist bedauerlich, dass die aus diesem Prozess hervorgehende Poesie eine rein groteske ist. Aber wo die höheren Gesellschaftsschichten auf ihr Recht, sich mit heroischer Eloquenz auszudrücken, gänzlich verzichtet haben, ist es kein Wunder, dass die Sprache sich von selbst in Richtung einer ungehobelten Beredsamkeit entwickelt hat. Der springende Punkt ist, dass da jemand am Werk sein muss, der einer Sprache neue Symbole, neue Umschreibungen hinzufügt.
Slang ist stets Metapher, und Metapher ist stets Poesie. Würden wir einen Augenblick innehalten, um uns selbst die wohlfeilsten Wendungen aus dem Jargon anzusehen, die uns täglich über die Lippen kommen, so würden wir feststellen, dass sie nicht weniger reichhaltig und suggestiv als Sonette sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir sprechen davon, dass jemand, auf englische gesellschaftliche Beziehungen bezogen, »das Eis bricht«4. Würde man dies zu einem Sonett ausweiten, hätten wir vor uns das dunkle, erhabene Bild eines Ozeans aus ewigem Eis, den düsteren und verwirrenden Spiegel nordischer Breiten, über den die Menschen schreiten, tanzen und leichtfüßig Schlittschuh laufen, unter dem jedoch in den Tiefen des Meeres ein lebendiges Wasser tobt. Die Welt des Slang ist eine Art poetisches Paradies, voll von blauen Monden5 und weißen Elefanten, (»white elephant«: lästiger Besitz, eine Fehlinvestition; bezeichnet etwas, dessen Besitz mehr kostet, als er einem einbringt; auf der anderen Seite ist es auch zu teurer, das Ding loszuwerden) von Männern, die den Kopf verlieren, und Männern, mit denen die Zunge durchgeht – es ist das Tohuwabohu einer Märchenwelt.
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