Zwischendurch wieder mal eine Art »Mission Statement«: Ich möchte hier zusammentragen, was mir im Zusammenhang mit Donald J. Trump von Bedeutung und damit wissenswert scheint. Warum? Nun, zum einen weil es meiner eigenen Meinungsbildung dient, zum anderen weil ich es für hilfreich halte, die einzelnen Beiträge bzw. Elemente gegen die Entwicklung in unserem eigenen Land zu halten. Und gerade bei der Beschäftigung mit dem Faschismus sollte so einigen hierzulande endlich ein Licht hinsichtlich der Signalwirkung aufgehen, die eine Wiederwahl Donald Trumps für den Rest der Welt und vor allem für Deutschland haben wird. Noch ist Deutschland nicht dem italienischen oder holländischen Beispiel gefolgt; der »Bonus« unserer historischen Schuld hat uns bislang davor bewahrt. Noch können wir uns in einer, vermutlich gerade mal minimal längeren, aber definitiv trügerischen Sicherheit wiegen, an der sowohl die explizite Rechte als auch der hundertzehnprozentige Teil der politisch-korrekten Fraktion emsig nagt. Wie auch immer, erwarten Sie bitte hier keine umfassende Darstellung des Themas, aber als Spickzettel oder kleine Einführung taugt das Folgende allemal.
Der eine oder andere wird sich noch an ein anscheinend aus der Mode gekommenes Adjektiv erinnern, das ab Mitte der 1960er- bis Ende der 1980er-Jahre ganz groß im Schwange war: faschistoid. Der Begriff war durchaus schwammig. Ich erinnere mich noch an eine Rezension des Charles Bronson-Thrillers Ein Mann sieht rot von 1974, einen Rachestreifen wie davor zahllose Western, nur war der eben plötzlich »faschistoid«. Selbstjustiz. Heute lebt die Filmindustrie praktisch von Rache und Selbstjustiz.
Und so platt der Begriff eingesetzt wurde, vielleicht sollte man ihn wieder mehr einsetzen, um die »Nazi«-Klatsche nicht überzustrapazieren. Die brauchen wir womöglich noch früh genug. Aber er wäre durchaus nützlich, um gewisse Züge zu beschreiben, für die das verwandte und stark im Aufwind begriffene Adjektiv »autoritär« schlicht nicht mehr genügt. Es soll hier jedoch nicht etwa ein Unterschied herausgearbeitet werden. Hier geht es um den Begriff des Faschismus und die Frage, ob und inwieweit die geifernde Orange aus den Staaten, wenn schon nicht ein Nazi, aber eben doch ein Faschist ist. Bilden Sie sich selbst ein Urteil.
Eine Bemerkung vorneweg noch: Ich möchte hier nicht gescheiter wirken, als ich bin; nichts von alledem ist auf meinem Mist gewachsen außer der Beobachtung der Umstände und meinen Befürchtungen. Aber vor allem möchte ich nicht – Weber, Habermas & Fromm zitierend – alles zerreden, um dann im »diachronen Vergleich« ein so schwammig wie schwachbrüstiges Fazit zu ziehen – was nämlich niemandem nützen wird, wenn man erst wieder beidseits des großen Teichs die Zäune für Konzentrationslager hochzieht, auch wenn man diese erst mal als Deportationslager verbrämt. Was also hier vermieden werden soll, das sind Geschichten wie diese hier: »Dessen ungeachtet sollte aber auch die Frage gestellt werden, ob der immer wieder bemühte Vergleich der gegenwärtigen rechtspopulistischen Tendenzen mit dem historischen Faschismus überhaupt tragfähig, ob er empirisch belastbar ist, und falls ja, in welcher Hinsicht. … Aber auch andere Aspekte des ›faschistischen Minimums‹ wie die expansionistisch-imperialistische Großraumpolitik oder die Umwandlung der konstitutionellen Demokratie in eine monokratische Führerdiktatur faschistischen Typs sind unter den gegenwärtigen gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik kaum zu erwarten. Das politische System genießt nach wie vor das Vertrauen der großen Mehrheit der Bevölkerung.« Und das anno 2021?1 Um auf einen fallenden Baum hinzuweisen, genügt ein »Achtung!« Man braucht nicht erst lang auf die Gesetze der Schwerkraft und die physiologischen Folgen einen Schädelbruchs einzugehen.
Und so halte ich mich im Folgenden an das »faschistische Minimum« des kalifornischen Professors Robert Reich, der die Zeichen der Zeit zu lesen versteht und ernst nimmt. Er arbeitet fünf »Elemente des Faschismus« heraus, die sich verstehen und mit nach Hause nehmen lassen. Reich unterscheidet in seinen Ausführungen zwischen »faschistisch« und lediglich »autoritär«.
Erstens, die Ablehnung der Demokratie zugunsten eines starken Mannes. Autoritäre Politiker halten starke Führer um der Stabilität willen für notwendig, also ermächtigen sie starke Männer, Diktatoren oder absolute Monarchen, um – durch den Einsatz von Gewalt – die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Faschisten jedoch sehen im Führer die Verkörperung der Gesellschaft, die Stimme des Volkes.
Trump: »Ich bin eure Stimme! Ich allein kann das in Ordnung bringen!«2
Wenn wir an den Faschismus denken, fallen uns erst mal Hitler und Mussolini ein, letzterer praktisch der Erfinder und Namensgeber des Phänomens, »als er im März 1919 seinen fascio di combattimento (Kampfbund) gründete; dieser wurde dann namengebend für die Bewegung des fascismo«.3 Die beiden gelten wohl als Inbegriffe des »starken Mannes«. Mit Trumps Phantasien vom starken Mann haben wir uns ja bereits hier befasst. Man kann sich einen Wurm wie Trump daneben erst mal kaum vorstellen, aber wenn er wie in dem Clip oben vor Angehörigen seiner Sekte in Fahrt kommt … Auf der anderen Seite haben wir bereits seine jämmerliche Abhängigkeit vom Lob starker Männer wie Putin, Xi-Jinping, Orbàn oder Kim Jong-un erwähnt. Eine interessante Beobachtung dazu machte der Autor Anand Giridharadas in einem eben erschienen Artikel mit dem Titel »Donald Trump, Victim King«.4 Was Trump am Tod des russischen Oppositionellen Nawalny »rührte«, war einzig, dass er sich durch das Schicksal des Mannes an sich selbst erinnert sah. Und das nachdem er seit Jahren Putin preist. Er schafft es also tatsächlich, sich sowohl mit Putin als auch mit dessen Opfer zu identifizieren. Was freilich seine Logik habe, so Giridharas, da er sich so gleichzeitig als starker Mann und Opfer darstellen könne.
Ja, er ist, wissen Sie, wie jeder, der auch nur ein bisschen Stärke in sich hat, erkennen würde … Donald Trump ist ein ausgesprochen schwacher Mann, ein Mann von großer Verletzlichkeit und innerer Schwäche. Und er ist ein schwacher Mann, der ein starker Mann sein will. Und sein Ticket, das er so brillant und finster ausgeklügelt hat, besteht darin, für seine Anhänger das Opfer zu spielen. Und ich glaube, das ist … ein zuweilen missverstandenes Element, weil er gleichzeitig sagt, dass er am ersten Tag Diktator sein will und so weiter, aber er zeigt seinen Anhängern ständig diese Art von existenzieller Verletzlichkeit, die sie dazu bringt, ihn retten zu wollen, anstatt was normalerweise in einer Demokratie passieren sollte – nämlich dass der Führer sich um einen sorgt. Er versucht das umzudrehen und seine Anhänger dazu zu bringen, nichts von ihm zu erwarten, sondern ihn retten zu wollen, sogar die Hauptstadt für ihn zu plündern, und das ist die eine Seite der Gleichung des Opferkönigs. Ein Typ, der das Opfer gibt in dem Versuch, König zu werden, während die andere Hälfte darin besteht, dass er tatsächlich eine Bewegung dadurch aufbaut, der Möchtegern-König von Amerikas eingebildeten Opfern zu sein. Er baut eine Bewegung von Leuten auf, die diesen Opferkomplex haben, diesen eingebildeten Opferkomplex. Und es ist wirklich bemerkenswert zu sehen, wie so viele Amerikaner, die in einem bemerkenswerten Land leben, einem Land, das mehr für sie getan hat, als die meisten Länder der Welt für sie tun würden, diese Fantasie ausspielen, dass sie Opfer sind und nur er sie retten kann.«
Das hat in der Tat Hand und Fuß. Und es brauchen ihm nur nochmal genügend Leute auf den Leim zu gehen, um dem Traum vom starken Mann Wirklichkeit werden zu lassen.
Zweitens: Das Schüren von Wut gegen kulturelle Eliten. Autoritäre Bewegungen können nicht erfolgreich sein, ohne wenigstens eine gewisse Unterstützung seitens der Eliten des Establishments, während faschistische Bewegungen, das Establishment, von dem sie weitgehend abhängig sind, oft dadurch zu vereinnahmen versuchen, indem sie Ressentiments und Wut gegen mutmaßliche kulturelle Eliten schüren, weil sie angeblich die normalen Menschen verdrängen. Faschisten stacheln ihre Anhänger zur Rache an den Eliten an.«
Trump: … die abgehobenen Medieneliten … die politischen Eliten … aber die Eliten … von den Eliten, die uns von einem finanziellen und außenpolitischen Desaster ins nächste geführt haben.
Reich: Sie gründen politische Massenparteien und verlangen Beteiligung. Sie fordern zur Gewalt auf.
Trump: Wissen Sie, was man früher mit solchen Leuten gemacht hat, wenn sie an einem Ort wie dem waren, auf einer Bahre hat man die herausgetragen … Ich würde ihnen zu gerne aufs Maul hauen, sag ich euch. Prügelt sie windelweich, seid so gut … und wir kämpfen, wir kämpfen, dass es nicht mehr schöner geht.
Die »abgehobenen Medieneliten« waren im Wahlkampf 2016 bereits im Einsatz, wie übrigens auch die »Lügenpresse«5, die sich auf dieselben mutmaßlich »fake news« verbreitenden Medien bezieht. Trump beleidigt sie seine ganze Amtszeit hindurch, verbannt sie sogar zum Teil aus den Pressekonferenzen im Weißen Haus.6
Den Hass auf die kultivierten Eliten Manhattans, die nie so recht was mit dem neureichen Lackel aus Queens zu tun haben wollten, hat Trump ja bereits mitgebracht, als er in die Politik ging. Von Anfang an hetzte er vor allem die ungebildeten unter seinem Stimmvieh gegen vermeintliche Eliten auf.
Drittens: Nationalismus auf der Grundlage einer überlegenen Rasse und historischer Blutlinien. Autoritäre sehen im Nationalismus ein Mittel zur Durchsetzung der Macht des Staates. Für Faschisten verkörpert der Staat das, was auf der Grundlage von Rasse, Religion und historischer Abstammung als eine überlegene Gruppe angesehen wird. Für Faschisten ist der Staat ein Mittel zur Durchsetzung dieser Überlegenheit.
Trump: »Wenn Mexiko seine Leute schickt, schicken sie nicht ihre Besten, sie schicken nicht euch … sie schicken nicht Leute wie euch.«
Reich: Faschisten haben Angst vor Illoyalität und davor, durch Gruppen ersetzt zu werden, die nicht dieselbe Rasse oder Blutlinie haben.
Trump: Und ich denke, jeder Jude, der einen Demokraten wählt, zeigt entweder einen totalen Mangel an Wissen oder große Illoyalität.
Reich: Faschisten ermutigten ihre Anhänger, solche Menschen als Sündenböcke hinzustellen und manchmal sogar zu töten.
Ich glaube, die wirkliche Zahl liegt bei 15, 16 Millionen, die sie in unser Land lassen. Wenn die das tun, haben wir eine Menge Arbeit vor uns. Sie vergiften das Blut unseres Landes, das ist es, was sie getan haben, vergiften … psychiatrische Anstalten und Gefängnisse auf der ganzen Welt, nicht nur in Südamerika, nicht nur in den drei oder vier Ländern, an die wir dabei denken, sondern auf der ganzen Welt, sie kommen in unser Land, aus Afrika, aus Asien, aus der ganzen Welt … sie strömen in unser Land, keiner schaut sich da an, sie kommen einfach rein, werden werden eine Kriminalität haben, der Terrorismus wird … der Terrorismus wird … und wir haben ein gewaltiges Stück von der Mauer gebaut und wir werden weiterbauen …
Ich möchte mich hier nicht zur Behauptung versteigen, dass die Leute, die bei seinen Wahlveranstaltungen zu sehen sind, so »überlegen« nicht aussehen, zumal der Hinweis genügt, dass gerade der bunte Mix an Zuwanderern das Besondere an den USA ausmacht. Man braucht nur mal auf Netflix den Abspann eines Spielfilms laufen zu lassen: Was für ein herrliches Kunterbunt an Namen aller Nationalitäten. Sie haben das »Blut« des Landes nicht vergiftet, sie sind das Blut des Landes. Sie sind die »Müden, die Armen, die geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren«, von denen die Inschrift auf dem Sockel der New Yorker Freiheitsstatue spricht.
Viertens: Die Verherrlichung von Wurzeln, Stärke und heldenhaftem Kriegertum. Das Ziel des Autoritarismus ist es, die Staatsmacht um jeden Preis zu erlangen und zu erhalten. Für Autoritäre liegt die Stärke in großen stehenden Armeen, die ihre Herrschaft durchsetzen können. Faschisten streben nach staatlicher Macht, um ihr vorgebliches Ziel, die Verwirklichung ihrer Vision von der Gesellschaft, zu erreichen. Der Faschismus erreicht dies dadurch, dass er die belohnt, die wirtschaftlich und physisch als Sieger hervorgehen, und diejenigen, die verlieren, verunglimpft oder gar ausrottet.
Reich: Der Faschismus beruht auf organisiertem Mobbing, einer Form des Sozialdarwinismus.
Trump: Unsere Leute sind härter und stärker und gemeiner und klüger.
Reich: Für den Faschisten sind Krieg und Gewalt Mittel zur Stärkung der Gesellschaft, indem er die Schwachen ausmerzt und die heldenhaften Krieger verherrlicht.
Trump: Ich bin euer Krieger, ich bin eure Gerechtigkeit, ich bin eure Vergeltung, ich bin eure Vergeltung.
Fünftens und letztens: Verachtung von Frauen und LGBTQ-plus-Menschen.
Der Autoritarismus setzt Hierarchien durch. Es geht um Ordnung. Die faschistische Vorstellung von Ordnung ist auf eine bestimmte Hierarchie männlicher Dominanz ausgerichtet. Der heroische Krieger der Faschisten ist ein Mann. Frauen werden in untergeordnete Rollen gedrängt. Im Faschismus wird alles, was die traditionelle heroische männliche Rolle des Beschützers, Versorgers und Herrschers über die Familie in Frage stellt, als Bedrohung der sozialen Ordnung angesehen.
Der Faschismus versucht, Homosexuelle, nicht-binäre, Transgender und queere Menschen zu eliminieren, weil man durch sie den heroischen männlichen Krieger herausgefordert, ja geschwächt sieht.
Trump: Ich werde den Kongress auffordern, ein Gesetz zu verabschieden, laut dem in den Vereinigten Staaten die einzigen staatlich anerkannten Geschlechter Mann und Frau sind und diese bei der Geburt zugewiesen werden.
»Diese fünf Elemente des Faschismus passen zusammen und verstärken einander: Die Ablehnung der Demokratie zugunsten eines starken Mannes baut darauf, den Volkszorn zu wecken. Der Volkszorn stützt sich auf einen Nationalismus, der auf einer angeblich überlegenen Rasse oder Ethnie fußt. Gerechtfertigt wird diese überlegene Rasse oder Ethnie durch eine sozialdarwinistische Vorstellung von Stärke und Gewalt, dessen Verkörperung der heroische Krieger ist. Stärke, Gewalt und der heroische Krieger sind auf männliche Macht ausgerichtet.«
»Diese fünf Elemente finden ihren Ausdruck in Donald Trump, dessen speziell amerikanische Version des Faschismus weitgehend im weißen christlichen Nationalismus verwurzelt ist. Genau das ist die Richtung, in die die Mehrheit der republikanischen Partei im Augenblick steuert. Es reicht nicht aus, Trump und die Verfechter seiner Ideen als autoritär zu bezeichnen, wenn sie in Wirklichkeit etwas viel Schlimmeres befürworten: den Faschismus.«
Sie können das jetzt – Weber, Habermas & Fromm zitierend – als nicht tragfähig oder empirisch nicht belastbar zerreden, weil Ihnen Aspekte des ›faschistischen Minimums‹ wie die expansionistisch-imperialistische Großraumpolitik oder die Umwandlung der konstitutionellen Demokratie in eine monokratische Führerdiktatur fehlen, und dann selbstbefriedigt ins Bett gehen. Die Frage ist nur, ob Sie dann nicht Gefahr laufen, irgendwann die Nacht der langen Messer zu verschlafen und womöglich nicht mehr aufwachen. Täuschen Sie sich nicht: Trump macht uns das alles im Augenblick vor …
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