Aus dem angedachten »Trump-Wörterbuch« ist ja rasch ein »Trump-Lexikon« geworden, so faszinierend und beunruhigend das Thema nicht zuletzt auch in Hinsicht auf die längst auch in Europa eingeschlagene Marschrichtung gen Rechtsaußen ist. Dennoch möchte ich hier zur Abwechslung mal auf die ursprüngliche Absicht meiner Blog-Serie, will sagen, auf besagtes »Trump-Wörterbuch«, zurückkommen, und das aus folgendem Grund. Nach Sichtung zahlloser Zeitungsartikel und kommentierter Clips über Ansprachen und Aussagen des ehemaligen und vermutlich auch nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten scheint mir kaum eine Eigenschaft öfter erwähnt, kaum ein Adjektiv zur Beschreibung dieser Eigenschaft öfter zu fallen als das Wörtchen »unhinged«. Deshalb sollten wir hier etwas näher auf dieses aussagekräftige Adjektiv und, da es zu den Wörtern gehört, für die das Deutsche keine hundertprozentige Entsprechung hat, auch auf seine Übersetzung eingehen.
Lassen Sie mich für den Anfang drei Zitate herausnehmen, die sich alle auf Trump oder sein zunehmend bizarres Verhalten beziehen: »I think he’s the most flawed candidate in my lifetime … he is not as entertaining as he once was, he’s more unhinged than he ever was, more extreme, …«1 Das meinte Kaliforniens demokratischer Gouverneur Gavin Newsome, der sich für Joe Biden stark macht. »How surprised are you that after his many legal entanglements and unhinged rhetoric, Trump is steamrolling his way to the Republican nomination?«2 Das ist die Frage einer besorgten Journalistin auf MSNBC. Und die folgende Beobachtung stammt von Ken Harbough, einem Kult-Experten: »Trump campaign events have become vicious feedback loops with Trump feeding the paranoia of the crowd and they in turn fueling his own unhinged rants.«3 Man fragt sich natürlich, wie man das übersetzen könnte. Und wie so oft wenn sich die Übersetzung als problematisch gestaltet, stellt sich auch hier die Frage: Liegt das eher an der Fülle der Möglichkeiten oder in einem Mangel daran?
Was zunächst schon mal darauf zurückzuführen ist, dass das Adjektiv »unhinged« nicht eben neu ist. Abgeleitet von »hinge«, der »Angel« einer Tür oder eines Fensters, bezeichnet das Verb »to unhinge« den Vorgang dazu: »aus den Angeln heben« und »unhinged« dann ist logischerweise das Ergebnis dieses Kraftakts: »aus den Angeln« oder im weiteren Sinne »in Unordnung« oder »aus den Fugen«. Das Oxford English Dictionary führt als Erstbeleg dafür Daniel Defoes 1719 erschienenen Abenteuerroman Robinson Crusoe auf, dessen Titelheld damit seine Lebensumstände auf seiner einsamen Insel beschreibt. Sein Leben ist durch den Schiffbruch fast buchstäblich aus den Angeln gehoben, seine Welt ist aus den Fugen. Der Erstbeleg für die bildhafte, also übertragene Bedeutung jedoch, nach der uns hier ist, wird auf 1732 datiert, was nicht heißt, dass es sie nicht ebenfalls bereits länger gab, sie ist ja nur eine logische Übertragung des konkreten Zustands auf den Verstand: »geistig zerrüttet«, »verrückt«. Und die Konnotationen, sprich das, was man sich dabei vorstellt, gehen weit über ein bloßes »Verwirrtsein« hinaus. Wenn Joe Biden aus seinem Hubschrauber steigt und dann, unten angekommen, plötzlich kehrt macht und auf das metallene Ungeheuer zugeht, weil er nicht mehr weiß, wo er ist, so dürfen wir das als »geistig verwirrt« (und bei einem Präsidenten der USA als durchaus beängstigend) bezeichnen. Um »unhinged« zu sein, müsste er vermutlich mit dem Hubschrauber reden oder gar auf ihn einschimpfen. Oder das Teil, wie Trump das in diesem Fall gemacht hätte, streicheln und von einer schönen Maschine faseln, der er selbst gebaut hat und die ihn mag. Das Adjektiv konnotiert mit anderen Worten eher, dass einer »spinnt«. Alles klar?
Somit trifft »unhinged« recht gut das konfuse Gefasel Donald Trumps. Nun sind aber die in Englisch-Deutschen Wörterbüchern seit jeher angebotenen Übersetzungen – wie besagtes »geistig zerrüttet« – doch schon recht angestaubt. Das gute alte »verrückt« träfe es natürlich durchaus, aber damit übersetzt man in der Regel »crazy«. Wobei, nebenbei bemerkt, das neudeutsche »crazy« hier vielleicht gar nicht so verkehrt wäre. Auch das durchaus betagte »hirnverbrannt« böte sich für seine Ideen ebenso an wie das neuere »hirnrissig«, das angefangen von den 1970ern seine große Zeit in den Achtzigern und Neunzigern zu haben schien. Gefühlt könnte man vermutlich getrost etwas umgangssprachlicher zu Werke gehen. Auf der anderen Seite hört man »unhinged« natürlich vor allem in den Nachrichten. Wie sieht es da mit »abgedreht« aus, träfe es da eher »gestört«? »Übergeschnappt«? Sind »bescheuert« oder »durchgeknallt« da zu flapsig? »Beknackt«, »deppert«, »idiotisch«, »schwachsinnig«, eventuell auch »irre« oder »selten dämlich«. »Ausgetickt« träfe es vielleicht auch ganz gut. Im Falle von Trump vermutlich auch total »verpeilt«.
Wie gesagt, was wollte man Nachrichtensprechern in den Mund legen? Nicht dass man hierzulande aus deren Mund nicht auch »hippen« Wortschatz hört. Aber wie auch immer, es müsste sowohl auf den Typ selbst passen als auch auf sein Verhalten, seine Rhetorik und seine Ideen. Da wäre es sicher interessant, mal hundert Fundstellen einzeln durchzugehen. Aber vermutlich nur für Seifensieder wie mich. Irgendwie mag ich »durchgeknallt« am liebsten. Die »durchgeknallte Orange« – damit hatte ich die Reihe hier auch angefangen. Oder einfach »irre«.
Nur, Übersetzung hin oder her, durchgeknallt oder nicht, solche Leute mögen, zumindest in ihrer spinnigen Variante, hier und da mal ganz komisch sein, aber in der Politik scheinen sie mir eher gefährlich. Haben wir im Augenblick nicht genügend Beispiele für solche Typen? Wo man auch hinsieht: Moskau, Tel Aviv, Peking, Teheran, Kabul, Pjöngjang … Und Trump wäre womöglich das Streichholz in diese hochexplosive Welt. Und wenn Sie jetzt denken, seine erste Amtszeit sei ja nur halb so wild gewesen, wir haben sie überstanden, dann vergessen Sie, dass da noch Wärter im Weißen Haus waren, die uns vor dem Schlimmsten bewahrten. Sie sollten sich unbedingt noch mal meinen Artikel über das Project 2025 ansehen – in einer zweiten Amtszeit wird es in seiner Anstalt keine Wärter mehr geben …
Aber um auf das Übersetzungsproblem zurückzukommen. Einen Begriff zu übersetzen, gestaltet sich im konkreten Fall doch immer etwas komplizierter; kaum etwas lässt sich in jedem Fall so einfach über den im Wörterbuch gefundenen Kamm scheren.
»Ich glaube nicht, je einen Kandidaten mit so vielen Fehlern und Schwächen erlebt zu haben … er hat seinen Unterhaltungswert verloren, er ist irrer, extremer denn je …«
»Wie überrascht sind Sie, dass Trump trotz all seiner juristischen Probleme und seiner völlig gestörten Äußerungen unaufhaltsam auf die republikanische Nominierung zugeht?«
»Trumps Wahlkampfveranstaltungen sind zu perfiden Kopplungsschleifen geworden, bei denen Trump die Paranoia der Menge anheizt und diese wiederum seine eigenen gestörten Tiraden schürt.«
In Stein gehauen ist das freilich nicht …
Anmerkungen
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