Wie auch immer, Lowell erwähnt im selben Abschnitt, in dem es um das Verhältnis des Sprechers zur eigenen und zur fremden Sprache geht, ein deutsches Wörterbuch: »Dr. Petri’s Gedrängtes Handbuch der Fremdwörter« aus dem Jahre 1852. Aufgefallen ist Lowell – als Amerikaner – das Wörtchen »Humbug« oder besser gesagt dessen Definition:
Humbug, engl. (spr. hómbogh), ein Schwank; Faselei; gewöhnlich von den Aufschneidereien der Nordamerikaner gebraucht; Betrügerei.
Ich kannte den Petri bislang nicht, war also weniger über die kleine Spitze gegen die Amerikaner erstaunt (wir sollten hier mal über »tall tales« reden) als über den Umfang des Werks: 943 prall gefüllte Seiten! Fremdwörter! 1852! Und dabei spricht der Mann im Titel von einem »gedrängten Handbuch«. Mir fällt unwillkürlich Eduard Engels Sprich Deutsch! ein, das ich schon mal erwähnt – und wieder vergessen – habe.2 Aber ich möchte mir den Petri weniger unter dem normativen Gesichtspunkt des Verbietens als unter dem noch naiveren des Faszinosums anschauen. Passen Sie auf:
farinös, fr., mehlig, mehlartig; …
farouche, fr. (spr. farúsch), wild und scheu.
Nicht weiter verwunderlich; Französisch war lange die angesagte Sprache gewesen. Hatten beim Alten Fritz3 die Lakaien nicht sogar mit seinen über alles geliebten Tölen, Pardon, Windspielen französisch zu parlieren?4 Die Gebrüder Grimm standen kurz vor Drucklegung des ersten Bandes des ersten richtigen deutschen Wörterbuchs, das 1854 erschien; Petris Fremdwörterbuch erschien also zwei Jahre zuvor.
Aber auch das Englische kommt nicht zu kurz:
fashion, engl. (spr. fáschönn), die Tracht, Mode; Lebweise; fashionable (spr. fáschönäbl), modisch, anständig, standmäßig; Fashionables, Mz., Leute von Stande; Weltleute, Stutzer, = Fashionisten.
Was mich nun wirklich umhaut angesichts der Tatsache, dass »Fashionista«, selbstverständlich heute übers englische »fashionista« ins Deutsche gekommen, seit Jahren ein, ja buchstäblich ein Modewort ist. Dass »modisch« mit »anständig« gleichgesetzt wird, wäre eine eigene Betrachtung wert, gibt es doch dem allenthalben zu beobachtenden Labeldeppentum eine satte historische Perspektive.
intelligent, l., einsichtig, einsichtsvoll, verständig, kundig; Intelligenz, die Einsicht, geistige Kraft, Kenntniß, das Vernehmen, Verständniß; ein verständiges Wesen oder Verstand(es)wesen; Intelligenz-Blätter, Nachrichtblätter, Anzeigen; Intelligenz-Com℗toir, das Anzeig- oder Nachfragamt, die Anfragstube.
Da ich, was das Deutsche anbelangt, keinerlei historische Perspektive habe, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dass »intelligent« mal als Fremdwort gegolten haben muss, ist klar, aber »Intelligenz-Blätter« im Sinne von »Nachrichten« wie das englische »intelligence service« im Sinne eines »Nachrichtendienstes«? Das ist mir neu – und richtig aufregend…
Aber dann gibt es natürlich, »farinös« und »farouche« haben es ja schon angedeutet, wie heute ungezählte Fremdwörter, die ein normaler Mensch einfach nicht braucht – weil es eben pfenniggute deutsche Wörter für geben thut:
intelligibel, barb.-l., verständlich, fasslich, begreiflich; Intelligibilität, die Denkbarkeit, Erkennbarkeit, Begreiflichkeit; intelligiren, einsehen, verstehen, fassen, begreifen.
Unter »barb.l.« ist übrigens »barbarisch-lateinisch« zu verstehen. Und »intelligiren« sei all den Schwachköpfen ans Herz gelegt, die seit den 1980er-Jahren etwas »realisieren«, anstatt es zu »merken« – es ist genauso so schön doof.
Der Petri kommt jetzt gleich in die Bibliothek meiner Lieblingsbücher…
Und »to realize« wird bei mir künftig »intelligiren« …
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