nuschen: eine genuscht kriegen

War­um das an die­ser Stel­le mal ver­spro­che­ne Wör­ter­buch der deut­schen Umgangs­spra­che trotz heh­rer Absich­ten wie­der ein­ge­schla­fen ist, habe ich ande­ren­orts im Blog erklärt, aber irgend­wie sto­ße ich nun mal immer wie­der auf Wör­ter, die mich seit Jah­ren – immer wie­der mal – beschäf­ti­gen. »Nuschen« bzw. »eine genuscht krie­gen« ist eines davon. Und wo der Arti­kel hier seit Jah­ren als Ent­wurf bereit steht, ver­such ich das mal zu Ende zu bringen…

Wie dem auch sei, jeman­dem eine zu »nuschen« bzw. »eine genuscht krie­gen« / »eine genuscht bekom­men« ist Dia­lekt, und unse­re deutsch­spra­chi­gen Dia­lek­te sind (obwohl dazu auch zuneh­mend inkom­pe­ten­te Über­set­zun­gen zäh­len1 ) die eigent­li­chen Quel­len unse­rer gesamt­deut­schen Umgangs­pra­che. Zum Beleg dafür habe ich ja auch müh­se­lig den alten Gen­the auf­be­rei­tet. Da gäb’s noch viel zu holen, soweit die Aus­spra­che einer gesamt­deut­schen Ver­brei­tung nicht ent­ge­gen­steht. Und bei »nuschen« ist das nun sicher nicht der Fall. Ich bin – rela­tiv – sicher2, »nuschen« zum ers­ten Mal im TV gehört zu haben: irgend­je­mand hat­te, sei­ner Aus­sa­ge nach, irgend­je­man­dem »eine genuscht«.

Okay, das war noch vor dem Inter­net – oder jeden­falls noch bevor die­ses als World Wide Web für uns nutz­bar wur­de. Aber selbst heu­te gibt die Suche nicht all­zu viel her. Und Duden und selbst »der Küp­per« ver­sa­gen auch. Und wo wir schon dabei sind, das gilt auch für die gesam­te groß­ar­ti­ge Flö­te von klas­si­schen Wör­ter­bü­chern, die die Uni Trier ins Web gestellt hat. Aber wenn wir Dia­lekt ver­mu­ten, sind wir mit den guten alten (mit Beto­nung auf »alt«) Dia­lekt­wör­ter­bü­chern bzw. Idio­ti­ka sowie­so aus­nahms­los am bes­ten bera­ten. Und dazu muss man heu­te noch nicht mal mehr in den Lese­saal der nächs­ten Bibliothek.

Aber las­sen Sie mich erst mal das ers­te »moder­ne« Glos­sar zitie­ren, in dem ich »nuschen« sei­ner­zeit fand, Claus Spricks HÖMMA! Spra­che im Ruhr­ge­biet.

nuschen: jeman­dem eine nuschen = jeman­dem eine Kopf­nuß oder eine rasche (aber nicht sehr hef­ti­ge) OHR­FEIGE ver­pas­sen — “hör end­lich auf zu brül­len, oder will­ze noch eine genuscht krie­gen?” / SCHLAGEN3

Ich stel­le das Zitat des­halb an den Anfang, weil es – zumin­dest indi­rekt – die Bezie­hung zur »Nuss« her­stellt, die sich bei wei­te­rer Nach­for­schung womög­lich als Volks­ety­mo­lo­gie erweist. So fand ich damals mit eini­ger Bein­ar­beit, heu­te krie­gen Sie das, ohne den Hin­tern lüf­ten zu müs­sen, im Inter­net Archi­ve, einen ver­staub­ten Band aus dem Jah­re 1868 von einem Karl Regel, Die Ruhlaer Mund­art4 Nun, Ruh­la liegt (aber auch schon so was von mit­ten in Deutsch­land!) in Westthüringen.

noss v. trans. hef­tig schla­gen, prü­geln (z. B. dän hum­me düch­tig genosst’, ä hät ämä d’n kôpf genosst krejt tüch­ti­ge Schlä­ge auf den Kopf bekom­men); kópf­noss f. Kopf­nuss, Schlag auf den Kopf (där hät schô kôpf­nöss gekrêjt); eben­so thür. noss, nus­sen schla­gen, kopf­nuss Ohr­fei­ge; hen­neb. zer­nusst zer­schla­gen Fromm. 3, 137. bair. nus­sen, abnus­sen Schmell. 2, 711. wes­terw. nos­sen, nös­sen Schmidt 126. schwäb. nus­sen, ver­nus­sen Schmid 410. Schweiz, nüs­si n. Nasen­stü­ber, nusch m. Schlag, nuschen ohr­fei­gen Stald. 2, 246. 247. Schwer­lich haben die­se Wör­ter eine ande­re Ver­bin­dung mit ‚Nuss‘ (nux) als die, wel­che das ety­mo­lo­gi­sie­ren­de Volks­be­wusst­sein her­ge­stellt hat (wie z. B. auch in der ver­brei­te­ten thür. Redens­art: du kriegst Prü­gel wie ein Nuss­sack); viel­mehr berech­tigt uns das ahd. Par­tic. fir­nuo­so­ten attri­tis Grff. 4, 1126. 2, 1130, wel­ches als eine Ablei­tung von ahd. nuan tun­de­re erscheint (Grff. 4, 1125. Dfb. goth. wb. 1, 314), unse­rem Zeit­wort nus­sen, ver­nus­sen eine völ­lig geson­der­te Stel­le anzu­wei­sen.5

Die ich dia­kri­ti­schen Zei­chen im Zitat hier nicht kor­rekt wie­der­ge­ben kann, hier noch ein Screen­shot von der Stel­le im Buch für die, die’s genau­er wis­sen wollen:

Hal­ten wir erst mal zwei Punk­te fest: Ers­tens gab es das Wort schon damals von Mit­tel­deutsch­land bis in die Schweiz; wir müss­ten uns (viel­leicht spä­ter) noch im deut­schen Nor­den umse­hen; zwei­tens, kommt »nus­sen« bzw. »nuschen« womög­lich nicht von der »Nuss«. Ich zitie­re: »Schwer­lich haben die­se Wör­ter eine ande­re Ver­bin­dung mit ‚Nuss‘ (nux) als die, wel­che das ety­mo­lo­gi­sie­ren­de Volks­be­wusst­sein her­ge­stellt hat…«

Als Bay­er möch­te hier auch noch den von Regel ange­führ­ten Schmel­ler zitie­ren, zu des­sen Baye­ri­schem Wör­ter­buch ich ein recht gespal­te­nes Ver­hält­nis habe, weil es selbst in mei­ner schö­nen vier­bän­di­gen Print­aus­ga­be (Olden­bourg) a) schlicht kaum zu lesen und in dem b) sei­ner uner­gründ­li­chen Anord­nung wegen schlicht nichts zu fin­den ist. Was übri­gens lei­der auch für die Online-Aus­ga­be gilt. Pro­bie­ren Sie’s da mal im 1. Band, Spal­te 1764–65. Das fol­gen­de Zitat stammt jedoch aus der älte­ren Ausgabe.

nußen, abnu­ßen, der­nu­ßen Einen, ihn abprü­geln, durch­prü­geln. Nuß, plur. Stö­ße, Schlä­ge, Strei­che. Nuß krie­gen. Viel­leicht ist die­se Bedeu­tung von nußen eine blo­ße Figur von der vor­her­ge­hen­den, (d Wei­ber und d Nussbam wlln geschlag­ng sa). Indes­sen könn­te umge­kehrt die das Sto­ßens, des Bre­chens durch Sto­ßen oder Drü­cken die ers­te seyn. Vrgl. oben unter nie­ßen das alte nio­zan tun­de­re. Contriti[o] cor­dis heißt im Psalt. Windb. “des ver­noz­zen hercen.”

In Foll­manns Wör­ter­buch der deutsch-loth­rin­gi­schen Mund­ar­ten fin­den wir:

nos­sen [nosən Bo.] tr. v. mit dem Fin­ger­knö­chel auf den Kopf schla­gen: ich han em än genosst. — ElsWB els. 1, 789 nusse; hess. N. 195 nus­sen, nüs­sen sto­ßen, schla­gen; bai­er. 1, 1764 nus­sen, abnus­sen; östr. nuss’n puf­fen, knuf­fen From. 3, 191, 70. s. Nuss 2.6

Und in Mül­lers Rhei­ni­schem Wör­ter­buch haben wir noch:

Noss ‑o- = Nuss (s. d.); nos­sen ‑o- = prü­geln s. nus­sen II; 7

Es sei hier ange­merkt, dass die von Regel zitier­te inter­es­san­te Fund­stel­le »nusch m. Schlag, nuschen ohr­fei­gen Stald. 2, 246. 247.« aus dem Ver­such eines schwei­ze­ri­schen Idio­ti­kon mit ety­mo­lo­gi­schen Bemer­kun­gen Unter­mischt von Franz Joseph Stal­der (1812) stammt, wo es heißt:

Nuschen v act. u. n. – Strei­che, Ohr­fei­gen ver­set­zen (Unt.); Nusch, Schlag (Schf.) Von unserm Zwi­schen­wort nu (hui), wie Husche, Hur­sche von hui, hursch.

Inter­es­san­ter­wei­se fin­den sich hier auch noch

Nüschen, nischen, nuschen v. act. – rüt­teln. (B. Oberl.)8 

und

Nus­sen v.n.m. haben  (Pict. p. 309) Nüs­se pflü­cken.8

Auch wenn die Bedeu­tung damit geklärt ist, dem Ursprung von »nuschen« auf den Grund zu gehen, scheint gar nicht so leicht. Mit dem Umstand, dass man Nüs­se vom Baum schlägt, wäre »nus­sen« sicher pri­ma erklärt, aber das haben Volks­ety­mo­lo­gien nun mal so an sich, dass sie die nahe­lie­gends­ten, d.h die sich offen­sicht­lich anbie­ten­de Erklä­rung bevor­zu­gen. Ob es Sinn hat, sich nach der Naht­stel­le zu heu­te kaum mehr ver­ständ­li­chen Wör­tern wie fir­nuo­so­ten umzu­se­hen, »wel­ches als eine Ablei­tung von ahd. nuan tun­de­re erscheint«? Bes­ten­falls für Leu­te, die dafür bezahlt bekommen…

  1. sie­he »am Ende des Tages«, »lose Kano­nen«, »wil­der Ritt« und ähn­li­cher Mist, der als schick emp­fun­den und als Slang nach­ge­plap­pert wird []
  2. ich möch­te kei­nen Eid drauf leis­ten bei mei­nem Gedächt­nis, aber ich bil­de mir ein aus dem Mun­de von Hans Mei­ser; auf der ande­ren Sei­te: Habe ich die Nach­rich­ten auf RTL geguckt? Frag­lich… []
  3. Strae­l­e­ner Manu­skrip­te Ver­lag 1989. Glos­sar Nr. 3. EUROPÄISCHES ÜBERSETZER-KOLLEGIUM []
  4. Wei­mar: Her­mann Boehl­au, 1868. []
  5. Regel, Sei­te, 243 []
  6. Micha­el Fer­di­nand Foll­mann, Wör­ter­buch der deutsch-loth­rin­gi­schen Mund­ar­ten (1909) []
  7. Josef Mül­ler / Hein­rich Ditt­mai­er / Karl Mei­sen / Mat­thi­as Zen­der, Rhei­ni­sches Wör­ter­buch []
  8. Stal­der, 247 [] []
SlangGuy

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