Im Wör­ter­buch lau­ert der Tod – Über die Funk­ti­on des Slangs (3)

Serie

»Im Wör­ter­buch lau­ert der Tod«, ist nicht etwa ein Titel aus dem Nach­lass von Aga­tha Chris­tie, es han­delt sich viel­mehr um eine Erkennt­nis des ame­ri­ka­ni­schen Dich­ters James Rus­sel Lowell. Und die­se Erkennt­nis hat letzt­lich mehr mit Slang zu tun, als Sie je geahnt hät­ten. Lesen Sie dazu doch die drit­te Lie­fe­rung von Bran­der Matthews Essay, in der er auf eine wei­te­re Kate­go­rie von Slang ein­geht – wir hat­ten bis­her drei – und unter ande­rem auf die Unter­schie­de zwi­schen dem Slang der Groß­stadt und dem des ame­ri­ka­ni­schen Westens…

Fort­set­zung von hier. Über­set­zung © Bern­hard Schmid

Bran­der Matthews
Die Funk­ti­on des Slangs
aus Parts of Speech: Essays on Eng­lish (1901)

Teil III

Gar noch wich­ti­ger als die­se drit­te Klas­se von Slang ist die vier­te, die all jene Begrif­fe um­fasst, die sozu­sa­gen noch ihre Leh­re absol­vieren und von denen noch unge­wiss ist, ob man sie schließ­lich in die Gil­de guter Spra­che auf­nehmen wird. Die­se Begrif­fe sind ent­we­der nütz­lich oder nuzt­los; sie schlie­ßen ent­we­der eine Lücke oder sie schlie­ßen kei­ne; sie leben oder ster­ben also ent­sprechend der allgemei­nen Ein­schät­zung ihres Wer­tes. Wenn sie ster­ben, dann lan­den sie im Ver­ließ ver­ges­se­nen Slangs, und was Ver­ges­sen an­belangt, gibt es kein dunk­le­res Loch. Wenn sie über­le­ben, dann weil sie in die lite­ra­ri­sche Spra­che Auf­nahme fin­den, nach­dem sie dem Gespür eines Meis­ters der Sprach­kunst, des Sprach­hand­werks genehm waren, unter des­sen Paten­schaft man sie dann als voll­wer­ti­ges Mit­glied auf­nahm. Dar­an sehen wir, dass Slang eine Vor­be­reitungs­schule für neue Aus­drü­cke ist; nur die bes­ten Schü­ler bekom­men das Lang­lebigkeit ver­lei­hen­de Dip­lom; die ande­ren wird unwei­ger­lich ihr Schick­sal ereilen.

Manch­mal han­delt es sich bei die­sen neu­en  Aus­drü­cken um blo­ße Wör­ter, manch­mal um Wen­dun­gen. To go back on, etwa, und to give one’s self away sind charak­teris­tisch für die ge­lungensten Bei­spie­le die­ser vier­ten und in­teres­santesten Klas­se von Slang. Mit der Krea­ti­on von Phra­sen wie die­sen über­nimmt Slang das schöp­fe­ri­sche Ele­ment, das unse­re Spra­che mit ihrer Erstar­rung zur Lite­ra­tur abge­tö­tet hat. Seit die Lite­ra­tur auf­ge­kom­men ist, seit die Schul­meis­ter auf den Plan geru­fen sind, seit jedes Dorf sei­ne Dru­cker­pres­se hat, ist das schöp­fe­ri­sche Ele­ment der Spra­che durch Nicht­gebrauch atro­phiert. Im Slang über­lebt die­se Fähig­keit zuwei­len bis zu einem gewis­sen Grad – oder wenigs­tens ist er ein Ersatz für ihren Ein­satz. Anders ausge­drückt (und hier erlau­be ich mir, aus einem pri­va­ten Schrei­ben Pro­fes­sor Louns­bu­rys,1 einer der ers­ten Auto­ri­tä­ten auf dem Gebiet der eng­li­schen Sprach­ge­schich­te, zu zitie­ren), »Slang ist ein Bemü­hen sei­tens der Benut­zer einer Spra­che, etwas leben­di­ger, mar­ki­ger, bün­diger aus­zu­drü­cken, als die Spra­che, so wie sie ist, es erlaubt«; Slang, so füg­te er hin­zu, sei des­halb »die Quel­le, aus der die schwinden­den Ener­gien der Spra­che sich be­ständig erneu­ern«.

Kon­trär zu den aner­kann­ten Stan­dards der Spra­che wie er nun ein­mal ist, fin­det der Slang kei­ne Gna­de sei­tens derer, die sprach­lich für Recht und Ord­nung sor­gen zu müs­sen mei­nen. Nichts erstaunt den For­scher mehr, ja, nichts amü­siert ihn mehr als die Fest­stel­lung, dass Tau­sen­de von Wör­tern, die heu­te fes­ter Bestand­teil unse­rer Spra­che sind, einst als Ein­dring­lin­ge dif­fa­miert wur­den. »Im Wör­ter­buch lau­ert der Tod«, schrieb Lowell2 in dem denk­wür­di­gen lin­gu­is­ti­schen Essay, der die zwei­te Rei­he sei­ner Big­low Papers ein­lei­tet, »und wo die Kon­ven­ti­on der Spra­che zu strik­te Gren­zen steckt, ist auch der Boden, in dem der Aus­druck gedei­hen mag, abge­steckt, und wir bekom­men eine Topfli­te­ra­tur – chi­ne­si­sche Zwer­ge statt gesun­der Bäu­me.« Und in sei­nem Essay über Dry­den3 erklärt er, »eine Spra­che wächst und wird nicht ge­macht«. Pedan­ten umbau­en die Spra­che unab­lässig mit eiser­nen Regeln in dem ver­geb­lichen Bemü­hen, sie in ihrem natür­li­chen, ihren Bedürf­nis­sen ent­sprechenden Wuchs zu hemmen.

Es ist wahr, bei cab und mob han­delt es sich um abge­hack­te Wör­ter,4 und es besteht seit jeher eine gesun­de Abnei­gung gegen jede Art von Beschnei­dung unse­rer ver­ba­len Wäh­rung.5 Aber con­sols ist fest eta­bliert. Es gibt jedoch zwei abge­hack­te Wör­ter, die nir­gend­wo Freun­de haben: gents and pants. Dr. Hol­mes hat sie in einem Cou­plet an den Pran­ger gestellt:

The things named pants, in cer­tain documents,
A word not made for gen­tle­men, but gents.

Und jüngst ver­kün­de­te ein Schild vor einem gro­ßen Gebäu­de am Broad­way »Hands wan­ted on pants«, wobei es sich bei dem Gebäu­de um eine Beklei­dungs­fa­brik han­delt und nicht etwa, wie man hät­te mei­nen kön­nen, eine Knabenschule.

Der Slang der Metro­po­le, wo immer sie lie­gen mag, in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten oder Groß­bri­tan­ni­en, in Frank­reich oder Deutsch­land, ist fast immer dumm. Wen­dun­gen wie Ohé Lam­bert und on dirait du veau aus Paris oder all ser­e­ne und the­re you go with your eye out aus Lon­don sind an sich weder phan­tasievoll noch wit­zig – es sind Schlag­wör­ter, die, wenn über­haupt, nur durch all­ge­mei­ne Über­ein­kunft komisch sind und nur aus einem eso­te­ri­schen Grund. Auf sol­che alber­nen Phra­sen von kur­zer Popu­la­ri­tät spielt Dr. Hol­mes zwei­fels­oh­ne an, wenn er erklärt, »der Gebrauch von Slang oder wohl­fei­len All­ge­meinplätzen als Ersatz für eine dif­fe­ren­zier­te spe­zi­fi­sche Aus­drucks­wei­se ist gleich­zei­tig Sym­ptom und Ursa­che geis­ti­ger Atro­phie«. Und die­ser Gebrauch von Slang ist weit häu­fi­ger in der Stadt, wo die Leu­te oft spre­chen, ohne etwas zu sagen zu haben, als auf dem Land, wo die sprach­li­che Äuße­rung zäher von­stat­ten geht.

Womög­lich geht einer Bevöl­ke­rungs­grup­pe mit zu­nehmender kul­tu­rel­ler Ent­wick­lung die Schaf­fenskraft für bild­haf­te Phra­sen ver­lo­ren. Mag sein, dass eine gewis­se Gesetz­lo­sig­keit im Leben die Ursa­che für eine Gesetz­lo­sig­keit der Spra­che ist. Was den Slang der Metro­polen anbe­langt, ist der des Gesetz­lo­sen der leben­digs­te. Nach­dem Vidoq den Die­bess­lang6 in die fei­ne Gesell­schaft ein­ge­führt hat­te, wag­te Bal­zac, stets ein schar­fer Beob­ach­ter mit einem offe­nen Ohr für unver­brauch­te Spra­che, womög­lich zum Erstau­nen so man­cher, die Bemer­kung, »es gibt kei­ne kraft­vol­le­re, far­bi­ge­re Spra­che als die die­ser unter­ir­di­schen Welt«.7 Bal­zac war hin­sichtlich sei­nes Voka­bu­lars alles ande­re als kon­ven­tionell, und die Bril­lanz sei­ner Beschrei­bun­gen ver­dank­te so eini­ges gera­de sei­ner Abnei­gung gegen die abge­droschenen Phra­sen sei­ner Kol­le­gen aus der schrei­ben­den Zunft. Auf der Stel­le hät­te er Mon­tai­gne bei­gepflich­tet, wenn der Essay­ist erklärt, die Spra­che, die ihm gefal­le, geschrie­ben oder gespro­chen, sei »eine saf­ti­ge und ner­vi­ge Spra­che, knapp und kom­pakt, weni­ger deli­kat und fri­siert als vehe­ment und schroff, eher will­kür­lich als mono­ton, … nicht pedan­tisch, son­dern eher sol­da­tisch, wie Sue­to­ni­us die Spra­che Cäsars nann­te«.8 Und das bringt uns denn zu Mr. Bret Har­tes9

Phra­ses such as camps may teach,
Saber-cuts of Saxon speech,

Es herrscht mehr sol­da­ti­sche Offen­heit, grö­ße­re Frei­heit, weni­ger Zurück­hal­tung, weni­ger Res­pekt für Recht und Ord­nung im Wes­ten [Ame­ri­kas] als im Osten; und dies mag der Grund dafür sein, dass der ame­ri­ka­ni­sche Slang dem bri­ti­schen und dem fran­zö­si­schen über­le­gen ist. Die New Yor­ker Schlag­wör­ter mögen so töricht und wohl­feil sein wie die in Lon­don oder Paris, aber New York ist in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten nicht so wich­tig wie Lon­don für Groß­bri­tan­ni­en und für Frank­reich Paris; es ist nicht so domi­nant, nicht so fes­selnd. So kommt es, dass in Ame­ri­ka die schwä­che­ren Schlag­wör­ter der Stadt den kraft­volleren Phra­sen des Wes­tens gewi­chenhow’s your feet? sind. Es gibt nicht viel zu wäh­len zwi­schen Lon­dons und dem New Yor­ker well, I should smi­le, da weder die Exis­tenz der einen noch der ande­ren Phra­se zu ent­schul­di­gen ist, und kei­ne von bei­den durf­ten auf ein Über­le­ben hof­fen. Die Phra­se aus der Stadt ist oft unklar hin­sicht­lich Bedeu­tung und Ursprung. So bezeich­net man in Lon­don zum Bei­spiel eine vier­räd­ri­ge Drosch­ke als grow­ler. War­um? In New York nennt man ein Gefäß, in dem man in einer Bar gezapf­tes Bier nach Hau­se trägt, einen grow­ler, und der Akt, die­ses Gefäß von Zuhau­se in die Wirt­schaft zu schi­cken, nennt man working the grow­ler. War­um?

Fort­set­zung folgt.

  1. Tho­mas Ray­nes­ford Louns­bu­ry (Janu­ary 1, 1838–1915) was an Ame­ri­can lite­ra­ry his­to­ri­an and cri­tic, born in Ovid, New York, Janu­ary 1, 1838. Matthews spricht hier von Louns­bu­rys A Histo­ry of the Eng­lish Lan­guage 1879, 1894. []
  2. James Rus­sell Lowell 1819 – 1891. []
  3. John Dry­den 1631 – 1700 []
  4. clip­ped words []
  5. Sie­he dazu mei­nen klei­nen Arti­kel über Joseph Addi­son. []
  6. Die­be­sla­tein, Gal­gen­la­tein []
  7. Bal­zac, Hono­ré de, Glanz und Elend der Kur­ti­sa­nen, Leip­zig 1909, Band II, 138–315. []
  8. »Le par­ler que j’ai­me, c’est un par­ler simp­le et naïf, tel sur le papier qu’à la bou­che; un par­ler suc­cu­lent et ner­veux, court et ser­ré; non tant déli­cat et peig­né, com­me véhé­ment et brusque; … plust­ost dif­fi­ci­le qu’en­nuyeux; eslo­ing­né d’af­fec­ta­ti­on; des­re­glé, des­cou­su et har­dy: chas­que lop­pin y face son corps; non pedan­tes­que, non fra­tes­que, non plai­de­res­que, mais plust­ost sol­da­tes­que, com­me Sué­to­ne appel­le celuy de Juli­us Gae­s­ar; et si ne sens pas bien pour­quoy il l’en appel­le.« Mon­tai­gne, Essais de Michel de Mon­tai­gne, Tome pre­mier, 274 (Paris: Chez Lefè­v­re, 1818). []
  9. Fran­cis Bret Har­te 1836 –1902 was an Ame­ri­can aut­hor and poet, best remem­be­red for his accounts of pio­nee­ring life in Cali­for­nia. []
SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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