Fortsetzung von hier. Übersetzung © Bernhard Schmid
Vielleicht ist das Bild von der Aristokratie etwas irreführend, da wir in der englischen Sprache wie im nachrevolutionären Frankreich la carrière ouverte aux talents finden und jedes Wort eine faire Chance auf die höchste Würde – die Aufnahme ins Wörterbuch – hat. Zweifelsohne spielen familiäre Beziehungen nach wie vor eine große Rolle, und einige Wörter tun sich weit leichter damit, im Leben aufzusteigen als andere. Überwiegender Ansicht nach verleihen Krieg, Gesetz und Medizin einem Terminus technicus einen ehrenwerteren Stammbaum als zum Beispiel die Bühne oder der eine oder andere Sport.
Und dennoch verfügt gerade die Welt der Bühne über ein eigenes voluminöses Vokabular, das mit höchster Präzision eingesetzt wird. Das Theater ist eine Brutstätte zeitgenössischen Slangs, der oft nicht weniger gesetzlos, kräftig und ausdrucksstark ist als die Phrasen des amerikanischen Westens; aber es verfügt auch über eine eigene Terminologie mit Hunderten von Wörtern, die stets mit absoluter Präzision eingesetzt werden. Ein mascot, jemand der Glück bringt, und ein hoo-doo, jemand der Pech bringt, sind Begriffe aus der Welt der Bühne, soviel steht fest; und auch bei so manch anderem merkwürdigen Wort wird sie als Quelle genannt. Aber jeder hinter den Kulissen weiß auch, was sky-borders, was bunch-lights, was vampire-traps und raking-pieces sind – allesamt technische Begriffe, die alle mit strenger Präzision eingesetzt werden. Wie die technischen Begriffe eines jeden anderen Metiers auch, sind sie für den Uneingeweihten oft verwirrend, und ein greenhorn könnte noch nicht einmal eine Vermutung anstellen über die Bedeutung von Ausdrücken, die im Konversationszimmer zu hören sind. Welcher Laie vermöchte die Aufgabe eines cut-drop zu erklären, den Sinn einer carpenter’s scene oder die präzise definierten Privilegien, die ein bill-board ticket einschließt?
Es gibt ein Wort, das das allgemeine Vokabular der Öffentlichkeit jüngst dem kleineren des Schauspielhauses entlehnt und das augenscheinlich in der Vergangenheit der eine oder andere Wanderschauspieler von einem anderen, mit dem Slang der Diebe vertrauten Vagabunden ausgeborgt hat. Dieses Wort ist fake. Es wies immer schon auf eine betrügerische Absicht. »Are you going to get up new scenery for the new play?« könnte etwa jemand fragen, und die Antwort wäre: »No; we shall fake it.« – was bedeutet, man würde ein altes Bühnenbild1 überarbeiten und dergestalt anpassen, dass es den Anschein eines neuen erweckt. Von der Bühne ging das Wort über auf die Zeitungsbranche, wo ein fake2 ein frei erfundener, also nicht auf Tatsachen begründeter Artikel ist, »made out of whole cloth«,3 wie ein stump-speaker4 sagen würde. Für Mr. Howells,5 stets kühn im Gebrauch neuer Wörter, ist fake gut genug, um es in The Quality of Mercy6 ohne das Stigma von Anführungszeichen oder Kursiven zu verwenden; so wie er in eben diesem Roman auch das umgangssprachliche electrics für elektrisches Licht verwendet: »He turned off the electrics.«
Und daraufhin mag der Rest von uns sowohl fake als auch electrics guten Gewissens benutzen, wobei wir uns entweder hinter Mr. Howells verstecken, der sich im Falle eines Angriffs seiner Haut wohl zu wehren weiß, oder eben selbst antreten und auf unser Recht pochen, die beiden Wörter aufzugreifen, weil sie nützlich sind. »Ist es vonnöten? Hält es der sprachlichen Analyse stand? Stammt es aus berufenem Munde oder wird von einem solchen gestützt? Dies sind die Überlegungen, anhand derer ein allgemeiner Konsens gewonnen oder verworfen wird«, erfahren wir von Professor Whitney, »und der allgemeine Konsens entscheidet jeden Fall unter Ausschluss des Rechtsweges.« Ganz zufällig ist Don Quixote Professor Whitney mit dieser Auslegung des Gesetzes zuvorgekommen, denn bei seiner Unterweisung Sancho Pansas, der eben zum Statthalter einer Insel ernannt werden soll, bediente der Mann von der Mancha sich einer latinisierten Form eines gewissen Wortes,7 das vulgär geworden war, und erklärte dabei: »und wenn auch mancher dieses Wort nicht versteht, so schadet es wenig, denn der Gebrauch wird es mit der Zeit einführen, so daß es alsdann leicht verstanden wird, und dieses heißt die Sprache bereichern, über welche die Menge sowie die Gewohnheit immer ihre Macht ausüben.«8 Zuweilen latinisiert man das nötige, aber als für den Gebrauch zu ordinär betrachtete Wort, wie Don Quijote es vorzog, aber in der Regel erfährt es eine Veredelung, ohne verändert zu werden, indem man es einfach aus dem Kreise seiner ehemaligen, niederen Gefährten entführt.
Eine der schwierigsten Lektionen für den Amateurlinguisten, besteht in einer Erkenntnis, die den meisten von ihnen verwehrt bleiben wird, dass nämlich Vorlieben flüchtig sind, dass Vulgarismen an ihrer eigenen Schwäche sterben und Verballhornungen der Sprache kaum Schaden zufügen. Und nach dem Grund dafür braucht man nicht lange zu suchen: entweder sind die augenscheinliche Vorliebe, der mutmaßliche Vulgarismus, die so genannte Verballhornung ebenso zufällig wie nutzlos, in welchem Falle sie sich nur kurzer Beliebtheit erfreuen und rasch wieder in Vergessenheit geraten wird; oder sie erfüllen einen Zweck und schließen eine Lücke, in welchem Falle sie sich, ganz gleich wie schlampig oder inkorrekt sie gebildet sein mögen, behaupten werden, womit der Fall dann erledigt ist. Anders ausgedrückt, Slang und all die anderen Abweichungen vom hohen Standard der literarischen Sprache sind entweder flüchtiger Art oder von Dauer. Wenn sie nur kurzlebig sind, so ist der Schaden, den sie anrichten können, nicht der Rede wert. Sind sie von Dauer, so verdanken sie ihr Überleben einzig und allein der Tatsache, dass sie praktisch oder notwendig sind. Hat ein Wort, eine Phrase sich eingerichtet (wie allem Anschein nach reliable),9 so ist es müßig, eine von der letzten Instanz gefällte Entscheidung zu verurteilen. Wir können bestenfalls, falls wir dies vorziehen, selbst von ihrem Gebrauch absehen.
Wir können sogar noch weitergehen und den Spieß gegenüber jenen umdrehen, die im Slang ein stetig wachsendes Übel sehen. Nicht nur ist seitens angeblicher Verballhornungen und zweifelhafter Wendungen flüchtiger Beliebtheit für die Sprache kaum Gefahr zu befürchten, wirklich Schaden richten die Puristen selbst an, denen nicht jede Änderung unserer Sprache einleuchten und die der Entwicklung des Sprachgebrauchs überhaupt Einhalt gebieten und die Freiheit einschränken wollen, die es unserer Sprache ermöglicht, ungehindert all den Bedürfnissen nachzukommen, die sich im Lauf der Zeit enthüllen. Es sind diese Zensoren, in ihrer Halbbildung immer rasch bei der Hand, gegen alles ihnen Neue zu protestieren und den Standard ihrer engen persönlichen Erfahrung gemäß zu setzen, die der Entwicklung einer Sprache Zügel anzulegen versuchen. Es kann gar nicht oft und nachdrücklich genug erklärt werden, was für ein Glück wir haben, dass die Pflege unserer Sprache sowie die Kontrolle ihrer Entwicklung nicht in den Händen selbst der kompetentesten Gelehrten liegt. In der Sprache wie in der Politik ist das Volk auf lange Sicht der bessere Kenner seiner eigenen Bedürfnisse, als irgendein Spezialist es sein kann. Wie Professor Whitney sagt, wäre »die Sprache bald eines nicht geringen Teils ihrer Kraft beraubt, würde man sie ausschließlich in die Hände eines Individuums oder einer Klasse geben.« Und in niemandes Obhut wäre sie schneller verkümmert als in den Händen der Pedanten und Pädagogen.
Eine in sprachlicher Hinsicht schlampige Person ist so anstößig wie jemand, der sich in Bezug auf Manieren und Kleidung gehen lässt; und Sauberkeit des Ausdrucks ist dem Ohr so angenehm wie Sauberkeit in der Kleidung dem Auge. Man sollte seine Worte wenigstens ebenso sorgfältig wählen wie seine Kleidung; selbst der Anflug des Dandytums ist nicht anstößig, wenn es beim Anflug bleibt. Wenn man jedoch sein ganzes Denken auf seine Kleidung richtet, so liegt das im allgemeinen daran, dass man kein großer Denker ist; wenn jemand also seine Kraft allein darauf verwendet, Wörter und Wendungen zu verwerfen, dann im allgemeinen deshalb, weil es ihm an Ideen für die Wörter und Wendungen mangelt, die vor seinem Urteil bestehen. In den meisten Fällen lässt sich das, was man zu sagen hat, am besten sagen, ohne in Slang zu verfallen; aber andererseits ist ein Slangausdruck, der uns tatsächlich etwas sagt, besser als ein makelloser, aber über das Bewusstsein seiner eigenen Schicklichkeit hinaus leerer Satz.
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