Jeder ist ein Über­set­zer – über im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes ein­ge­bil­de­te Wörtlichkeit

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Jeder kann über­set­zen. Natür­lich, so wie jeder im Prin­zip alles auf die­ser Welt kann: kochen, lau­fen, klemp­nern, Leu­te hin­sicht­lich ihrer Steu­ern bera­ten. Jeder von uns kann zu einem hohen Pro­zent­satz, was jeder ande­re kann. Nur, wenn Sie drei­ßig Jah­re Moto­ren bau­en, dann sehen Ihre Moto­ren eben anders aus als der, den sich da gera­de ein blu­ti­ger Amateur­schrauber zusam­men­zurammeln ver­sucht. Das Pro­blem ist nur, außer beim Über­set­zen müss­te man das in kei­nem ande­ren Metier auf der Welt dis­ku­tie­ren. Weder beim Moto­ren­bau, noch beim Leis­tungs­sport. Und auch die Män­gel des Ama­teur­pro­dukts wären über­all rasch zu sehen.

Ich höre als Über­set­zer immer wie­der mal, dass man denn doch lie­ber mit jeman­dem arbei­ten wür­de, der »wört­lich« über­setzt und des­sen Über­set­zun­gen sich den­noch »gut lesen«. Von mir aus. Als pro­fes­sio­nel­ler Über­set­zer bin ich die­se Dis­kus­si­on herz­lich leid. Ich ver­knei­fe mir selbst die Bemer­kung, man soll­te selbst­ver­ständ­lich dort­hin gehen, wo man gelie­fert bekommt, was man als blu­ti­ger Ama­teur für das Bes­se­re hält; es führ­te doch wie­der nur zur ewig glei­chen alber­nen, weil sinn­lo­sen Dis­kus­si­on. Ner­vig ist natür­lich, wenn man ein »redi­gier­tes« Manu­skript zur Durch­sicht zurück­be­kommt, das sich mehr oder weni­ger als eben die Inter­li­ne­ar­ver­si­on ent­puppt, die man durch mehr­ma­li­ge Über­ar­bei­tung bewusst hin­ter sich gelas­sen hat. Mehr oder weni­ger, weil plötz­lich auch mas­sen­wei­se Feh­ler drin­ste­hen, die man als Pro­fi nie gemacht hätte.

Es ist immer die­sel­be Illu­si­on: dass die­se offen­sicht­lich so wün­schens­wer­te »Wört­lich­keit« beim Über­set­zen die bes­se­re Lösung sei.1 Was man – hier wären eine Rei­he von Exkur­sen über Stil von­nö­ten – noch als Geschmack­sa­che abtun könn­te, läge das ers­te Gegen­ar­gu­ment nicht immer gleich auf der Hand: Die­se Art der wört­li­chen Über­set­zung geht so gut wie immer (es gibt natür­lich Über­set­zun­gen unter­schied­li­cher Schwie­rig­keitsgrade) Hand in Hand mit einer weit gerin­ge­ren Tref­fer­quo­te – sprich: einer grö­ße­ren Zahl von Über­set­zungs­feh­lern. War­um? Nun, ganz ein­fach: weil man sich als Über­set­zer – über­spitzt aus­ge­drückt – jedes Wort & jede Wen­dung einer Fremd­spra­che erar­bei­ten muss, um es schließ­lich rich­tig ein­ord­nen und ent­spre­chend über­set­zen zu kön­nen. Das ist ein jahr­zehn­te­lan­ger Lern­pro­zess; schließ­lich muss man eine gan­ze frem­de Kul­tur absor­bie­ren. Aber das Ergeb­nis nennt man Erfah­rung. Die bei der Über­set­ze­rei – als ein­zi­gem Metier auf der Welt, das jeder »kann« – dum­mer­wei­se nicht zählt.

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Las­sen wir den Umstand, dass »wört­li­che« – ich ver­ste­he das hier mal wie klein Häns­chen – Über­set­zun­gen sich, unge­ach­tet des Stils im Aus­gangs­text, immer gleich platt – und unge­ach­tet ver­schie­dens­ter Autoren über­haupt alle gleich – anhö­ren, mal außen vor. Man braucht nie lan­ge zu suchen, bis man auf die ers­ten Feh­ler stößt. Wenn näm­lich so ein »wört­li­cher« Über­set­zer etwa »I’m sick and tired« mit „ich bin krank und müde“ über­setzt – nur weil ich es eben in einem eige­nen Lek­to­rat einer teils pene­trant »wört­li­chen« Über­set­zung gefun­den habe. Das ist ein gro­ber Schnit­zer. Der dis­qua­li­fi­ziert. Dar­über hin­aus fin­den sich bei der »wört­li­chen« Frak­ti­on eine Unmen­ge klo­bi­ger Rela­tiv- und ande­rer Neben­sät­ze, die im Ori­gi­nal gar nicht drin­ste­hen. Inter­es­san­ter dabei ist: Was ist denn in sol­chen Fäl­len plötz­lich aus der »Wört­lich­keit« gewor­den, um die man so bemüht ist?  Wenn aus „the vast eventful plain” wird: „der uner­mess­li­chen Ebe­nen … , die vor Ereig­nis­sen nur so vibrierte[n]“ wird. Wo ist da plötz­lich die pro­pa­gier­te Wört­lich­keit? Aus »eventful« wird ein gan­zer Neben­satz! Ein dep­per­ter oben­drein. Also Pfei­fen­de­ckel: Wört­lich­keit weist auf Unver­mö­gen, auf einen Man­gel an Erfah­rung, auf man­geln­de Sou­ve­rä­ni­tät im Umgang mit dem Text!

Neh­men wir nur zwei Bei­spie­le aus einem sol­chen in die Inter­li­ne­ar­ver­si­on2 zurück­ge­zerr­ten Text, wie ich ihn heu­te Mor­gen in der Mail­box hatte.

Das ers­te Bei­spiel, gleich im ers­ten Satz, sei hier nur als typisch für die albern-pene­trant-pin­se­li­ge Gschaftl­hu­be­rei die­ser Art von Redak­ti­on ange­führt: aus mei­nem Neben­satz »davon ist der Ame­ri­ka­ner über­zeugt« wird »davon sind die Ame­ri­ka­ner über­zeugt«. Weil im Aus­gangs­text »Ame­ri­cans« – Plu­ral – steht. Na und? »Der Ame­ri­ka­ner« bedeu­tet im Deut­schen »die Ame­ri­ka­ner«. Es ist das­sel­be und wenn ich es hät­te so schrei­ben wol­len, hät­te ich es getan. Bin ich nach über vier­zig Jah­ren Beschäf­ti­gung mit der eng­li­schen Spra­che nicht in der Lage, einen Plu­ral zu erken­nen? Nein. Ich habe mich bewusst für den Sin­gu­lar ent­schie­den, und da es nicht falsch ist, geht das einen Redak­teur auch nichts an.3 Ich brau­che doch Jahr­zehn­ten als Über­set­zer kei­nen Dol­met­scher, der mei­ne Spra­che in die sei­ne über­setzt. Die unterm Strich die des blu­ti­gen Ama­teurs ist, wie Sie gleich sehen werden.

Denn natür­lich bleibt – sie­he oben genann­tes Axi­om – auch der Mist nicht aus.

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So heißt es plötz­lich »Geschäfts­zweig« statt »Geschäft« mit einem Hin­weis auf irgend­ei­ne »Dop­pel­be­deu­tung von ›racket‹«4 am Rand. Nun, ein »racket«, da brau­che ich als Über­set­zer – und oben­drein Autor von Slang­wör­ter­bü­chern – nun wirk­lich nicht nach­zu­schla­gen, ist jede Art von zwei­fel­haf­tem Geschäft das gewohn­heits­mä­ßig bzw. orga­ni­siert betrie­ben wird, von sys­te­ma­ti­schen klei­nen Betrü­ge­rei­en bis hin zur orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät. Im klei­nen Stil sagt man da ger­ne so was wie: »Nice litt­le racket you got the­re.« Das wäre dann »eine net­te klei­ne Masche«. »Masche« hät­te es in die­sem Text – es geht um die Machen­schaf­ten des mili­tä­risch-indus­tri­el­len Kom­ple­xes – zur Not auch getan, aber »Geschäft« schien es mir bes­ser zu tref­fen. Im Deut­schen fehlt eine Ent­spre­chung zu »racket«, die alles umfas­sen wür­de. Dago­bert Lind­lau hat sein Buch über das orga­ni­sier­te Ver­bre­chen des­halb auch Rak­ket beti­telt. Er hat damit aber eben die Mafia & Kon­sor­ten gemeint. Man hät­te in die­sem Fall »Geschäft« mit »net­tes« o.ä. qua­li­fi­zie­ren kön­nen; ich habe selbst dar­an gedacht, hät­te also auch nichts dage­gen gehabt, wenn der Redak­teur das gemacht hät­te. Aber »Geschäfts­zweig«? WTF? Auf wel­chem Pla­ne­ten soll­te das eine Ver­bes­se­rung mei­ner Lösung dar­stel­len.5

Und so geht das wei­ter. Satz für Satz. Nur: die­se bei­den Bei­spie­le genü­gen völ­lig, um den Betref­fen­den als blu­ti­gen Ama­teur aus­zu­wei­sen. Und damit zu dis­qua­li­fi­zie­ren.6 Jemand, der so einen Mist schreibt, hat mei­nen Text ein­fach nicht zu beur­tei­len, weil er ihn, egal, was er sich nun ein­bil­det, eben nicht beur­tei­len kann; ich mei­ne, er kann sich pri­vat sei­nen Teil dazu den­ken, aber er hat nicht drin rum­zu­schmie­ren, zumal wenn es sich um ein Pro­dukt han­delt, das der Kund­schaft, dem Leser eines Buches, in die­sem Fal­le eines Maga­zins, ver­kauft wer­den soll.

In kei­nem ande­ren Metier müss­te man dar­über auch nur ein Wort verlieren.

Über­le­gen Sie doch mal: Wenn Sie drei­ßig Jah­re Moto­ren bau­en, dann sehen Ihre Moto­ren eben anders aus als das Teil von einem, das da irgend­wo ein blu­ti­ger Ama­teur zusam­men­zu­schrau­ben ver­sucht. Zumal einer, der nicht zwi­schen einem Ver­ga­ser und einem Ein­sprit­zer unter­schei­den kann und in sei­nem Leben noch kei­ne Zünd­ker­ze gewech­selt hat. Wür­den Sie sich auch nur die Brem­sen von so einem ein­stel­len las­sen wol­len? Oder in einen Flie­ger stei­gen, an dem ein blu­ti­ger Ama­teur das letz­te Wort gehabt hat?

Tut mir leid, aber ab einem bestimm­ten Punkt fängt eben die Spe­zia­li­sie­rung an. Ich schla­ge auch schon mal einen Nagel in die Wand, set­ze auch einen Dübel, aber es wür­de mir nicht im Traum ein­fal­len, mich des­halb für einen gelern­ten Mau­rer hal­ten zu wol­len. Und das ist über­all so. Nur bei der Über­set­ze­rei nicht. Und war­um nicht? Über­set­zun­gen sind doch auch ein Pro­dukt, das für Geld in die Läden kommt. Schon, aber sie müs­sen nicht »funk­tio­nie­ren«; sie müs­sen eben nicht fah­ren, flie­gen oder ein­fach nicht in sich zusam­men­fal­len wie ein Haus. Sie wer­den eben nur beur­teilt. Und das eben von Ama­teu­ren. Absur­der­wei­se haben die der Ver­lags­welt das letz­te Wort…

… wer sonst woll­te sei­ne Zeit mit dem Ver­such ver­schwen­den, den 500SL, den er vom Über­set­zer bekommt, auf die Daim­ler Ben­zinkut­sche zurück­zure­di­gie­ren, nur weil er an einer Über­set­zung – im Gegen­satz zu dem Wagen, den er selbst fährt, ver­steht sich – alle Hebel und Räd­chen sehen zu müs­sen meint. Nicht dass er dazu in der Lage wäre. »Wört­lich­keit« ist ein Kon­zept des Ama­teurs – bil­den Sie sich da erst gar nichts ein.

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Sie­he zum The­ma u.a. auch hier und hier.

  1. Das hat viel mit der Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit zu tun, mit denen der Ama­teur in einem Wald von Wör­tern steht. Er sieht noch nicht ein­mal, dass er in sei­ner Ver­zweif­lung, sich da durch­zu­fin­den, vor lau­ter Bäu­men den Wald nicht mehr sieht. Man muss aber den Text vor­ne­weg stel­len, man muss wis­sen, was man damit machen will, was für ein Gesicht die Über­set­zung haben soll. Da hat der ein­zel­ne Satz sich dann eben unter­zu­ord­nen. []
  2. nicht dass bei mir die Inter­li­ne­ar­ver­si­on der­art lau­sig gewe­sen wäre []
  3. Dass so ein Klug­schei­ßer sich nie auch nur ein ein­zi­ges Mal die Fra­ge stellt, war­um man das so und nicht so gemacht hat, habe ich auch noch nicht erlebt. War­um macht einer, der jahr­zehn­te­lang in einem Beruf tätig ist, etwas anders als ich, der das noch nie gemacht hat? Wenn es nicht so ist, wie der Ama­teur es für rich­tig hält, dann ist es eben falsch. Und im Zwei­fels­fal­le ist auch noch gleich der Autor ein Trot­tel: Ich kann dar­über mal geson­dert blog­gen, aber suchen Sie hier mal nach Shar Pei. []
  4. darf ich auf mein eige­nes, auf die­ser Sei­te bewor­be­nes Ame­ri­can Slang ver­wei­sen, das über »racket« (fast) alles sagt? []
  5. Was mit »Dop­pel­be­deu­tung« gemeint sein soll, ver­ste­he ich auch nicht. »Racket« hat noch ande­re Bedeu­tun­gen, schon, aber es wird hier auf kei­ne davon ange­spielt. Damit liegt auch kei­ne Dop­pel­be­deu­tung vor. Auch das die Reak­ti­on des Ama­teurs: er weiß nicht, was etwas heißt, schlägt nach, fin­det drei­zehn Bedeu­tung und schwätzt von »dop­pel­deu­tig«, weil er sich nie klar gemacht hat, dass der Mut­ter­sprach­ler – in der  Regel – weiß, was er sagt und damit eben nur genau eine der ande­ren Bedeu­tun­gen meint. Und die erkennt der Pro­fi eben sofort aus dem Kon­zext. Dop­pel­deu­tig­keit fin­den Sie in der Über­schrift die­ses Arti­kel­chens: »ein­ge­bil­de­te« Wört­lich­keit meint sowohl die Tat­sa­che, dass jemand sich ein­bil­det, eine Über­set­zung habe wört­lich zu sein, um gut zu sein, als auch auf den Umstand, dass sei­ne Über­set­zung wört­lich sei, wo sie doch nur so vor Feh­lern strotzt; und es spielt auf die Ein­ge­bil­det­heit an, über die man ver­fü­gen muss, als blu­ti­ger Ama­teur unter dem Strich die Über­set­zung eines Pro­fis ver­bes­sern zu kön­nen. []
  6. Im Sport muss man sich qua­li­fi­zie­ren, um in einer bestimm­ten Klas­se mit­stin­ken zu wol­len. In der Ver­lags­welt haben Leu­te das letz­te Wort, die nie im Ring gestan­den haben. []
SlangGuy

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