Ich höre als Übersetzer immer wieder mal, dass man denn doch lieber mit jemandem arbeiten würde, der »wörtlich« übersetzt und dessen Übersetzungen sich dennoch »gut lesen«. Von mir aus. Als professioneller Übersetzer bin ich diese Diskussion herzlich leid. Ich verkneife mir selbst die Bemerkung, man sollte selbstverständlich dorthin gehen, wo man geliefert bekommt, was man als blutiger Amateur für das Bessere hält; es führte doch wieder nur zur ewig gleichen albernen, weil sinnlosen Diskussion. Nervig ist natürlich, wenn man ein »redigiertes« Manuskript zur Durchsicht zurückbekommt, das sich mehr oder weniger als eben die Interlinearversion entpuppt, die man durch mehrmalige Überarbeitung bewusst hinter sich gelassen hat. Mehr oder weniger, weil plötzlich auch massenweise Fehler drinstehen, die man als Profi nie gemacht hätte.
Es ist immer dieselbe Illusion: dass diese offensichtlich so wünschenswerte »Wörtlichkeit« beim Übersetzen die bessere Lösung sei.1 Was man – hier wären eine Reihe von Exkursen über Stil vonnöten – noch als Geschmacksache abtun könnte, läge das erste Gegenargument nicht immer gleich auf der Hand: Diese Art der wörtlichen Übersetzung geht so gut wie immer (es gibt natürlich Übersetzungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade) Hand in Hand mit einer weit geringeren Trefferquote – sprich: einer größeren Zahl von Übersetzungsfehlern. Warum? Nun, ganz einfach: weil man sich als Übersetzer – überspitzt ausgedrückt – jedes Wort & jede Wendung einer Fremdsprache erarbeiten muss, um es schließlich richtig einordnen und entsprechend übersetzen zu können. Das ist ein jahrzehntelanger Lernprozess; schließlich muss man eine ganze fremde Kultur absorbieren. Aber das Ergebnis nennt man Erfahrung. Die bei der Übersetzerei – als einzigem Metier auf der Welt, das jeder »kann« – dummerweise nicht zählt.
Lassen wir den Umstand, dass »wörtliche« – ich verstehe das hier mal wie klein Hänschen – Übersetzungen sich, ungeachtet des Stils im Ausgangstext, immer gleich platt – und ungeachtet verschiedenster Autoren überhaupt alle gleich – anhören, mal außen vor. Man braucht nie lange zu suchen, bis man auf die ersten Fehler stößt. Wenn nämlich so ein »wörtlicher« Übersetzer etwa »I’m sick and tired« mit „ich bin krank und müde“ übersetzt – nur weil ich es eben in einem eigenen Lektorat einer teils penetrant »wörtlichen« Übersetzung gefunden habe. Das ist ein grober Schnitzer. Der disqualifiziert. Darüber hinaus finden sich bei der »wörtlichen« Fraktion eine Unmenge klobiger Relativ- und anderer Nebensätze, die im Original gar nicht drinstehen. Interessanter dabei ist: Was ist denn in solchen Fällen plötzlich aus der »Wörtlichkeit« geworden, um die man so bemüht ist? Wenn aus „the vast eventful plain” wird: „der unermesslichen Ebenen … , die vor Ereignissen nur so vibrierte[n]“ wird. Wo ist da plötzlich die propagierte Wörtlichkeit? Aus »eventful« wird ein ganzer Nebensatz! Ein depperter obendrein. Also Pfeifendeckel: Wörtlichkeit weist auf Unvermögen, auf einen Mangel an Erfahrung, auf mangelnde Souveränität im Umgang mit dem Text!
Nehmen wir nur zwei Beispiele aus einem solchen in die Interlinearversion2 zurückgezerrten Text, wie ich ihn heute Morgen in der Mailbox hatte.
Das erste Beispiel, gleich im ersten Satz, sei hier nur als typisch für die albern-penetrant-pinselige Gschaftlhuberei dieser Art von Redaktion angeführt: aus meinem Nebensatz »davon ist der Amerikaner überzeugt« wird »davon sind die Amerikaner überzeugt«. Weil im Ausgangstext »Americans« – Plural – steht. Na und? »Der Amerikaner« bedeutet im Deutschen »die Amerikaner«. Es ist dasselbe und wenn ich es hätte so schreiben wollen, hätte ich es getan. Bin ich nach über vierzig Jahren Beschäftigung mit der englischen Sprache nicht in der Lage, einen Plural zu erkennen? Nein. Ich habe mich bewusst für den Singular entschieden, und da es nicht falsch ist, geht das einen Redakteur auch nichts an.3 Ich brauche doch Jahrzehnten als Übersetzer keinen Dolmetscher, der meine Sprache in die seine übersetzt. Die unterm Strich die des blutigen Amateurs ist, wie Sie gleich sehen werden.
Denn natürlich bleibt – siehe oben genanntes Axiom – auch der Mist nicht aus.
So heißt es plötzlich »Geschäftszweig« statt »Geschäft« mit einem Hinweis auf irgendeine »Doppelbedeutung von ›racket‹«4 am Rand. Nun, ein »racket«, da brauche ich als Übersetzer – und obendrein Autor von Slangwörterbüchern – nun wirklich nicht nachzuschlagen, ist jede Art von zweifelhaftem Geschäft das gewohnheitsmäßig bzw. organisiert betrieben wird, von systematischen kleinen Betrügereien bis hin zur organisierten Kriminalität. Im kleinen Stil sagt man da gerne so was wie: »Nice little racket you got there.« Das wäre dann »eine nette kleine Masche«. »Masche« hätte es in diesem Text – es geht um die Machenschaften des militärisch-industriellen Komplexes – zur Not auch getan, aber »Geschäft« schien es mir besser zu treffen. Im Deutschen fehlt eine Entsprechung zu »racket«, die alles umfassen würde. Dagobert Lindlau hat sein Buch über das organisierte Verbrechen deshalb auch Rakket betitelt. Er hat damit aber eben die Mafia & Konsorten gemeint. Man hätte in diesem Fall »Geschäft« mit »nettes« o.ä. qualifizieren können; ich habe selbst daran gedacht, hätte also auch nichts dagegen gehabt, wenn der Redakteur das gemacht hätte. Aber »Geschäftszweig«? WTF? Auf welchem Planeten sollte das eine Verbesserung meiner Lösung darstellen.5
Und so geht das weiter. Satz für Satz. Nur: diese beiden Beispiele genügen völlig, um den Betreffenden als blutigen Amateur auszuweisen. Und damit zu disqualifizieren.6 Jemand, der so einen Mist schreibt, hat meinen Text einfach nicht zu beurteilen, weil er ihn, egal, was er sich nun einbildet, eben nicht beurteilen kann; ich meine, er kann sich privat seinen Teil dazu denken, aber er hat nicht drin rumzuschmieren, zumal wenn es sich um ein Produkt handelt, das der Kundschaft, dem Leser eines Buches, in diesem Falle eines Magazins, verkauft werden soll.
In keinem anderen Metier müsste man darüber auch nur ein Wort verlieren.
Überlegen Sie doch mal: Wenn Sie dreißig Jahre Motoren bauen, dann sehen Ihre Motoren eben anders aus als das Teil von einem, das da irgendwo ein blutiger Amateur zusammenzuschrauben versucht. Zumal einer, der nicht zwischen einem Vergaser und einem Einspritzer unterscheiden kann und in seinem Leben noch keine Zündkerze gewechselt hat. Würden Sie sich auch nur die Bremsen von so einem einstellen lassen wollen? Oder in einen Flieger steigen, an dem ein blutiger Amateur das letzte Wort gehabt hat?
Tut mir leid, aber ab einem bestimmten Punkt fängt eben die Spezialisierung an. Ich schlage auch schon mal einen Nagel in die Wand, setze auch einen Dübel, aber es würde mir nicht im Traum einfallen, mich deshalb für einen gelernten Maurer halten zu wollen. Und das ist überall so. Nur bei der Übersetzerei nicht. Und warum nicht? Übersetzungen sind doch auch ein Produkt, das für Geld in die Läden kommt. Schon, aber sie müssen nicht »funktionieren«; sie müssen eben nicht fahren, fliegen oder einfach nicht in sich zusammenfallen wie ein Haus. Sie werden eben nur beurteilt. Und das eben von Amateuren. Absurderweise haben die der Verlagswelt das letzte Wort…
… wer sonst wollte seine Zeit mit dem Versuch verschwenden, den 500SL, den er vom Übersetzer bekommt, auf die Daimler Benzinkutsche zurückzuredigieren, nur weil er an einer Übersetzung – im Gegensatz zu dem Wagen, den er selbst fährt, versteht sich – alle Hebel und Rädchen sehen zu müssen meint. Nicht dass er dazu in der Lage wäre. »Wörtlichkeit« ist ein Konzept des Amateurs – bilden Sie sich da erst gar nichts ein.
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Siehe zum Thema u.a. auch hier und hier.
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