Vor Jahren habe ich mal für den Hannibal Verlag einen Band mit Songtexten des Rappers Eminem übersetzt. Eine ebenso interessante wie undankbare Aufgabe, da so etwas zwangsläufig zu einer Gratwanderung zwischen plumper Wörtlichkeit, assoziativer Freiheit, Gereimt- und Ungereimtheit geraten muss. Die Maßgabe, das Ganze Zeile für Zeile rhythmisch lesbar zu halten, ließ sich als einzige durch die Bank erfüllen.
Das Publikum, das solche Übersetzungen liest, ist nicht dasselbe, das Gedichte liest. Es kann mit Freiheiten nichts anfangen; das Internet sorgt dafür, dass es die Texte im Original vorliegen hat, da will man das wiederfinden, was man versteht oder zu verstehen meint. Daraus entsteht grundsätzlich ein fataler Zwang zu einer Wörtlichkeit, die nicht nur der Übersetzerei an sich schadet, sondern sich längst auf die Entwicklung der deutschen Sprache auszuwirken begonnen hat: Wenn heute alles »einen Unterschied macht«, anstatt »eine Rolle zu spielen«, wenn man es heute »liebt, ins Kino zu gehen«, anstatt dies gottverdammtnochmal einfach »gerne« zu tun, wenn ich für mein Handy einen bestimmten Adapter »möchte«, anstatt ihn einfach zu »brauchen«, dann prägen Übersetzungsfehler – und darunter wäre das alles bis in die 1980er gefallen – das heutige Deutsch.
Das Problem begann übrigens seinerzeit schon mit dem Lektorat, des amerikanischen – geschweige denn des Hiphop-Slangs – völlig unkundig, viel zu viel – Gott sei’s gedankt nicht alles! – auf die Übersetzung von Wörtern reduzierte, weil ihm der Sinn hinter den Wörtern nicht aufging. Ich erinnere mich daran, dass Eminem plötzlich wohin ging, »wo Scheiße nicht mehr Scheiße bedeutet«, was hinten und vorne keinen Sinn hat (nicht »macht«!). Mir will im Augenblick die Textzeile nicht mehr einfallen, aber übersetzt hieß sie eben, »er ging wohin, wo alles wurscht ist«, denn »something doesn’t meant shit« heißt eben nichts anderes, als dass jemandem »etwas nichts bedeutet«, »nichts sagt« oder eben »scheißegal« ist. Das ist noch nicht mal Hiphop-Slang; das ist amerikanische Alltagssprache.
Aber da ist schon wieder mal mein Steckpferd mit mir durchgegangen. Sorry, aber mir fällt der Ärger mit dieser Übersetzung eben immer wieder mal ein, wenn mir ein Text von Eminem unterkommt. So als in meinem kleinen Forum vor einiger Zeit jemand einige Fragen zu einem von Eminems Texten gestellt hat; da habe ich mir die Notiz zu den Bemerkungen hier gemacht. Stunts, Esel, Ärsche & sonstige Stückchen also …
… und das alles in einem Satz. Oder in zwei Zeilen, genauer gesagt. Auf Ems letztem Album hört man in einem nicht betitelten verstecktem Track folgendes:
MC’s get so quiet you can hear a muh’fuckin’ dog whistle when I walk by.
Colt Seavers on a mule, stuntin’ on that ass like the fuckin’ Fall Guy.
Okey, wenn er wo vorbeigeht, dann wird die Konkurrenz mucksmäuschenstill, das ist weiter kein Problem, solange man es nicht wirklich übersetzen muss. Aber die zweite Zeile bietet einiges, was nicht ganz ohne ist.
Wir kennen Colt Seavers – mal abgesehen von denen, die ausschließlich Gedichte lesen; das war der unselige Stuntman aus der TV-Serie Ein Colt für alle Fälle, von Lee Majors gespielt. Die Serie hieß im Original The Fall Guy – was ebenfalls schon eine doppelte Bedeutung hat: der Stuntman »fällt« ja grundsätzlich für andere und Colt ist Mitglied der »Fall Guy Stuntman Association«, d.h.. die Leute nennen sich so; und dann ist ein »fall guy« im Englischen natürlich auch der »Lackierte«, als der Colt ja am Ende jeder Folge dastand, oder der »Prügelknabe«, was den Nagel ebenfalls auf den Kopf trifft.
Womit wir schon drei Element des Satzes hätten.
Bei »stuntin’« gehen wir erst mal auf die Grundbedeutung von »stunt« zurück; die war vor über 100 Jahren schon »die beeindruckende (sportliche) Leistung«. Daraus entwickelten sich mehrere spezielle Verwendungsmöglichkeiten, alle mit dem Hintergrund, dass ein »stunt« etwas Beeindruckendes ist. Dass man so einen »stunt« denn auch nicht nur um der Leistung an sich, sondern auch oder nur noch um der Aufmerksamkeit willen inszeniert wird, nimmt etwas von dem positiven Element. Das geht soweit, dass die Elemente »beeindruckend« und »Leistung« völlig wegfallen und nur noch das »Stückchen« übrigbleibt, das sich da einer leistet. Und das kann dann auch völlig daneben sein.
Und bezeichnenderweise bedeutet das Verb »stunt«, wie es im Hiphop benutzt wird, für die einen »beeindrucken«, »angeben« für die anderen »lügen«, »so tun als ob«. In einer von Zuhälterästhetik geprägten Ghettokultur ist Angabe, Protzerei übrigens nichts Negatives, solange tatsächlich etwas dahinter steckt. Erst wenn einer nur so tut als ob und damit auffliegt, wird so etwas zum »frontin’« – und das ist tabu.
Wie auch immer, Eminem lässt die Hollywood-Bedeutung von »stunt« anklingen, indem er Colt Seavers ins Spiel bringt, auch wenn er letztlich mit »stuntin’« »beeindrucken« meint. Der Konkurrenz bleibt die Spucke weg, wenn er vorbeikommt – als würde Colt Seavers einen Stunt auf einem Maultier bringen.
Er setzt dann »Muli« (mule) mit »Esel« (ass) gleich, so dass eine Bedeutung wäre, »Kunststückchen auf einem Esel abziehen«. Auf der anderen Seite steht “one’s ass” natürlich immer für eine Person (das bekannte “get [b]your ass[/b] out of here!”: mach dass [b]du[/b] rauskommst!) und »to stunt on sb’s ass« bedeutet in diesem Falle eben »jemanden beeindrucken«.
Jetzt hab’ ich bei der kleinen Improvisation hier selber den Faden verloren, aber ich denke, es ist alles gesagt. Außer vielleicht, dass solche Komplexität, wenn schon nicht hohe Literatur, so doch eine hohe Kunst ist. Sie mag als Zungenfertigkeit an der Oberfläche bleiben, einen also kaum in derselben Weise berühren wie etwa ein Text von Leonard Cohen, aber bewundernswert ist sie alle mal. Und höllisch schwer zu übersetzen – nicht dass ich jetzt noch Lust oder Zeit dazu hätte…
Mir fällt noch ein, dass mich damals nach erscheinen der Eminem-Texte Post aus Österreich erreichte, in der es hieß: »Sie können aber gut übersetzen.« Was ich bei allem grundsätzlichen Ungenügen an meiner Arbeit recht erfreulich und tröstlich fand.