Für Übersetzer, die sich immer wieder gern mal ein altes Wörterbuch vornehmen, um ein bisschen was dazuzulernen, den Horizont ein bisschen zu erweitern, sind mit dem Scannen ganzer Bibliotheken goldene Zeiten angebrochen. Nicht nur sind die alten Schwarten umsonst im Web zu finden, man kann auch ordentlich drin blättern, ohne Angst haben zu müssen, dass einem so ein vergilbtes Theil unter den gestrengen Augen eines Bibliothekars unter den Fingern zerfällt. Dass einem ein pdf die Bude nicht vermüffelt, kommt noch dazu.
»Ludovici, C. (Christian) 1660–1728« lautet sein Eintrag im WorldCat. Das ist nicht eben viel für jemanden, der bereits vor 300 Jahren ein zentnerschweres zweisprachiges Wörterbuch vorgelegt hat. Aber vielleicht kann ich ja den einen oder anderen, der sich hierher verirrt, für das Werk interessieren…
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Teutsch-Englisches Lexicon, worinnen nicht allein die Wörter samt den Nenn-Bey-und Sprich-Wörtern, sondern auch so wol die eigentliche als verblümte Redens-arten verzeichnet sind.
Aus den besten Scribenten und vorhandenen Dictionariis mit grossem fleisz zusammen getragen.
Das erste so iemahls gemacht worden
Leipzig, bey Thomas Fritschen
1716
Herrn Ludwigs Namen vermag ich in dieser 1358 Seiten starken ersten Auflage noch nicht zu finden, dafür noch vor dem Titel den aufwändigen Stich eines gewissen »Georgius Primus«, in dem ich mal George I von England vermutete, eine Vermutung die die bestechende Ähnlichkeit des Konterfeis mit dem in der Wikipedia bestätigt. Zwei Jahre saß Georg Ludwig damals erst auf dem Thron. Soviel zu den Prioritäten. Zu gerne würde ich wissen, wie viele Jahre Christian Ludwig an seinem Wörterbuch saß. Auch die Vorrede ist nur mit »Leipzig den 3. May 1716« unterschrieben.
»Vorrede.
Ein Dictionarium oder Wörter-Buch braucht eigentlich keiner vor=oder lob=rede, denn es redet vor sich selber. Ein ieglicher, dem nur das Alphabet geläufig ist, weiß, wie mans brauchen soll, und die nothwendigkeit des gebrauchs erkennen alle, die eine fremdde sprache fertig lernen wollen. Nichts destoweniger ist man gemüßigt, das gegenwärtige Dictionarium nicht ohne vorrede in die welt zu schicken, weil es das erste von seiner art ist, darinne eintzele teutsche wörter so wohl, als gantze redens=arten, und insonderheit solche, darinnen eine sprache von der andern abgeht, ins Englische übersetzet sind.«
Dass ein Wörterbuch »vor sich selber spreche«, habe ich in Jahrzehnten des Übersetzens zu bezweifeln gelernt; vor allem dem deutschen Lektorat sollte man auf Wörterbücher die Warnung vorne drauf geben, dass ein Wörterbuch alleine schlicht nicht genügt und man sich eine »fremdde Sprache« Wort für Wort, Wendung für Wendung erarbeiten muss, sofern man sie, ja, von »fertig lernen wollen« will ich gar nicht sprechen, sofern man aus ihr mit halbwegs gutem Gewissen übersetzen will. Und aus gegebenem Anlass: Auch die Benutzung des Urban Dictionary, genial wie es vom Ansatz her ist, sollte Slang-Amateuren — jedenfalls zu Redaktionszwecken — verboten sein. Wie auch immer, Ludwigs Begründung für all den Aufwand ist so unvermutet wie interessant:
»Dergleichen arbeit zu verfertigen, schien umso vielmehr an der zeit zu seyn, weil durch fest=stellung der Protestantischen erb=folge in Groß=Britannien auf das Durchlauchtigste Chur-Haus Hannover die Engelländer und Teutschen genauer verknüpft zu werden anfiengen, und nun auch, nachdem die iezt=regierende Groß=Britannische Majestät den thron bestiegen, würklich verknüpfft worden.«
Von mir sicher nicht beabsichtigt, bietet sich hier ein hochaktueller Anknüpfungspunkt. Ein Wörterbuch, das der neuen Verbundenheit zwischen »Engelländern und Teutschen« Rechnung trägt! Einer Verbundenheit, die den Briten – aus spätestens im 20. Jh. durchaus verständlichen Gründen – bis heute eher unangehm ist. Jeder, der sich lange genug mit dem Vereinigten Königreich beschäftigt hat, kennt den Hinweis darauf, dass die Queen bzw. die Royals ja »German« seien. Die Liebe der Insulaner zu den Leuten weist damit ebenso auf eine gewisse Schizophrenität wie das ungebrochene Bestehen a) auf einem »Great Britain«, das seine Größe doch letztlich etlichen Jahrhunderten Eroberung (sprich Unterdrückung, Mord, Totschlag und Ausbeutung) verdankt, und b) auf der Vorstellung von Deutschland als »Reich des Bösen«. Und jetzt, wo sie mit all dem endgültig Schluss gemacht haben, kann man sich fast einer gewissen Häme nicht entbehren, dass die Royals eben trotzdem letztlich noch Europäer sind. Aber weiter im Text:
»Wie demnach der Verleger schon vor zehen jahren durch einen geschickten mann ein Englisch=Teutsch=Frantzösisches Dictionarium verfertigen lassen; also hat er den liebhabern mit diesem anderen theile, auf gewisse masse fast nöthiger ist, als der erste, nicht entstehen wollen. Man hat zwar, weil die teutsche sprache überaus wort=reich ist, wofern nicht manches nöthige ausbleiben solte, das Frantzösische darinne weglassen müssen, und wird also bloß ein Teutfch und Englisch Dictionarium geliefert. Man kan aber doch versichern, daß an demselben in andere wege weder kosten noch mühre gesparet, wie denn dieser andere theil allein deßwegen um ein gutes mühsamer, als der erste gewesen, weil man bey diesem doch noch eien gebahnten weg vor sich hatte, ietzt aber silber das eiß brechen musste.
Es sind deßwegen die neuesten nnd besten so wohl Teutsche als Englische Scribenten und mit andern sprachen verknüpffte Dictionaria durchgehends gebraucht, aus denselbcn das nöthige sorgfältig nnd mit reiffer erwägung genommen und achtung gegeben worden, wie man die natur beyder sprachen am füglichsten vergleichen, und nach erforderung der einen den sinn der andern aufs eigentlichste ausdrücken möchte.
Die schul=wörter der Lateinischen Grammatik sind hie gantz und gar ausgelassen, weil viele von denen, die dieses Dictionarium gebrauchen werden, wol nicht viel studirt haben möchten, und nicht würden gewust haben, was solche mit anfangs=chuchstaben bezeichnete Lateinische kunst=wörter wolten. Zugeschweigen, daß selbst die gelehrten den damit gesuchten zweck an manchen orten nicht würden beobachtet haben. An statt dessen aber hat man andere und hoffentlich besser zugängliche mittel erwehlet, von welchen eines und anders zu erwehnen.«
Gut, das lässt sich später mal nachholen. Sei noch für jüngere Interessierte nachgeschoben, dass es sich bei besagten »Scribenten« um Schreibende, also Schriftsteller bzw. Autoren handelt.
Nur noch eines: der »geschickte mann« war Herr Ludwig selbst. Auch sein dreisprachiges Wörterbuch ist ein Klassiker, den wir uns mal ansehen sollten: A dictionary English, German and French, containing not only the English words in their alphabetical order, together with their several significations; but also their proper accent, phrases, figurative speeches, idioms, and proverbs, taken from the best new English dictionaries.
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Eine zweite überarbeitete Auflage erlebte das Wörterbuch knapp zwanzig Jahre nach dem Tod von Christian Ludwig (1660–1728) im Jahre 1745 bei einem neuen, jedoch ebenfalls Leipziger Verleger. Und hier taucht auch das erste Mal sein Name im Titel auf. Was ja durchaus interessant ist.
Teutsch=englisches Lexikon : worinne nicht allein die Wörter, samt den Nenn-Bey-und Sprich-Wörtern, Sondern auch sowol die eigentliche als verblümte Redens-Arten verzeichnet sind.
Aus den besten Scribenten und vorhandenen Dictionariis mit grossem Fleisz zusammen getragen.
Zweyte und verbesserte Auflage.
Leipzig 1745,
bey Johann Friedrich Gleditsch
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Das Vorwort scheint auf den ersten Blick unverändert, ist auch noch auf den »3 May 1716« datiert. Inwiefern die Auflage verbessert ist, lässt sich wohl nur nach genauerer Durchsicht sagen. Schlagen wir in beiden die Doppelseite mit den Spalten 107 bis 110 auf, so sind die Spaltenanfänge jedenfalls gleich. Lassen wir das mal außen vor. Das zu vergleichen, sieht nach wirklicher Arbeit aus.
Recht witzig finde ich, dass das Wörterbuch wie ein Roman mit dem Hinweis auf das »ENDE«, ja, endet.
Eine zweite Auflage mit englischer Titelei erschien 1736. Die Ausgabe, die ich gefunden habe, ist aber kaum zu entziffern.
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Eine dritte und wiederum verbesserte Auflage erschein ebenfalls bei Gleditsch 1765. Hier wurde offensichtlich neu gesetzt, aber die Spaltenzahl ist praktisch geich. Auch hier müsste man genauer nachforschen, worin die Verbesserungen bestehen.
Christian Ludwig,
Teutsch-Englisches Lexicon: Worinne nicht allein die Worter, samt den Nenn‑, Bey- und Sprich-Wortern, Sondern auch sowol die eigentliche als verblümte Redens-Arten verzeichnet sind.
Aus den besten Scribenten und vorhandenen Dictionariis mit großem Fleiß zusammen getragen.
Dritte verbesserte Auflage.
Leipzig,
In Johann Friedrich Gleditschens Buchhandlung,
1765.
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Eine vierte verbesserte Auflage erschien schließlich im Revolutionsjahr 1789. Der Verleger ist wieder Gleditschens Buchhandlung. Auch hier unterscheidet sich der Satz, auch hier ist nicht gleich augenfällig, worin die Änderungen bestehen. Das festzustellen, werde ich bei Gelegenheit mal nachholen.
Christian Ludwig’s
Teutschenglisches Lexikon, worin nicht allein die Worter, sondern auch die ganzen, die eigenen, sprichwörtlichen und verblümten Redensarten zu finden sind.
Aus den besten Schriftstellern und vorhandenen Wörterbüchern mit Fleiß zusammen getragen.
Vierte verbesserte Auflage.
Leipzig,
In Johann Friedrich Gleditschens Buchhandlung.
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Dieser Auflage hat man endlich ein neues Vorwort verpasst, in dem auf den Bekanntheitsgrad dieses Wörterbuchs verwiesen wird:
»Gegenwärtiges Ludwigsches teutschenglisches Wörterbuch ist zu bekant und schon zu lange gebraucht, als daß man es noch nöthig finden sollte, über dessen Werth und Brauchbarkeit etwas zu sagen.«
Auch einige andere nützliche Neuerungen wurden vorgenommen, aber das sehen wir uns an, wenn ich beide Vorreden lesbar vorstellen kann.
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