Ein interessantes Phänomen beim Übersetzen ins Deutsche ist, dass der Deutsche dabei leider gerne etwas vergisst, woran er sich beim Übersetzen ins Englische so sklavisch zu halten versucht, dass einschlägige Sammlungen selbst der abgedroschensten englischen Idioms sich hierzulande im Lauf der Zeit zu heimlichen Bestsellern mausern. Anders rum scheint’s dagegen am Willen zu hapern. Da geht man eher mit einer nachgerade dummen Wörtlichkeit zu Werke…
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Da ich parallel hier gerade in Fortsetzungen eine Ansprache in den Blog stelle, mit der ein gewisser pseudonymer O’Clarus Hiebslac 1884 ein Publikum im Londoner Athenäum in den Schlaf zu reden versuchte, möchte ich den Mann vorweg zum Thema »idiomatisches Übersetzen« zitieren.
Englisch sprechende Deutsche machen Fehler in der Aussprache einzelner Buchstaben und Wörter, in falscher Accentuation von Silben, in der Formen= und Satzlehre, im Gebrauch unrichtiger Wörter, in zu wörtlicher Übersetzung aus dem Deutschen, besonders idiomatischer Redensarten.1
Letzteres ist, worum es in dieser Kolumne hauptsächlich geht: die idiomatische Sprache, deren wir alle uns tagtäglich ganz natürlich bedienen, auch beim Übersetzen aus der Fremdsprache einzusetzen.
»Es gabat a Leich.«
Diese patente Formel, mit der die nicht weniger patente Frau Stöckl den Kriminalern bei den Rosenheim-Cops den jeweils neuesten Mord anträgt, erinnert mich jedes Mal an meine übersetzungstechnische Faustregel, der zufolge ein Ausgangstext, der in »ganz normalem« bzw. idiomatischem Englisch gehalten ist, im Deutschen nicht hölzern oder papieren – läuft aufs selbe hinaus – wiedergegeben werden sollte.
Bei mir klingt nämlich bei diesem bayerischen Irrealis (siehe Bruno Jonas & hier) im Hinterkopf immer die entsprechende englische Phrase mit: There’s been a murder.
Leider kann man ja die bayerische Formel nicht jedem in den Mund legen, nicht mal ich würde beim Übersetzen so weit gehen, aber die Unbeholfenheit, mit denen There’s been a murder zuweilen wieder eingedeutscht wird, ist nicht mehr feierlich, um mal im Bayerischen zu bleiben.
Wenn ich mal einen Schwung Beispiele aus meiner mittlerweile durchaus auch schon ganz patenten Satzdatenbank präsentieren darf…
So hört sich für mich folgende Lösung eher merkwürdig an:
»›There’s been a murder, sir,‹ said Vine.«
dt. :
»Sir, es hat einen Mordfall gegeben«, hörte er Vines Stimme sagen.«2
Um kurz abzuschweifen, dass hier »said Vine« etwas umständlich mit »hörte er seine Stimme sagen« übersetzt ist, liegt daran, dass es sich um einen Anruf handelt. Aber um beim Thema zu bleiben: Vielleicht irre ich mich, sagen Sie’s mir doch bitte unten in einem Kommentar, aber irgendwie scheint mir der Begriff »Mordfall« eher die ermittlungstechnische Seite eines, ja, »Mordes« zu betonen. »Es hat einen Mordfall gegeben« würde man, so denke ich, vielleicht nicht zuletzt des merkwürdigen Perfekts wegen, eher sagen, wenn wir hier in der Gegend mal einen Mord aufzuklären hatten. Aber als Mitteilung einer Tatsache? Etwas weniger merkwürdig finde ich deshalb:
»There’s been a murder in Abney Park. Stoke Newington. It’s a cemetery, actually.«
dt. :
»Wir haben einen Mordfall im Abney Park. In Stoke Newington. Eigentlich ist es ein Friedhof.«3
Wenn die Leute nicht schon einige Zeit daran arbeiten, hätte es ein »Mord« durchaus getan. Wirklich merkwürdig ist allerdings das Anhängsel »Eigentlich ist es ein Friedhof« – das würde man so im Deutschen nicht sagen. Wie auch immer, im folgenden Beispiel scheint mir »Mordfall« durchaus passend eingesetzt; überhaupt ist das eine probate deutsche Lösung, wie ich finde:
»They investigate everyone when there’s been a murder.«
dt. :
»In einem Mordfall wird jede Person, die in irgendeiner Verbindung dazu steht, unter die Lupe genommen.«4
Aber wie gesagt, ich lasse mich gerne belehren. Man bildet sich manchmal durchaus etwas ein… Was ich nicht idiomatisch finde, ist folgende Lösung:
»There’s been a murder and I’m holding three people here. One of them is probably the murderer.«
dt.
»Es ist ein Mord verübt worden. Ich habe drei Leute hier, einer von ihnen dürfte der Mörder sein.«5
Nicht gar so unbeholfen, aber dennoch zuviel scheint mir:
»There’s been a murder committed in my county. I’m going to do everything I can to find out who committed that murder.«
dt. :
»In meinem Bezirk ist ein Mord begangen worden. Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um herauszufinden, wer diesen Mord begangen hat.«6»›Name of a dog, what’s going on round here? There’s been a murder.‹«
dt. :
»›Himmelherrgott, was wird denn hier nur gespielt? Es ist ein Mord passiert.‹«7
Überhaupt nicht gut finde ich:
»›Murder! There’s been a murder!‹«
dt. :
»›Mord! Es ist ein Mord geschehen!‹«8
Überhaupt müssen wir uns mit dem »geschehen« – vor allem für »passieren« – hier mal gesondert befassen.
»›Get down to Horsham Street as quickly as you can. There’s been a murder committed there.‹«
dt. :
»›Kommen Sie schnell! Soeben ist dort ein Mord verübt worden!‹«9
Dasselbe gilt im folgenden Fall:
»›But if someone has died. If there’s been a murder–‹«
dt. :
»›Aber wenn jemand ums Leben gekommen ist. Wenn ein Mord geschehen ist–‹«10
Ob man bei einer einschlägigen Mitteilung mit »ereignen« operieren sollte, ist ebenso fragwürdig:
»›There’s been a murder on Courcy Island. The actress Clarissa Lisle has been killed.‹«
dt. :
»›Auf Courcy hat sich ein Mord ereignet«, erzählte sie dann. Die Schauspielerin Clarissa Lisle ist umgebracht worden.‹«11
Interessant ist hier, dass eine zu gehobene oder papierne Lösung wie »ein Mord ereignet sich«, falls man das überhaupt sagen bzw. Schreiben würde, gepaart wird mit dem ausgesprochen idiomatischen »umgebracht«, das ich sonst für to kill schmerzlich vermisse; hier werden zwei Sprachniveaus vermengt, sich sich – für mich – beißen.
»Gegeben«? Ich weiß nicht:
»›A murder,‹ Ormiston said, changing up a gear. ›There’s been a murder.‹«
dt. :
»›Ein Mord‹, sagte Ormiston und schaltete in den nächsten Gang. ›Es hat einen Mord gegeben.‹«12
dito:
»›There’s been a murder in the dining-room of the Bayerischer Hof this evening – in full view of thirty-five guests.‹« dt. : »Heute abend hat es im Speisesaal des Bayerischen Hofs einen Mord gegeben – vor den Augen von fünfunddreißig Gästen.«13
Folgende Lösung finde ich dagegen ganz ausgezeichnet; sie ist kreativ, idiomatisch & eben nicht von der üblichen forcierten Wörtlichkeit:
»›Well… there’s been a murder committed … and we like to cover all the…‹«
dt. :
»Nun … er ist ermordet worden«, sagte Kling, »und wir möchten allen Spuren nachgehen und …‹«14
Schlicht ausgezeichnet ist:
»›There’s been a murder over on Sunnyvale Avenue.‹«
dt. :
»›Drüben an der Sunnyvale Avenue ist jemand ermordet worden.‹«15
Das ist idiomatisches Deutsch. Schön ist im gegegeben Kontext auch:
»There’s been a murder, Mr. Johnson.«
dt. :
»Es geht um einen Mord, Mr. Johnson.«16
Auch gut ist:
»There’s been a murder, for God’s sake, she said to herself, and you stand chatting…« dt. : »Schließlich geht es hier um einen Mord, sagte sie sich, und du stehst… ‹«17
Und:
»›It’s customary when there’s been a murder.’«
dt. :
»Es ist nun mal so üblich bei Mord.«18
Ein »Mord ist passiert« finde ich weniger gut…
»There’s been a murder… This one is a honey, Alex.«
dt. :
»Ein Mord ist passiert… Es ist ein Hammer, Alex.«19
… als:
»It was simplicity itself for Giles to defend the charge: there’s been a murder… we have to pursue every avenue…«
dt. :
»Es gab einen Mord … Wir müssen jeder Spur nachgehen … Ich kann nicht glauben, dass ein Kollege dafür kein Verständnis haben sollte …«20
Es liegt also offenbar weniger an der Phrase »es gab einen Mord« selbst als an ihrem jeweiligen Einsatz. Recht gut ist auch:
»›Why, ain’t you ‘eard? There’s been a murder, shocking bloodthirsty.«
dt. :
»›Wie, hast du noch nix gehört? Mord, furchtbar blutrünstig.‹«21
So richtig nötig sind »gegeben«, »passiert«, »geschehen« aber nicht:
»›There’s been a murder,‹ I hear, and my stomach falls.‹«
dt. :
»Es hat einen Mord gegeben«, höre ich, und mein Magen sackt mir in die Kniekehlen.«22
Weit idiomatischer ist einfach:
»There’s been a murder, hasn’t there?«
dt. :
»Es ist jemand ermordet worden, nicht wahr?«23
Oder schauen Sie sich mal das hier an:
»There’s been a murder. Ken Lowry, the manager of the Mojave Monarch, has been killed.«
dt. :
»Wir haben einen Mord. Ken Lowry, der Leiter der Mojave-Mine, ist umgebracht worden.«24
Und ganz ehrlich gesagt, dass da »einer umgebracht« wurde, wird mir einfach viel zu selten eingesetzt:
»There’s been a murder here, hasn’t there?’«
dt. :
»Man hat mir soviel von diesem Ort erzählt. Hier ist doch jemand umgebracht worden?«25
Na, haben Sie sich entschieden? Was meinen Sie.
- O’Clarus Hiebslac, Englische Sprach-Schnitzer [1884] [↩]
- Ruth Rendell, Das Verderben [↩]
- Elizabeth George, Wer dem Tode geweiht [↩]
- Elizabeth George — Doch die Sünde ist Scharlachrot [↩]
- Erle Stanley Gardner, Perry Mason: Das Mädchen mit den grünen Augen [↩]
- Erle Stanley Gardner, Perry Mason, Der vertauschte Casanova [↩]
- Frederick Forsyth, Der Schakal [↩]
- Bruce Chatwin, Auf dem schwarzen Berg [↩]
- Edgar Wallace, Im Banne des Unheimlichen [↩]
- Elizabeth George, Auf Ehre und Gewissen [↩]
- P. D. James, Ende einer Karriere [↩]
- Ian Rankin, Blutschuld [↩]
- Colin Forbes, Kalte Wut [↩]
- Ed McBain, Graffiti [↩]
- Sidney Sheldon, Das dritte Gesicht [↩]
- Ruth Rendell, Dämon hinter Spitzenstores [↩]
- Frances Fyfield, Feuerfüchse [↩]
- Brett Halliday, Sein bester Zeuge [↩]
- James Patterson, Denn zum Küssen sind sie da [↩]
- Ian Rankin, Ein reines Gewissen [↩]
- Evelyn Waugh, Verfall und Untergang [↩]
- James Patterson, Blood [↩]
- Edgar Wallace — Der Teufel von Tidal Basin [↩]
- Erle Stanley Gardner, Perry Mason — Der Schatz im Schuhkarton [↩]
- Edgar Wallace, A.S. der Unsichtbare [↩]