In meinem festen Entschluss für dieses Jahr, hier doch noch ein – vielleicht sogar – brauchbares zweisprachiges Slangwörterbuch aufzuziehen, bin ich an diesem ersten Januar 2020 – 2020?! – auf ein ebenso interessantes wie wunderbares Video gestoßen, in dem ich alle meine »nerdigen« musikalischen, sprachlichen & kulturellen Interessen vereinigt sehe…
In meinem Bemühen, hier dieses Jahr einige meiner Wörterbücher reinzubröseln in der Hoffnung, vielleicht doch noch ein zweisprachiges Slangwörterbuch aufzuziehen, bin ich – YouTube sei Dank – auf die Aufzeichnung eines Louis-Armstrong-Konzerts vom März 1963 im australischen Sydney gestoßen – oder besser auf einen Ausschnitt daraus, der – wie man wohl sagen darf – einen anderen Auftritt des größten Trompeters aller Zeiten persifliert.
Die »Szene« spielt an auf einen der großen Filme Hollywoods High Society oder Die oberen Zehntausend, wie er bei uns hieß. Und auch wenn man den Film unmöglich nicht mögen kann, einige »Kleinigkeiten« stoßen mir darin seit jeher auf, und sie haben alle mit der Behandlung der Schwarzen – ja, der Neger – zu tun, die hier noch nicht einmal namenlose Nichtse von der Straße, sondern exzellente Jazzmusiker sind. Und kein Jazzmusiker wäre je größer gewesen und einflussreicher als Louis Armstrong. Und dass der Mann den großen Bing Crosby – verstehen Sie mich nicht falsch, er war einer der weltgrößten Entertainer, den ich sehr wohl als solchen schätze –, mit »Mr. Bing« anzusprechen hat, während selbiger ihn mit »Pops« etc. titulieren darf.
Woran übrigens keineswegs der große weiße Crooner Schuld hatte. Der war schon ein Fan von Armstrong, als beide noch Namenlose waren. Wenn ich aus Lawrence Bergrens großartiger Armstrong-Biographie zitieren darf:
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Als unter anderem Billie Holiday, Ella Fitzgerald und Bing Crosby Louis’ Gesang und Scat-Gesang hörten, wußten sie, was sie später einmal werden wollten; sie würden wie dieses neue Phänomen Jazz singen, wie Louis Armstrong, diese wunderbare schwarze Ikone, die jeder verehrte. 1
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oder:
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D.W. Griffith schaute vorbei, und auch Bing Crosby, damals sechsundzwanzig, kam häufig, sowohl als Kollege als auch als Bewunderer. Crosby wurde ein glühender Bewunderer und Fürsprecher und paßte Louis’ Gesang seinem eigenen, verhalteneren Stil an. Crosby scattete nie so närrisch wie Louis, aber ab und zu streute er ein paar unsinnige Silben ein. 2
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Die beiden hatten in Pennies from Heaven auch schon gemeinsam vor der Kamera gestanden:
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Crosby spielt einen Troubadour, der sich für die weniger Begünstigten einsetzt und später ein Spukschloß erbt, das er in einen Nachtclub verwandelt. Hier betritt ein leger gekleideter Louis die Szene, und die beiden beginnen über die schwarze Minderwertigkeit und Unterwürfigkeit zu scherzen, bis Bing Louis einlädt, für ein Gehalt von zehn Prozent des Umsatzes in seinem neuen Club aufzutreten.
»Ist das genug?« fragt Bing.
»Nun, ja. Und nein«, antwortet Louis. »Wir sind sieben Mann in der Band. Und keiner von uns weiß, wie man zehn Prozent durch sieben teilt. Wenn Sie uns also sieben Prozent geben könnten. ..« Bing lacht sein vertrauliches Lachen und stimmt zu. Louis ruft: »Ich hab den Cats doch gesagt, daß Sie in Ordnung sind.«2
»Unterwürfigkeit« ist das Wort, auf das es hier ankommt. Und Louis Armstrong war ein Meister darin, wie ihm viele Schwarze zeitlebens und danach vorgeworfen haben. Ich zitiere aus einer anderen großen Amrstrong-Biographie:
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Somebody once said something to Billie Holiday about Armstrong’s ›tomming,‹ and she is supposed to have replied, “Yeah, but Pops toms from the heart.” It was an essential truth about Armstrong, and I am convinced that a lot of his appeal for so diverse an audience as he eventually gathered had to do with this willingness to be friendly, ingratiating, or, as was so often said, ›humble.‹ 3
Dieses »tomming« bezeichnet in einer Anspielung an den Onkel Tom aus der gleichnamigen Hütte4 eben dieses unterwürfige Verhalten amerikanischer Schwarzer, bei dem es gelinde gesagt um nichts Geringeres ging als ums nackte Überleben.
Und mag sein, dass Billie Holiday der Ansicht war, dieses Verhalten käme im Falle von Louis aus dem Herzen, was aber noch lange nicht heisst, dass einem Mann – einem Menschen – wie Armstrong das nicht bewusst gewesen sein sollte. Und dieser kleine Clip, auf den ich da heute im Rahmen meiner Wörterbucharbeit gestoßen bin, zeigt das mehr als deutlich. Wenn Sie noch mal reinhören wollen; die Szene ist der im Film eins zu eins nachgestellt, der Dialog an der entscheidenden Stelle ein Zitat. Als der Schwarze Posaunist ans Mikro tritt, übernimmt er – definitiv ironisch – Crosbys Text:
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Come on down here, Pops, don’t you wanna pick up on what’s left. 5
Dass die Schwarzen sich um das raufen dürfen, was übrigbleibt, ist hier über das Crosby-Zitat hinaus eine weitere pikante Anspielung, für die Armstrong seinen Musikerkollegen einen »silly boy« nennt, bevor er seinerseits zu einem liebenswerten Seitenhieb ausholt:
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Him, Bing Crosby in Technicolor. 5
Keine Ahnung, wie das damals in den Vereinigten Staaten angekommen wäre, in Australien – lassen wir die dortigen Rassenprobleme mal außen vor – erntete er dafür ein, wenn auch alles andere als schallendes Lachen.
Wie gesagt, ich bin grade eben zufällig auf diesen Clip gestoßen, entsprechend spontan die Worte hier und naiv mein Aufruf: Nicht jeder »Andere« ist so talentiert wie Louis Armstrong, nicht jeder spielt die Unterwürfigkeit so gut wie er, aber das sollte auch nicht das Kritierium für unsere Offenheit »dem Anderen« gegenüber sein, ob er nun eine andere Hautfarbe hat oder einfach nur aus einem anderen Land hier bei uns Arbeit gesucht und gefunden hat. Falls Sie befürchten, mit einer solchen Einstellung dazu beizutragen, dass »Deutschland sich abschafft«, dann frage ich mal allen Ernstes mit John Lennon: Was wäre so schlimm daran, Länder lieber abzuschaffen, als sie wieder zu dem zurückzuführen, was sie die letzten Jahrhunderte über waren? Imagine!