Es gibt Songs, die einen nach dem ersten Hören nicht mehr, womöglich nie wieder loslassen. Egal ob »Casta Diva«, »Suzanne«, »Sweet Home Alabama« oder REMs »Man on the Moon«, sie wollen einem einfach nicht mehr aus dem Kopf & kommen einem in den merkwürdigsten Augenblicken in den Sinn. Und dann gibt es LPs, die fast voll solcher Songs sind. Wann immer man sie auflegt, denkt man: “Okay, das war’s jetzt, das waren alle guten Songs.” Und dann kommt noch einer und noch einer. Gestern hatte ich, mit jahrelanger Verspätung, wieder mal eine solche – und obendrein uralte – LP in der Post. Anlass, nach fast drei Monaten beruflichen Ärgers eine Kanne Tee aufzubrühen und beim Hören des Schatzes ein bisschen dazu im Web zu wühlen…
Ich weiß nicht mehr, wie ich seinerzeit dazu kam, mir die Platte zuzulegen vielleicht hatte man sie im Bayerischen Rundfunk aufgelegt, vielleicht hatte ich sie im Internat (Internat – nicht Internet!) bei einem Mitschüler gehört, der ein großer Soulfan war und eine Menge einschlägiges Vinyl besaß. Ich spreche von First Take, dem 1969er Debüt der schwarzen Soulsängerin Roberta Flack, die schließlich mit »Killing Me Softly« einen Welthit hatte und dann, nein, nicht wieder verschwand, es scheint sie ja noch zu geben, sie hat 2018 nach sechsjähriger Pause eine CD (Running) herausgebracht, aber dennoch irgendwie nie so präsent war, wie eine Interpretin von ihrem Kaliber es verdient hätte. Oder vielleicht lag’s auch an mir…
Find ich jetzt ehrlich gesagt, nicht mehr so prickelnd; man hat das Gefühl, das irgendwie schon (zu) oft gehört zu haben … Da gab’s von ihr Aufregenderes dazwischen, nicht zuletzt einige ihrer Beatles-Covers von 2012 …
Ich finde, First Take ist und bleibt womöglich ihre ganz große Platte und eine Platte mit ausschließlich ganz großen Songs. Und der Song, der mir nicht mehr aus dem Kopf wollte oder den ich als ersten hörte, das war »Angelitos Negros«. Und es ist auch der Song, der mich jüngst wieder auf First Take gebracht hat. Über Umwege. Ich hatte meiner Mutter einen DVD-Player geschickt, nachdem ihr CD-Player schlapp gemacht hatte, und neben einigen Filmen älteren Datums, dachte ich mir, schickste auch noch eine selbst gebrannte CD hinterdrein. Für letztere habe ich bei Amazon in alten Schlagern gewühlt und einen Schlag davon als mp3s gezogen, darunter auch eine Art Best of Caterina Valente, weil ich weiß, dass meine Mutter die »Valente-hat ’-en-Arsch-wie-eine-Ente« immer noch besonders mag. Und darauf – okay, wir sprechen von mp3s, darunter befand sich, sehr zu meinem Erstaunen, ein Lied mit dem Titel »Schwarze Engel«. Gibt’s das? denk ich mir, weil mir sofort Roberta Flack einfällt. Und tatsächlich, es handelt sich um eine – ausgezeichnete, vielleicht hier und da etwas zu schlagermäßig verhallte – deutsche Version von »Angelitos Negros«. Der Hall könnte natürlich vielleicht auch irgendwie den Himmel symbolisieren oder wenigstens dazu passen sollen; jedenfalls kommt er immer dann besonders zur Geltung, wenn vom Himmel die Rede ist. Wie auch immer, die gute Caterina hatte ihre Version bereits 1954 eingesungen! Das ist ja man interessant … Ich hatte mich nie damit befasst, Internet gab’s 1970 rum leider – oder Gott sei Dank? – noch nicht. Aber jetzt lässt sich dort einigermaßen problemlos eine ganze Menge rum um diesen phantastischen Song in Erfahrung bringen.
So erfahre ich denn, dass »Angelitos Negros« zunächst mal ein Gedicht war oder genauer gesagt, der Songtext entspricht einigen Versen aus dem Gedicht »Pintame angelitos negros« (Male mir schwarze Engel) des venezolanischen Dichters und Politikers Andrés Eloy Blanco Meaño (1897–1955) oder kurz Andrés Eloy Blanco.
Das Web ermöglicht es einem – leider, machen wir uns da nichts vor – auch, urheberrechtlich geschützte Texte sofort einzusehen; so kann ich mir sofort den Text des Gedichts von Andrés Eloy Blanco angucken, ohne mir gleich das Buch kaufen zu müssen, in dem es abgedruckt ist. So sehe ich immerhin, dass das Gedicht weit länger ist als die fünf vierzeiligen Strophen des Songtextes von Roberta Flack. Und dass einige Zeilen davon im »Original« nicht vorkommen. Geschrieben wurde das Gedicht bereits in der ersten Hälfte der 1940er-Jahre und stellt die Frage, weshalb sich in den Kirchen keine schwarzen Engel finden, warum die Maler, selbst schwarze, nur weiße Engel malen. 1946 schrieb der mexikanische Schauspieler, Sänger & Komponist Manuel Alvarez Maciste eine Musik dazu. Erstmals auf Platte aufgenommen hat ihn der schwarze Kubaner Antonio Machin 1947 in Spanien und 1948 gab der Song einem mexikanischen Film seinen Namen: Angelitos Negros.
Dieser Film von Joselito Rodríguez, der als einer der ersten überhaupt Rassenbeziehungen thematisierte, machte den Song zu einem riesigen Hit in der ganzen spanischsprachigen Welt. Pedro Infante, praktisch ein mexikanischer Frank Sinatra, sang den Song für den Film.1 Er singt ihn liebevoll seiner Tochter vor, die etwas dunkler geraten ist als seine Eltern, weil ihre Mutter ihre schwarze Herkunft verheimlicht hat.
1958 schließlich machte Eartha Kitt auf ihrem Album That Bad Eartha in den Vereinigten Staaten populär and Roberta Flack kam mit ihrem Album First Take »erst« 1969. Und unsere Caterina Valente hatte das bereits 1954 gemacht…
- Nicht dass außer dem kleinen Mädchen in dem Film Schwarze mitspielen würden; damals wurden Schwarze noch von weißen in einer als »black face« bezeichneten Maske gespielt. [↩]