Will man ältere Texte korrekt übersetzen, so tut man gut daran, dabei auch ältere Wörterbücher und Lexika zu Rate zu ziehen, wenigstens nebenher, um sicher zu gehen. Wörter ändern gerne mal ihre Bedeutung, schon gar im Lauf von ein‑, zweihundert Jahren. So gehören ältere Dictionnaires einfach in die Wörterbuchsammlung des Übersetzerprofis. Und manchmal ist es auch ganz einfach lehrreich bis amüsant, einen Blick in das Vorwort so einer alten Schwarte zu werfen – trotz des optischen Kleinkriegs mit der Alten Schwabacher auf vergilbtem Papier.
So habe ich neulich die Vorrede zu Nathan Bailey’s Dictionary English-German and German-English von Johann Anton Fahrenkrüger, seines Zeichens »Vorsteher einer Unterrichts-Anstalt in Hamburg« gelesen; der hat Bailey’s Wörterbuch für die 10. Auflage von 1801 »gänzlich umgearbeitet«. Interessant ist dabei, dass er einen Gutteil des an sich gar nicht so langen Vorworts darauf verschwendet, auf die Kritik eines Konkurrenten, eines Herrn Professor Ebers, einzugehen, von dem es ein Handwörterbuch der englischen Sprache gibt. Kleine Kostprobe gefällig?
Schwichtigen, engl. to silence, sagt Herr Ebers, ist kein Deutsch. Gewiß nicht, Herr Professor? Ich sage, es ist Deutsch. Wer soll entscheiden? Doch von uns beiden wol keiner. Ein guter Schriftsteller, nicht wahr? — Nun denn, Klopstock hat das Wort. Aber was geht Klopstock Sie an? Den lesen Sie wol nicht. Sie halten sich an Adelung; der ist Ihnen Alles in Allem. Sie sind Adelungs Schüler. Ei, hören Sie doch, was Ihr Meister sagt! “In der anständigen Sprechart der Hochdeutschen ist das Factitivum Schweigen veraltet, allein im gemeinen Leben mancher Gegenden, besonders Meißens, ist es noch völlig gangbar. Eben daselbst hat man auch die Intensiva schwigten, beschwigten, beschwigtigen. Die Schreyer auf einige Tage schwigtigen, Klopst.” In Meißen, merken Sie! In der ächt hochdeutschen Provinz Meißen sagt man so. Ist es noch Undeutsch? — Sie verzeihen mir übrigens wol, dass ich schwichtigen, nicht schwigtigen schreibe. Man schreibt Macht von mögen, Schlacht von schlagen, Gewicht von wiegen; ich habe, mit Ihrer Erlaubnis, ohne auf Verkürzung oder Verschönerung Anspruch zu machen, das CH dem G vorgezogen.
Johann Anton Fahrenkrüger, Nathan Bailey’s Dictionary English-German and German-English (1801) (Kursive von mir)
Fahrenkrüger fühlt sich ans Bein gepinkelt, gelinde gesagt, und kann sich seinerseits den einen oder anderen Seitenhieb auf das Werk seines Kritikers nicht verkneifen:
… in diesem Jahr zu Halle vom Herrn Professor Ebers herausgegebenen Handwörterbuch der Englischen Sprache für die Deutschen, (ein nebengedruckter engl. Titel nennt es a new Hand-Dictionary; – ein nagelneues Wort, worüber die Engländer sich freuen werden…
Johann Anton Fahrenkrüger, Nathan Bailey’s Dictionary English-German and German-English (1801) (Kursive von mir)
Dass es einen in den Fingern juckt, dämlichen Kritikern eins überzubraten, ist verständlich, aber es ist doch erstaunlich, dass das jemand derart platzraubend in der Vorrede zu einem Wörterbuch erledigen sollte – und darüber die eine oder andere wichtige Erklärung vergisst. Ich hätte nämlich darin lieber die Antwort auf die Frage gefunden, um deren Beantwortung Willen ich sie überhaupt gelesen habe: Warum die englischen Begriffe auf Französisch definiert werden, bevor er die deutschen Lösungsvorschläge bringt.
to Obnubilate, … obscurcir, umwölken, überziehen, trüben, verdüstern.
Obnubilated, … obscurci, umwölkte, trübte; umwölkt, getrübt.
Obnubilation, … obscurcissment, die Umwölkung, Überziehung, Verdunkelung.
Ich nehme mal an, dass sich das mit der überragenden Rolle des Französischen zur damaligen Zeit erklären lässt, hätte es aber doch gern aus seinem Munde gehört.
Jedenfalls werde ich mein nächstes Vorwort zweimal lesen und mir etwaige Erwiderungen fürs Blog hier aufsparen.