Im Tempo eines Steppenbrands entwickelt sich ein alter Hippie-Spaß zur Geißel der amerikanischen Festival-Szene.
Bei meiner »Presseschau« dieser Tage musste ich an eine Szene aus Rock Scullys Erinnerungen an seine Zeit als Manager der Grateful Dead denken, die ich vor gut 20 Jahren für den Hannibal-Verlag übersetzt habe. Ich spreche von einer saukomischen Szene nach dem Besuch des Nitros-Lieferanten der Band. Überhaupt galt Nitros-Oxid anno dunnemals als harmloser Hippiespaß, dessen ernste Seite eher darin bestand, das mystisch-religiöse, psychedelische von mir aus, Miteinander noch zu betonen.
Die Realität sah sicher so aus, dass es einfach nicht das war, was es in den letzten Jahren geworden ist, nämlich ein Bombengeschäft. Keine Musikveranstaltung, kein Festival, auf dem Lachgas nicht massenhaft unter der Bezeichnung »whippets« in Luftballons abgefüllt verkauft wird. Und das von derart gut organisierten Banden, dass von einer Nitros-Mafia die Rede ist.
Die Bezeichnung »hippie crack« mag als Hinweis darauf gelten, dass man den Konsum für nicht mehr so komisch und harmlos hält wie früher. Die Wirkung ist stark euphorisch, währt aber gerade mal eine halbe Minute. Jemand, für den der Konsum etwas anderes ist als eine witzige Erfahrung, steht danach bereits wieder an für den nächsten Ballon. Und Nitros macht durchaus süchtig wie Crack.
Bei den Konzerten wirkt sich die Konzentration auf den Nitros-Konsum zunehmend störend aus. Die Dealer selbst sind gewaltbereit, und es hat sich eine nicht weniger gewaltbereite Gegenbewegung entwickelt, die die Nase von ihnen so voll hat wie vom ständigen Zischen, das beim Abfüllen des Gases in die Ballons entsteht. T‑Shirt-Verkäufer und andere Konzessionäre klagen über schwindenden Absatz – was Wunder, wenn die Leute sich zehn, zwanzig Ballons zu mindestens $5 die Dosis reinziehen.
Obwohl die Praxis letztlich rund um die die Grateful Dead-Touren entstand, hat sie gerade unter den Dead Heads die vehementesten Gegner. Und so gilt dieses Jahr in Bridgeport, dem Festival zum Geburtstag von Jerry Garcia, laut Veranstalter ein absolutes Nitros-Verbot – das er in Zusammenarbeit mit Polizei und Stadtrat durchzusetzen gedenkt.
Gut dass das der arme alte Jerry nicht mehr erleben muss.