Bei dem Gedanken, Mark Twains Satire aus dem Jahre 1905 auf heutige Megalomanen – von China über Nordkorea, Moskau und Iran bis in die USA — umzuschreiben, kommt einem unwillkürlich der Gedanke, inwiefern sich dieser menschliche Abschaum wohl bewusst ist, was genau er da anderen antut …
… Leopold II ist sich dessen – wohl nicht nur in Twains satirischer Reflexion — sehr wohl bewusst. Schuldgefühle hat er deswegen freilich nicht, wiegt er doch seine Schandtaten mit all dem »Guten« auf, das er getan zu haben meint. Wie sich das wohl bei seinen heutigen Pendants verhalten mag?
Keine Ahnung, was in dem Kopf von dem kleinen Dicken aus Nordkorea vorgeht. Seiner Handlungsweise nach zu urteilen, scheint sein Land für ihn wohl eher ein einziger riesiger Kinderspielplatz, auf dem er seine kindischen Phantasien auslebt. Xi Jinping steht in der großen Tradition menschenverachtender Planung auf lange Sicht. Der Einzelne hat dabei noch nie eine Rolle gespielt. Entsprechend wird er sich auch keinerlei Gedanken über die unter seinem Regime begangenen Gräuel machen. In Teheran gibt es eine »göttliche Ordnung« zu verteidigen, die von einer Religion vorgeschrieben ist, die den Tod von Ketzern wie Salman Rushdie fordert …
… Hier muss man sich ganz nebenbei fragen, wie — hierzulande wie anderswo — die politisch ach so korrekte Fraktion damit umgeht, dass den Mann sein Schicksal nun doch noch ereilt hat; immerhin geht dieses Schicksal nicht zuletzt auf deren Kosten: Wer immer selbst nach dem Attentat in Paris noch Respekt vor diesen blutrünstigen Eiferern forderte, hat Salman Rushdies Auge auf dem Gewissen. Er steht hinter und zu dieser Tat! Macht sich da keiner was vor …
Was den Schlächter in Moskau angeht, so hat der von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, dass der im Westen gefeierte Fall der Sowjetunion das schlimmste Ereignis des 20. Jahrhunderts war und dass er, auf die eine oder andere Weise wieder zurück will. Dass der Westen unter der Führung der USA nicht aufgehört hat, Krieg gegen Moskau zu führen, ist wohl nicht von der Hand zu weißen; inwieweit dessen Vordringen nach Osten tatsächlich eine Bedrohung für Russland oder nur für ein durch und durch korruptes Regime war, sei dahingestellt. Nichts rechtfertigt die Gräuel in der Ukraine. Kratzt den Mann das? Todsicher nicht.
Und Donald Trump, den Vollpsychopathen, der mit einer so kindischen Sturheit die offenkundigsten Fakten leugnet. Nun, für den sind seine »Mitmenschen« allesamt nur Objekte. Entsprechend kratzt ihn ihr Schicksal nicht. Aber umso interessanter wäre wohl ein Monolog nach dem Vorbild von Leopolds Selbstgespräch …
Mark Twain
König Leopolds Selbstgespräch
Eine Verteidigung seiner Herrschaft im Kongo
1905
in der Übersetzung von Bernhard Schmid © 20231
[Fortsetzung von hier]
Und was die Offenheit dieser Beckmesser hinsichtlich meines persönlichen Charakters anbelangt — sie könnten diesbezüglich unverblümter nicht sein, wäre ich ein Plebejer, ein Bauer, ein Mechaniker. Erinnern sie doch die Welt daran, dass mein Haus von Anbeginn an Kapelle und Bordell in einem und beide Gewerbe rund um die Uhr in Betrieb gewesen sind; dass ich meine Grausamkeiten gegenüber meiner Königin und meinen Töchtern Tag für Tag mit Schande und Schmach komplettiert habe; dass ich meiner Tochter einen letzten Blick auf ihre Mutter, meine Königin, in der seligen Zuflucht ihres Sarges verweigerte, und das, obwohl sie mich auf Knien flehend darum bat; und dass ich vor drei Jahren, nicht zufrieden mit dem, was ich einem fremden Volk gestohlen hatte, mein eigenes Kind seiner Habe beraubte und — ein Spektakel für die zivilisierte Welt zur Verteidigung meines Handelns und meines Verbrechens letzten Schliff — an ihrer statt vor Gericht erschien. Um es noch einmal zu sagen: Sie sind unfair und ungerecht! Sie werden dergleichen mehr wieder ausgraben und in Umlauf bringen, was immer sonst gegen mich spricht; aber sie werden dabei nichts, aber rein gar nichts von dem erwähnen, was für mich spricht. Habe ich doch mehr Geld für die Kunst ausgegeben als jeder andere Monarch meiner Zeit, und das wissen sie auch. Sagen sie das? Schreiben sie davon? Nein, tun sie nicht. Lieber verarbeiten sie ach so »grauenvolle Statistiken«, wie sie es nennen, zu ehrenrührigem Anschauungsunterricht für Kindergärten — und das zu dem alleinigen Zweck, sentimentale Gemüter schaudern zu machen und mit Vorurteilen gegen mich zu erfüllen. »Füllte man das von König Leopold im Kongo vergossene Blut Unschuldiger«, so schreiben sie, »in Eimer und reihte diese aneinandergestellt auf, so erstreckte sich diese Reihe über 2000 Meilen; könnten die Skelette seiner zehn Millionen abgeschlachteten oder verhungerten Toten«, sie meinen sie, »aufstehen und im Gänsemarsch defilieren, sie bräuchten sieben Monate und vier Tage, um einen gegebenen Punkt zu passieren; legte man sie zusammengedrängt aneinander, nähmen sie mehr Boden ein als St. Louis mitsamt der Weltausstellung; klatschten alle noch ein letztes Mal in die knochigen Hände, das grässliche Krachen wäre noch in einer Entfernung von — »Himmeldonnerwetter, was bin ich es leid! Und ähnliche Mirakel vollbringen sie mit dem Geld, das ich aus diesem Blut destilliert habe, um mir die Taschen zu füllen. Sie stapeln es auf zu ägyptischen Pyramiden, legen Teppiche in der Sahara damit aus, verteilen es über den Himmel, bis sein Schatten die Erde ins Dämmerlicht taucht. Und die Tränen, für die ich gesorgt, die Herzen, die ich gebrochen habe — oh, nichts, aber auch gar nichts kann sie dazu bewegen, sie nicht wieder aufzuwühlen!
[Nachdenkliche Pause] Nun denn … wie dem auch sei, die Yankees jedenfalls habe ich drangekriegt! das ist ein Trost. (Liest mit höhnischem Lächeln den Anerkennungsbeschluss des Präsidenten vom 22. April 1884)
»… die Regierung der Vereinigten Staaten bekundet hiermit ihr Wohlwollen wie ihre Billigung der humanen und wohltätigen Ziele (meines Plans für den Kongo) und wird die Offiziere der Vereinigten Staaten zu Lande und zu Wasser anweisen, ihre Flagge als die Flagge einer befreundeten Regierung zu sehen.«
[Fortsetzung hier]