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Trump-Wör­ter­buch #26: Ger­ry­man­de­ring – so suchen sich US-Poli­ti­ker ihre Wäh­ler aus

Wir hat­ten als eine von meh­re­ren Eigen­hei­ten der ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len bereits die »Elec­to­ral Col­leges« ange­spro­chen, die augen­blick­lich den Repu­bli­ka­nern einen Vor­teil ver­schaf­fen. Spre­chen wir hier nun eine wei­te­re ame­ri­ka­ni­sche Beson­der­heit, dies­mal der Kon­gress­wah­len, an: die als »Ger­ry­man­de­ring«1 bekann­te Umstruk­tu­rie­rung bzw. Mani­pu­la­ti­on von Wahl­krei­sen zum Vor­teil einer bestimm­ten Par­tei. Die­se Pra­xis hat in ihrer gegen­wär­ti­gen Aus­prä­gung kei­ne Wir­kung auf die Prä­si­dent­schafts­wahl an sich, son­dern ledig­lich auf die Zusam­men­set­zung des House of Repre­sen­ta­ti­ves und damit natür­lich dar­auf, mit wel­cher Mehr­heit der nächs­te Prä­si­dent regiert. 

Es mag absurd klin­gen, aber in den USA suchen sich nicht nur die Wäh­ler ihre Poli­ti­ker, son­dern, womög­lich wich­ti­ger noch, die Poli­ti­ker ihre Wäh­ler aus. Wie das geht? Nun, grund­sätz­lich sind Wahl­krei­se durch­wach­sen, es gibt mit ande­ren Wor­ten Wäh­ler bei­der Par­tei­en. Der Aus­gang einer Wahl steht also, außer in eini­gen Bezir­ken, in denen die die eine Par­tei öfter oder regel­mä­ßig bes­ser abschnei­det, von Haus aus nicht unbe­dingt fest. Um die stän­di­gen Kopf-an-Kopf-Ren­nen in den unsi­che­ren Krei­sen zu ver­mei­den, haben die Ame­ri­ka­ner sich ein raf­fi­nier­tes Sys­tem aus­ge­dacht. Stel­len Sie sich vor, Sie kan­di­die­ren als erz­kon­ser­va­ti­ver, womög­lich ande­ren Haut­far­ben gegen­über nicht ganz so auf­ge­schlos­se­ner Repu­bli­ka­ner2 in einem Wahl­kreis, in dem sich ein Stra­ßen­zug, ein Block, eine Sied­lung befin­det, in der Schwar­ze und Lati­nos leben, die Sie auf kei­nen Fall wäh­len wer­den. Das weiß man aus bis­he­ri­gen Wah­len. Was tun, ohne die­se Men­schen phy­sisch am Zugang zu den Urnen zu hin­dern, was in den USA ja durch­aus bis heu­te pas­siert? Nun, man zieht ein­fach die Gren­zen gewis­ser Wahl­krei­se neu und zwar der­ge­stalt, dass die­ser Stra­ßen­zug, die­ser Block, die­se Sied­lung in einen Wahl­kreis fällt, in dem sich die geg­ne­ri­schen Stim­men neu­tra­li­sie­ren las­sen. Oder man legt ihn mit ande­ren Gegen­den zusam­men, in denen man ohne­hin nicht gewählt wird, wodurch man sei­ne Chan­cen in allen ande­ren Wahl­krei­sen beträcht­lich erhöht. Und das alles ist durch­aus legal. 

Das Prin­zip dahin­ter ist das der »ver­schwen­de­ten Stim­men«. Das sind Stim­men, die nicht zur Wahl eines Kan­di­da­ten bei­getra­gen haben, sei es, weil sie die für den Sieg erfor­der­li­che Stim­men­zahl über­stie­gen, sei es weil der Kan­di­dat dort ohne­hin kei­ne Chan­cen hat. Die Stim­men­zahl selbst bleibt ja unterm Strich gleich. Was also, wenn man die Krei­se, in denen man ohne­hin ver­liert, zusam­men­legt? So ist jede Stim­me für die geg­ne­ri­sche Par­tei über die ein­fa­che Mehr­heit hin­aus ver­schwen­det. Und sie wird in ande­ren Wahl­krei­sen feh­len. Ande­re Bezir­ke legt man so, dass die geg­ne­ri­sche Par­tei dort nur knapp ver­liert, wodurch alle Min­der­heits­stim­men für den unter­le­ge­nen Kan­di­da­ten ver­schwen­det sind. 

Durch die Ver­schie­bung der Wahl­kreis­gren­zen packt also die gera­de regie­ren­de Par­tei die Stim­men für die Oppo­si­ti­on in eini­ge weni­ge Bezir­ke, wel­che die­se ohne­hin in der Tasche hat, in ande­ren dage­gen ver­teilt man die geg­ne­ri­schen Stim­men so, dass man eine gewis­se Mehr­heit für sich weiß, da kein wahl­ent­schei­den­der geg­ne­ri­scher Stim­men­block ent­ste­hen kann. Macht man das kon­se­quent mit der Mehr­heit der Wahl­be­zir­ke, wird das Ergeb­nis unterm Strich zu Guns­ten der gera­de regie­ren­den Par­tei aus­fal­len.3 Auf wei­te­re Tricks und Fein­hei­ten brau­chen wir hier nicht ein­zu­ge­hen. Wich­tig ist, dass das alle zehn Jah­re4 erlaubt ist und dass auf die­se Wei­se Wah­len mehr und mehr ihres demo­kra­ti­schen Wett­be­werbs­cha­rak­ter ver­lus­tig gehen. Was denn auch von Anfang an der Gedan­ke dahin­ter war.

So mach­te sich der Erfin­der die­ser Metho­de, Elbridge Ger­ry, einer der Grün­der­vä­ter der USA und sei­ner­seits Gou­ver­neur von Mas­sa­chu­setts, Sor­gen um »die Übel«, die aus einem »Über­maß an Demo­kra­tie« erwach­sen könn­ten.5 1812 schrieb er sei­nen Ser­vus unter ein Gesetz, das ihm in Bos­ton eine für sei­ne Par­tei güns­ti­ge Ver­tei­lung der Stim­men in einer Rei­he von Wahl­krei­sen sicher­te, deren Anord­nung sich mit der Gestalt eines, wenn auch fabel­haf­ten Sala­man­ders ver­glei­chen ließ. Rasch hat­ten Kri­ti­ker die­ses als Kor­rum­pie­rung des demo­kra­ti­schen Pro­zes­ses emp­fun­de­nen Akts das »sala« durch »ger­ry« ersetzt, und das Sub­stan­tiv »ger­ry­man­der« war gebo­ren, dem das Verb »to ger­ry­man­der« und die­sem wie­der­um das Sub­stan­tiv »ger­ry­man­de­ring« folg­ten.6

Die Metho­de brei­te­te sich über ganz Ame­ri­ka aus. Selbst­ver­ständ­lich war Ger­ry­man­de­ring in den Süd­staa­ten – neben Wahl­steu­ern, Lese- und Schreib­tests sowie schie­rer Ein­schüch­te­rung – auch ein Instru­ment zur Ent­mün­di­gung schwar­zer Wäh­ler. Und so ist der Süden, wo die Wahl­kreis­ein­tei­lung am schlimms­ten ist, auch am schwers­ten zu refor­mie­ren. Hier müss­te der Bund ein­grei­fen, um etwas zu ändern. Der Obers­te Bun­des­ge­richts­hof ver­sprach, sich der Sache anzu­neh­men, lässt sich damit aber Zeit. 

Wie die Wahl­kreis­gren­zen aus­se­hen, hängt davon ab, wer an der Macht ist, wenn es Zeit für die Neu­struk­tu­rie­rung ist. Die Repu­bli­ka­ner domi­nier­ten die Wah­len von 2010 und konn­ten ent­spre­chend in vie­len Bun­des­staa­ten die Gren­zen zu ihren Guns­ten neu zie­hen, bei den jüngs­ten Wah­len jedoch erran­gen die Demo­kra­ten Gou­ver­neurs­pos­ten in einer Rei­he von Bun­des­staa­ten, die beson­ders aggres­siv umstruk­tu­riert waren.7 Tat­sa­che ist, dass »Auf­grund der Pola­ri­sie­rung und ver­bes­ser­ter Tech­no­lo­gie Wahl­krei­se heu­te leich­ter zu mani­pu­lie­ren sind denn je … Wenn man die Mög­lich­keit hat, eine Kar­te zu erstel­len, die die eige­ne Par­tei an der Macht hält, ist das ziem­lich ein­fach.«8

Natür­lich kann die Pra­xis letzt­lich von bei­den Par­tei­en zum Vor­teil genutzt wer­den. So gewan­nen die Repu­bli­ka­ner 2022 im Bun­des­staat New York in sechs Kon­gress­be­zir­ken, in denen auch Prä­si­dent Biden stark war. Schon kleins­te Tweaks an den Wahl­kreis­gren­zen jedoch könn­ten dazu füh­ren, dass umkämpf­te Bezir­ke für die Repu­bli­ka­ner nicht mehr zu gewin­nen sind.9 Wie auch immer, jüngs­te Unter­su­chun­gen zei­gen, dass Ger­ry­man­de­ring 2016 erheb­lich zum Wahl­sieg der Repu­bli­ka­ner bei­trug.10

Wem immer die­se merk­wür­di­ge Pra­xis im Novem­ber 2024 in höhe­rem Maße zustat­ten kommt, die Wahl­kreis­ma­ni­pu­la­ti­on nach dem Gus­to der jeweils vor Ort regie­ren­den Par­tei ist ein wei­te­rer Fak­tor, der Fra­gen über den Cha­rak­ter der Demo­kra­tie in den USA auf­kom­men lässt. 

Anmer­kun­gen

  1. Eine kur­ze, aber soli­de Erklä­rung mit aus­ge­zeich­ne­ten deut­schen Unter­ti­teln bie­tet: Chris­ti­na Gre­er, »›Ger­ry­man­de­ring‹: Wie ver­scho­be­ne Gren­zen eine Wahl beein­flus­sen kön­nen«. You­Tube. ↩︎
  2. Ich spre­che bewusst nicht von »ras­sis­tisch«; das ist ein Begriff, der heu­te als über­stra­pa­zier­te Klat­sche zur Denun­zie­rung mut­maß­lich »böser Men­schen« durch selbst­er­nann­te Gut­men­schen dient. ↩︎
  3. Ger­ry­man­de­ring. ↩︎
  4. Ben­ja­min Schneer, »With the 2020 cen­sus loo­ming, Assistant Pro­fes­sor of Public Poli­cy Ben­ja­min Schneer says redis­tric­ting can be made more democratic—even in deep­ly par­ti­san sta­tes.« Har­vard Ken­na­dy School. Decem­ber 10, 2019. ↩︎
  5. Ismar Volić, »Ger­ry­man­de­ring Isn’t New—But Now We Have a Solu­ti­on«. TIME, April 1, 2024. ↩︎
  6. Gus­taf Kilander , »How much will ger­ry­man­de­ring actual­ly affect the 2024 elec­tion?« The Inde­pen­dent. 13 March 2024. ↩︎
  7. Ebda. ↩︎
  8. Ebda. ↩︎
  9. Josh Kraus­haar, »2024 House majo­ri­ty runs through the court.« Axi­os, Jul 16, 2023. ↩︎
  10. »Par­ti­san ger­ry­man­de­ring bene­fi­ted Repu­bli­cans in 2016 elec­tion – report«, The Guar­di­an. 25 Jun 2017. ↩︎

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