Trump hat endlich seinen Vize gekürt. Lange genug hat er sich geziert, hat Leuten – selbst einem Schwarzen! – den Mund wässrig gemacht. Jetzt hat er sich entschieden. Und der Mann seines Vertrauens ist kein Unbekannter, auch wenn er sich seinen Namen eher als Gegner Trumps gemacht hat. J. D. Vance, Bestsellerautor und bereits mit 38 Senator, hat den Zuschlag erhalten. Wer genau der Mann ist, lässt sich, nachdem er zunächst gegen Trump war, bevor er sich zum glühenden Verehrer verwandelte, ebenso schwer beantworten wie die Frage, ob er die paar Punkte hinsichtlich seiner Wirtschaftspolitik, die ihn vom traditionellen Lager der Republikaner abhoben und als eine Art Freund der Arbeiterschaft erscheinen ließen, ebenfalls vergessen wird. Nur sind die Fragen ohnehin falsch gestellt, weil das, was da passiert ist, weniger mit J.D. Vance zu tun hat als mit einem anderen Mann, der schon lange autoritäre Phantasien spinnt …
Trump hat die Grand Old Party in einem Maße nach seiner Vorstellung umgemodelt und auf seine Person fixiert, dass er praktisch eine neue Partei geschaffen hat. In dieser neuen Partei kann sich offenbar selbst jemand heimisch fühlen, der sich 2016 noch als »Never-Trump-Typ« (»Ich hab’ den noch nie gemocht.«) bezeichnet hat. Spricht das für ihn? Trump gab sich schließlich bis zu den Schüssen auf ihn extremer denn je. War er Vance, als der ihn noch nicht mochte, nicht extrem genug? Molly Ball vom Wall Street Journal nennt ihn eine Kreatur der neuen republikanischen Partei, die Trump nach seinem Bild geschaffen habe.1 Für Joe Biden ist der Mann, der Trump einmal als »kulturelles Heroin«2 abgetan hatte, nichts weiter als ein Trump-Klon.3 Aber offensichtlich war es mehr die Person an sich, die ihm aufstieß. Eigener Aussage zufolge habe er irgendwann kapiert, dass Trump im Grunde dieselbe Politik vertrat wie er.4
Wenn man etwas genauer hinguckt, kommt einem freilich ein ganz anderer Verdacht: dass der Mann sich letztendlich wie der Rest der erzkonservativen Polit-Mischpoke nur für sich selbst interessiert und sich geschmeidig in Richtung des jeweils günstigsten Lüftchens wiegt.
»Meine Meinung über Trump schwankt zwischen zynischem Arschloch á la Nixon, das gar nicht so schlecht wäre (und sich womöglich sogar ganz nützlich erweisen könnte) und der, dass er Amerikas Hitler ist.«
— J. D. Vance, 20165
J.D. Vance hat mit seinen Memoiren Hillbilly Elegy einen unvermuteten Bestseller geschrieben. Er erzählt darin die Geschichte seiner Kindheit und Jugend mit alkohol- und drogenabhängigen Eltern in einer Stadt im »Rostgürtel« der USA, wie man den breiten, staatenübergreifenden Streifen der ältesten Industriestädte Amerikas nennt. Er erzählt seine Geschichte, wie er im Vorwort schreibt, nicht etwa, weil er etwas Außergewöhnliches erreicht, sondern weil er im Gegenteil etwas ganz Gewöhnliches geschafft hätte, was in der bettelarmen Gegend, in der er aufwuchs, kaum jemand schaffte. »Statistiken werden Ihnen sagen, dass Kids wie ich eine schlimme Zukunft bevorstand – dass sie, wenn sie Glück haben, auf die Wohlfahrt angewiesen sein werden; und wenn sie Pech haben, dann sterben sie an einer Überdosis Heroin, wie das in meiner kleinen Heimatstadt erst letztes Jahr wieder Dutzende Male passiert ist.«6 Er dagegen schaffte es ins College und dann an die juristische Fakultät von Yale, immerhin eine der Elite-Unis der USA.
Aber erst mal ging er, kurz nach 9/11, zu den Marines, was sein Leben von Grund auf verändern sollte. Vor allem weil sie einen Erwachsenen aus ihm machten, wie er schrieb. Obwohl er in Irak war, kam er als für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ums Schlimmste herum. Nachdem er alles gelernt hatte, was es zum Erwachsenenleben braucht, wusste er auch genau, was er wollte. Er ging ans College. Und als sein Vater hörte, dass er an der Yale University studieren wollte, frage er, ob er sich bei der Bewerbung als »Schwarzer oder als Liberaler« ausgegeben hätte. »So tief sind die kulturellen Erwartungen weißer Mittel-Schicht-Amerikaner gesunken. Wer wollte sich da groß wundern, dass mit der Ausbreitung von Einstellungen wie dieser die Zahl der Leute, die willens sind, auf ein besseres Leben hinzuarbeiten, im Abnehmen begriffen ist.«7 Noch an der Uni hatte er Sommerjobs im US-Senat in Washington und ein Posten bei einer Anwaltskanzlei schien ihm so gut wie sicher. Obwohl er sich um seine drogenabhängige Mutter zu kümmern hatte, der er ein Motel bezahlte, um sie vor der Obdachlosigkeit zu bewahren, schaffte er auch das Studium mit Bravour. Und schließlich schaffte er es – wir werden gleich sehen wie – als relativ junger Mann denn auch nach Washington in den Senat.
Vances Lebenslauf könnte sich kaum mehr unterscheiden von dem Mann, der ihn jetzt zum Kandidaten für das Amt des Vize-Präsidenten erkoren hat. Und nach der Lektüre seines Bestsellers braucht man sich zunächst nicht zu wundern, dass er Trump nie hatte leiden können. Trump meinte nach der Ernennung: »Ja, er hat mich ziemlich runtergemacht, aber das war, bevor er mich kannte, und da hat er sich dann verliebt.«8 Und das scheint nicht einmal übertrieben. Vance saß gerade mal ein Jahr für Ohio im Bundessenat, da war aus dem »Never-Trump-Typ« ein feuriger Verfechter selbst der himmelschreiendsten Behauptungen Trumps geworden – von der Lüge der gestohlenen Wahl 2020 bis hin zu der zweifelhaften Behauptung, der Präsident sei gegen jede Art von strafrechtlicher Verfolgung immun.
Man hatte den National-Konservativen, der sich als post-liberaler Rechter sieht, durchaus zuvor schon als Neo-Reaktionär und rechtslastigen Populisten bezeichnet. Er ist bekannt für seine extreme Haltung gegenüber Abtreibung, Homoehe und spricht sich für ein Verbot einer Gesundheitsfürsorge für minderjährige Transgender-Leute aus. Auf der anderen Seite schien er gegen einen Frei-Markt-Kapitalismus zu sein, bei dem ausschließlich – auf Gedeih oder Verderben – der »Markt« den Ton angibt. Auch hinsichtlich Steuern, Mindestlöhnen, Gewerkschaften und Trusts scheint er – seiner armen Herkunft getreu – anderer Meinung als der Durchschnittsrepublikaner.9 Die Frage ist freilich, ob er das nicht längst alles aufgegeben hat – hätte ihn Trump sonst gewählt? Ja, warum hat Trump sich für ihn entschieden? Oder besser, was hat die beiden denn nun wirklich zusammengebracht? Das hat unterm Strich weniger mit Trump und Vance und deren politischen Ansichten im Einzelnen zu tun als mit einem ganz anderen, weit gefährlicheren Mann, der da im Hintergrund die Strippen zieht.
Lassen wir alle Spekulationen mal außen vor und sehen uns erst mal den weiteren Lebenslauf von J.D. Vance nach seinem Abschluss in Yale an. Vance ging 2013, nach besagtem Abschluss, zu einem Biotech-Unternehmen – Circuit Therapeutics – in der Nähe von San Francisco. Warum sollten die einen völlig unerfahrenen Typen wie Vance nehmen. Nun, weil ein gewisser Peter Thiel, den Vance 2011 bei einem Gastvortrag in Yale kennengelernt hatte, ihnen den Mann »empfahl«. Thiel hatte in eine Firma des dortigen CEO investiert. Nachdem Vance dort nichts vom Teller zog, besorgte Mr. Thiel ihm einen Job bei Mithril Capital, einer Risikokapitalfirma, die Peter Thiel mitbegründet hatte. Auch dort erinnert man sich nur an ihn, weil er ihnen eine überzuckerte Limonade namens Big Red empfahl. 2017 wurde Vance – wieder auf Thiels Empfehlung – Partner bei Revolution, einer Risikokapitalfirma von AOL-Gründer Steve Case, wo er nach 18 Monaten gegangen wurde, weil er nicht wirklich was tat. Schließlich machte Vance einen eigenen Risikokapital-Laden auf, Narya Capital,10 Natürlich half Thiel wieder mit, aber auch Eric Schmidt und Marc Andreessen. Das Unterfangen ging den Bach runter wie alles andere auch. Erinnert irgendwie an Trumps Pleitegeschäfte. So richtig drauf hatte es J.D. wohl nicht. Er verdankte all die Stellen keinem Geringeren als dem Milliardär Peter Thiel. Der hatte ihm nicht nur einen Promo-Text für seine Memoiren geschrieben, er bezahlte auch seinen Weg in den US-Senat. Und natürlich hatte Thiel schon 2016 in nicht geringem Maße Donald Trumps Wahlkampf finanziert.11
Peter Thiel, jetzt halten Sie sich fest, gehört mehr oder weniger auch Palantir, der Datenkrake, der jetzt schon für die US- und andere Geheimdienste und Polizeibehörden tätig ist. »Peter Thiel«, so schrieb Christina Kyriasoglou im manager magazin, »schürt schon lange düstere Umsturzfantasien. Jetzt greift der Facebook-Investor und Paypal-Macher auch nach politischer Macht – und pusht … einige der radikalsten Politiker am rechten Rand.«12 Wie soll das aussehen, wenn Vance als Vize mit seinem Präsidenten über das Schicksal der »Feinde der Demokratie« plaudert? Nochmal: Thiel hievte Vance mit zehn Millionen Dollar in den Senat. Einen schlimmeren Wust von Interessenkonflikten und Filz könnte man sich kaum vorstellen.
Aber der Reihe nach: Die offizielle Version ist, dass Trumps innerer Kreis auf Vance aufmerksam wurde, als er sich 2022 gegen das Flugverbot für Russen über ukrainischem Staatsgebiet aussprach, weil das, wie er sagte, in letzter Konsequenz nichts anderes bedeuten würde, als dass US-Piloten sich Luftkämpfe mit russischen Fliegern liefern.13 Ob jedoch nun tatsächlich, wie es heißt, Vances Haltung zur Ukraine-Frage den Ausschlag gab, sei dahingestellt,14 angeblich setzte sich jedenfalls Donald Trump Jr., den hatte schon Hillbilly Elegy tief beeindruckt hatte, für Vance ein. Tatsache ist jedoch, dass Peter Thiel Vance im Feburar 2021 zu einem ersten verstohlenen Tête-à-Tête mit Trump nach Mar-a-Lago mitgenommen hatte.15 Hier bügelten Trump und Vance wohl ihre Differenzen aus, was die eingangs gestellten Fragen beantwortet und hinfällig macht. Trotzdem wollte Vance nicht jeder im republikanischen Lager. Die Milliardäre unter den Spendern hatten ein Problem mit »seiner Neigung zum Wirtschaftspopulismus«, der sich mit ihrem Hang zum schlanken Staat und zur libertären Marktwirtschaft stieß. Letztlich hätten sie alle lieber irgendeinen anderen als Vance den Posten bekommen sehen, Nikki Haley, zum Beispiel, oder Paul Rubio. Aber Haley zu nehmen, schien wohl zu einfach; man hätte darin eine schwache Entscheidung gesehen. Rubio eignete sich schon deshalb nicht, weil er seinen Wohnsitz ebenfalls in Florida hat, was rechtlich nicht geht. Natürlich hätte er »umziehen« können, aber letztlich passte er Trump wohl eben doch nicht. Burgum galt fast schon als sichere Bank, aber ihm schien die Erfahrung auf nationaler Bühne zu fehlen. Außerdem schien er Trumps innerem Kreis als etwas zu aufdringlich. Bezeichnend ist, dass von Tim Scott, der sich von Trump auf irgendwie entwürdigende Weise hatte vorführen lassen, keine Rede mehr war. Vance wurde dabei nicht etwa nur passiv herumgereicht. Er ließ seine Verbindungen zum Geld aus dem Silicon Valley spielen lassen, um sich bei Trump einzuschmeicheln.16 Im März 2024 stellte Vance Donald Trump Jr. David Sacks vor, einen prominenten Risikokapitalgeber und nahm im Juni an einer Spendengala für Trump von Chamath Palihapitiya teil, Sacks’ Co-Moderator des beliebten Podcasts All In. Dort forderten Sacks und Palihapitiya Trump auf, Vance als seinen Vize zu nominieren. Nur nebenbei hatten das auch bereits Elon Musk und Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson getan.17 Laut New York Times legte Thiel Trump seinen Kandidaten auch in privaten Gesprächen immer wieder ans Herz.18 Als Trump seine Entscheidung schließlich bekanntgab, feierten Sacks und Musk diese auf X enthusiastisch ab. Alles in allem darf man also getrost davon ausgehen, dass Tech-Milliardäre, allen voran Peter Thiel, für Trumps Entscheidung verantwortlich waren.19
Nun, wenn Vance seine Hillbilly-Stimmen mit einbringt und man Trump nach den Schüssen auf ihn den versöhnlichen Wolf im Schafspelz abkauft, den er plötzlich zu geben versuchte20, zu schweigen davon dass die Demokraten so zerrissen sind wie die Republikaner sich einig scheinen, hat man die Wahl wohl in der Tasche. Das Problem ist, dass man diesmal schlecht sagen kann: »Das wird interessant werden, mal sehen, was passiert.« Trump kann sich nicht ändern, seine autoritären Truppen stehen Gewehr bei Fuß …
Anmerkungen
- »Who Is J.D. Vance Why Trump Nominated Him for VP«. WSJ. YouTube, 15.7.2024. ↩︎
- J. D. Vance, »Opioid of the Masses«. The Atlantic. 4. Juli 2016. ↩︎
- Jeffrey Sonnenfeld, Stephen Henriques, Steven Tian, »J.D. Vance’s Selection as Trump’s Running Mate Frightens Business Leaders«. TIME. 17.7.2024 ↩︎
- »Who is J.D Vance …« ↩︎
- Cameron Joseph, »Trump-Endorsed Candidate JD Vance Once Said Trump Might Be ‘America’s Hitler’« VICE, 16.2.2024 ↩︎
- J. D. Vance, Hillbilly Elegy. New York: Harper, 2016. ↩︎
- Ebda. ↩︎
- »Who is J.D. Vance …« ↩︎
- »Are Republican Voters Ready for the Nerdy Radicalness of JD Vance?«, Politico, 16.7.2024. ↩︎
- Sie sehen Tolkien & Aryan? Das ist weit bezeichnender, als Sie denken. ↩︎
- »Rachel Maddow exposes the real reason JD Vance was chosen to be Trump’s running mate«. MSNBC, 18.7.2024. ↩︎
- Christina Kyriasoglou, »Wie der Dark Lord des Silicon Valley auf die Spaltung Amerikas wettet«. manager magazin 10/2022. 28.09.2022. ↩︎
- »Ohio Senate Republican Debate«. Campaign 2022. March 21, 2022. ↩︎
- Isaac Arnsdorf, Josh Dawsey, Marianne LeVine, »How Trump got to ‘yes’ on Vance«. The Washington Post. July 15, 2024. ↩︎
- Nick Robins-Early, »How JD Vance’s path to being Trump’s VP pick wound through Silicon Valley«. The Guardian. Fri 19 Jul 2024. ↩︎
- Ebda. ↩︎
- Mikhaila Friel, »Elon Musk, Tucker Carlson, and David Sacks personally lobbied Trump to pick Vance: report«. Business Insider, Jul 16, 2024. ↩︎
- »It’s not 2016 anymore: Trump Finds Friends in Silicon Valley«. The New York Times, 06.06.2024. ↩︎
- Ryan Mac and Theodore Schleifer, »How a Network of Tech Billionaires Helped J.D. Vance Leap Into Power«. The New York Times. July 17, 2024. ↩︎
- Der alte Donald kam ja schon während der langen Rede auf dem RNC nach 20 Minuten wieder durch.Alexandra Petri, »Donald Trump was never going to change«. The Washington Post, Opinion. July 19, 2024. ↩︎