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Trump-Wör­ter­buch #75: Har­ris’ Gro­ße Koalition

Wäh­rend Trump vor ste­tig schwin­den­dem Publi­kum von gefühlt erfah­re­nen Krän­kun­gen faselt und unter hass­erfüll­ten Anwür­fen und Belei­di­gun­gen für den poli­ti­schen Geg­ner mit düs­te­ren Unter­gangs­sze­na­ri­en Stim­mung ver­brei­tet, arbei­tet Kama­la Har­ris fie­ber­haft mit offe­nen Armen und erfri­schend freund­li­cher Offen­heit an einer Art Gro­ßen Koali­ti­on. Wäh­rend Trump mit dem Ver­spre­chen auf Ver­gel­tung in sei­ner künf­ti­gen migran­ten­frei­en Dik­ta­tur bei den Unzu­frie­de­nen zu punk­ten ver­sucht, arbei­tet Har­ris dar­an, end­lich die ande­re Sei­te des fins­te­ren Tals zu errei­chen, in das der Rat­ten­fän­ger die Nati­on geführt hat. 

Caro­li­ne Giu­lia­ni, die Toch­ter des ehe­ma­li­gen »Bür­ger­meis­ters der Nati­on«, hat es auf den Punkt gebracht mit ihrer Aus­sa­ge, Kama­la Har­ris habe die­se Wahl mit »Vita­li­tät und Hoff­nung« erfüllt, wäh­rend die Erin­ne­rung an Trumps Amts­zeit immer noch an den psy­chi­schen Kräf­te der Ame­ri­ka­ner zeh­re.1 Und kaum ist ihr Arti­kel erschie­nen, bekräf­tigt die­se Ansicht ein Buch Bob Wood­wards, in dem der gro­ße alte Mann des ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­mus ent­hüllt, Trump habe auf dem Höhe­punkt der Knapp­heit an Covid-Tests ein Kon­tin­gent davon sei­nem ver­meint­li­chen Spe­zi Putin zur per­sön­li­chen Ver­wen­dung zukom­men las­sen. Tests aus ame­ri­ka­ni­scher Her­stel­lung! Putin, so schreibt Wood­ward, sei von pani­scher Angst erfüllt gewe­sen, dass er sich anste­cken könn­te.2 Was jedem klar gewe­sen sein dürf­te, der sich der Fotos von den ewig lan­gen Tischen ent­sinnt, an dem Putin sei­ne Bera­ter oder Besu­cher – wie etwa Macron – emp­fing. Das mag im Gro­ßen und Gan­zen heu­te nicht mehr so dra­ma­tisch erschei­nen, ist jedoch ein wei­te­rer Schnapp­schuss von Trumps Cha­rak­ter oder des Man­gels an einem sol­chen. Und Putin, so führt Wood­ward aus, habe ihm gera­ten, das lie­ber für sich zu behal­ten. Der Rus­se kennt sei­ne Pap­pen­hei­mer, womög­lich hät­te der oran­ge­ne Idi­ot mit dem Dienst an sei­nem gro­ßen Freund geprahlt. Wer sich das immer noch nicht gefragt haben soll­te, der soll­te das jetzt tun: Was wür­de Trump für eine klei­ne Schmei­che­lei sei­tens sei­ner Hel­den Putin, Xi Jin­ping, Kim Jong Un und Orbàn wohl sonst noch tun? Aber dies hier nur um die Tie­fe der Tal­soh­le auf­zu­zei­gen, aus der Kama­la Har­ris die Ame­ri­ka­ner mit strah­len­dem Lächeln und ohne Bös­ar­tig­keit, wenn auch mit geziel­ten iro­ni­schen Spit­zen gegen den Geg­ner, in eine Poli­tik des Dia­logs zu füh­ren versucht.

Und unter die­sen Vor­zei­chen ist es ihr gelun­gen, eine Koali­ti­on jen­seits par­tei­po­li­ti­scher Que­re­len zu schaf­fen, die sie fie­ber­haft zu erwei­tern ver­sucht. So sieht sie sich mitt­ler­wei­le von »Hun­der­ten von Repu­bli­ka­nern und ehe­ma­li­gen Ange­hö­ri­gen einer repu­bli­ka­ni­schen Regie­rung« unter­stützt,3 dar­un­ter, durch­aus zum Unwil­len so eini­ger Demo­kra­ten, die bei­den Che­neys,4 Liz, die ehe­ma­li­ge Che­fin der Repu­bli­ka­ner im Reprä­sen­tan­ten­haus, und ihr Vater Dick, Vize unter Geor­ge W. Bush und vor MAGA jahr­zehn­te­lang der Inbe­griff der GOP. Dick Che­ney, falls Sie es ver­ges­sen haben soll­ten, ist ein Erz­kon­ser­va­ti­ver, ein Fal­ke, den 9/11 und der Krieg im Irak zum Volks­hel­den der Rech­ten und zum Fein­bild der Lin­ken mach­ten.5 Über 200 hoch­ran­gi­ge Repu­bli­ka­ner haben sich in einem Brief hin­ter Har­ris gestellt. Ihre Maxi­me: »Wei­te­re vier Jah­re unter Donald Trumps chao­ti­scher Füh­rung wer­den dem Nor­mal­bür­ger scha­den und unse­re hei­li­gen Insti­tu­tio­nen schwä­chen.« Was nicht heißt, dass man durch die Bank mit Team Harris/Walz an einem Strang zieht: »Wie nicht anders zu erwar­ten, haben wir eine Men­ge ehr­li­cher ideo­lo­gi­scher Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten mit Vize­prä­si­dent Har­ris und Gou­ver­neur Walls, die Alter­na­ti­ve jedoch ist schlicht untrag­bar. Wir brau­chen eine Füh­rung, die Kon­sens und nicht Cha­os anstrebt.«6 Je mehr Donald Trump Har­ris als eine Art Radi­ka­le ver­teu­felt, des­to mehr Main­stream-Repu­bli­ka­ner schei­nen sich hin­ter die demo­kra­ti­sche Kan­di­da­tin zu stellen.

Über­haupt schei­nen die Leu­te sich gern in klar defi­nier­ten Grup­pen hin­ter die strah­len­de Kan­di­da­tin der Demo­kra­ten zu stel­len. Dass sie bei schwar­zen Frau­en ankom­men wür­de, moch­te man erwar­tet haben, auch wenn ein vier­stün­di­ger Zoom-Mara­thon kurz nach ihrer Ernen­nung, bei dem über andert­halb Mil­lio­nen Dol­lar an Spen­den zusam­men­ka­men, etwas Uner­hör­tes ist.7 Das gilt auch für eine vir­tu­el­le Demo von über 70.000 unzu­frie­de­nen Repu­bli­ka­nern Mit­te August. Und, jetzt hal­ten Sie sich fest, eine wei­te­re mehr­stün­di­ge Ver­samm­lung auf Zoom hat­ten die Evan­ge­li­ka­len – über 200.000 Ange­hö­ri­ge die­ser Grup­pe hat­ten sich bis Ende August zu Har­ris bekannt.8 Ob sie da einem Trug­schluss auf­ge­ses­sen sind, was die Gleich­set­zung von Har­ris Pro­gramm mit den Leh­ren Jesus’ angeht, dürf­te nur sie selbst etwas ange­hen.9 Sie jeden­falls pochen auf ihr »gott­ge­ge­be­nes Recht auf staats­bür­ger­li­che Teil­ha­be«. In einer Erklä­rung auf ihrer Web­site heißt es: »Kei­ne poli­ti­sche Par­tei, kein poli­ti­scher Füh­rer kann jemals unse­re vol­le Hin­ga­be erlan­gen. Die gehört allein Jesus. Wäh­rend wir uns die­ser Wahl nähern, sehen wir unse­re Her­zen von einem Weg ange­zo­gen, der sei­ne Leh­ren wider­spie­gelt. Wir ent­schei­den uns für den Frie­den, der aus der Freu­de kommt, für die Stär­ke, die wir in der Lie­be zu unse­ren Nächs­ten fin­den, und für die Gna­de, die im Mit­ge­fühl liegt. Dies ist nicht nur eine Wahl, son­dern ein Spie­gel­bild unse­res Glau­bens. Bei die­ser Wahl liegt die Ent­schei­dung auf der Hand: Kama­la Har­ris.«10

Tat­sa­che ist, dass es neue Wäh­ler vom Sofa zu locken gilt, will man eine so knap­pe Wahl gewin­nen. Und genau das scheint Har­ris zu schaf­fen wie kaum jemand vor ihr. Und das Schö­ne dar­an ist, dass die Leu­te sich selbst orga­ni­sie­ren. Das eben zei­gen die­se auf den ers­ten Blick merk­wür­di­gen Grup­pen, die Iden­ti­tät zei­gen wie eine Flag­ge. Da gibt es die Elders for Kama­la, das sind die Senio­ren, die Nati­ve Men for Har­ris, das sind die India­ner, offen­sicht­lich ohne ihre Frau­en, die sich als Nati­ve Women for Har­ris enga­gie­ren; Har­ris eige­nen bio­gra­phi­schen Hin­ter­grund reflek­tie­rend, hat sich eine Grup­pe namens South Asi­an Women for Har­ris gebil­det; ange­sichts der Lati­nas for Har­ris, die es in San Anto­nio kra­chen lie­ßen,11 genier­ten sich ihre spa­nisch­stäm­mi­gen Kol­le­gen und hoben die Lati­nos for Har­ris aus der Tau­fe;12 Letz­te­re hiel­ten und hal­ten es bis­lang über­wie­gend mit Trump. Gera­de jun­ge Lati­nos haben mit Har­ris wenig am Hut.13 Jun­ge schwar­ze Wäh­ler blei­ben da außen vor; gera­de jun­ge Män­ner hat­ten ihr Schwie­rig­kei­ten etwa mit Hil­la­ry Clin­ton; Kama­la Har­ris hat in Kali­for­ni­en eine Men­ge von ihnen hin­ter Git­ter gebracht. 

Als Oba­ma im Okto­ber in Penn­syl­va­nia auf­schlägt, geht er mit dem männ­li­chen Teil der schwar­zen Wäh­ler­schaft hart ins Gericht. »Irgend­et­was in mir bringt mich auf den Gedan­ken, dass es Ihnen ein­fach nicht schmeckt, eine Frau als Prä­si­den­tin zu haben. Und Sie den­ken sich Alter­na­ti­ven und ande­re Grün­de dafür aus. Also den­ken sie dar­an, der Wahl fern­zu­blei­ben oder gar jeman­den zu wäh­len, der Sie immer wie­der schlecht gemacht hat. Weil Sie den­ken, dass das ein Zei­chen von Stär­ke ist. Dass es das ist, was einen Mann aus­macht. Frau­en her­ab­zu­set­zen. Das ist nicht akzep­ta­bel.«14 Und man weiß nicht so recht, ob sei­ne Schel­te nicht auch Har­ris und ihrem Team gilt, ob da nicht der Vor­wurf mit­klingt, sie setz­ten den Män­nern unter der schwar­zen Wäh­ler­schaft nicht genü­gend zu. Har­ris hat es in Penn­syl­va­nia Umfra­gen zufol­ge bis­lang unter den Schwar­zen, die zu wäh­len geden­ken, auf »nur« 78% gebracht. Biden hat­te dort 2020, nicht zuletzt dank Oba­mas Beliebt­heit, 92% der schwar­zen Stim­men auf sich ver­ei­ni­gen können. 

Unterm Strich jedoch wer­den womög­lich die­sen Herbst mehr denn je Men­schen wäh­len, nur eben wen. Von den Errun­gen­schaf­ten der Bür­ger­rechts­be­we­gung in den Six­ties, an der die Demo­kra­ten gro­ßen Anteil hat­ten, wis­sen gera­de die jun­gen Leu­te nichts mehr. Außer­dem hat­te Trump schon 2020 Rap-Super­stars wie Kanye West hin­ter sich. Immer­hin kann sich Har­ris der akti­ven Unter­stüt­zung einer Bas­ket­ball-Legen­de wie Magic John­son sicher sein. Und wo wir schon bei den Afro­ame­ri­ka­nern sind, gibt da noch die Black Que­er Men for Har­ris; ob die nun gleich »Har­ris’ Geheim­waf­fe«, wie For­bes titelt, sei dahin­ge­stellt.15 Und natür­lich darf dann auch LGBT for Har­ris nicht feh­len. Jüngs­te Bemü­hun­gen um die ame­ri­ka­ni­schen Mus­li­me und Ara­ber brach­ten ihr die Unter­stüt­zung einer Grup­pe namens Arab Ame­ri­cans for Har­ris-Walz ein. 

Eini­ge die­ser Grup­pen zei­gen Humor, so etwa die Cat Ladies for Kama­la, eine von J.D. Van­ce offen­bar beson­ders gekränk­te Wäh­ler­grup­pe; eine recht erle­se­ne Rie­ge von Pro­mi­nen­ten haben die White Dudes for Har­ris ins Leben geru­fen. Mark Ruf­fa­lo gehört dazu, Mark Hamill, Josh Grob­an und natür­lich der »Dude« selbst, Jeff Bridges. Ihre Zoom-Kon­fe­renz brach­te Ende Juli fast 200.000 Leu­te zusam­men und über vier Mil­lio­nen Dol­lar an Spen­den ein.16 Und dann wären da noch die Train Lovers for Har­ris-Walz.

In einer iden­ti­tä­ren Welt, in der jeder nur noch sich selbst und bes­ten­falls noch eine Grup­pe von Klo­nen respek­tie­ren kann, ist die­se Art von Enga­ge­ment nicht wei­ter ver­wun­der­lich, auf der ande­ren Sei­te ist es aber auch inter­es­sant, dass es unterm Strich denn doch um Gemein­sam­keit geht. Es weist also nicht nur auf die aggres­si­ve Abgren­zung von allen ande­ren. Man scheint sich der Not­wen­dig­keit bewusst gewor­den, dass es hier dar­um geht, Brü­cken zu bau­en – zum Erhalt von nichts Gerin­ge­rem als der ältes­ten Demo­kra­tie der Welt.

Anmer­kun­gen

  1. Caro­li­ne Rose Giu­lia­ni, »Rudy Giuliani’s Daugh­ter: Trump Took My Dad From Me. Plea­se Don’t Let Him Take Our Coun­try Too«. Vani­ty Fair, Sept. 30, 2024. ↩︎
  2. Isaac Stan­ley-Becker, »5 key reve­la­ti­ons from Bob Woodward’s new book«. Washing­ton Post, Octo­ber 8, 2024. ↩︎
  3. Ste­ve Benen, »Hundreds of for­mer Bush, McCain and Rom­ney staf­fers back Har­ris«. MSNBC, Aug. 27, 2024. ↩︎
  4. Patrick Svi­tek, Amber Fer­gu­son and Tolu­se Olor­un­ni­pa, »For­mer vice pre­si­dent Dick Che­ney says he will vote for Kama­la Har­ris«. The Washing­ton Post, Sep­tem­ber 6, 2024. ↩︎
  5. Ari Mel­ber, »Sho­cker: Bush VP Dick Che­ney backs Kama­la Har­ris«. MSNBC, 07.09.2024. ↩︎
  6. »Over 200 for­mer Bush, McCain, & Rom­ney aides endor­se Kama­la Har­ris«. Scripps News, 27.08.2024. ↩︎
  7. Errin Hai­nes, Jen­ni­fer Ger­son, »Four hours, 44,000 Black women, and one Zoom call«. Advo­ca­te, July 23 2024. ↩︎
  8. Ste­ve Benen, »Hundreds of for­mer Bush, McCain and Rom­ney staf­fers back Har­ris«. MSNBC, Aug. 27, 2024. ↩︎
  9. Mer­rill Matthews, »What ‘Evan­ge­li­cals for Har­ris’ gets ter­ri­bly wrong«. The Hill, 09/10/24. ↩︎
  10. »Faithful, Com­pas­sio­na­te Evan­ge­li­cals Exer­cis­ing Our God-given Citi­zen­ship« ↩︎
  11. San Anto­nio ↩︎
  12. Pablo Man­rí­quez, »Demo­crats Are Losing Lati­no Men to Trump. Enter Kama­la Har­ris«. The New Repu­blik, August 9, 2024. ↩︎
  13. Amie Par­nes and Rafa­el Ber­nal, »Har­ris strug­gles to break through with young Lati­nos«. The Hill, 09/26/24. ↩︎
  14. Abby Phil­lip, »Oba­ma: Black men sup­port­ing Trump over Har­ris is ›not accep­ta­ble‹«. CNN, 11.10.2024. ↩︎
  15. Richard Fow­ler, »Could Black Gay Men Be Vice Pre­si­dent Kama­la Har­ris’ Secret Wea­pon?«. For­bes, Aug 4, 2024. ↩︎
  16. TOI World Desk, »‘White Dudes for Har­ris’: All you need to know«. The TIMES OF INDIA, Jul 31, 2024. ↩︎

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