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Pseu­dohüf­ti­ges

Wie’s der Zufall so will: Mau­le ich eben noch über “Pseu­do-Ety­mo­lo­gien”, schon fin­de ich was recht Inter­es­san­tes dazu. In die­sem Fall in der “Vor­re­de zur ers­ten und zwei­ten .Auf­la­ge  . . der drit­ten und viel­ver­bes­ser­ten und ver­mehr­ten Aus­ga­be” von Kon­rad Schwencks Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che in Bezie­hung auf Abstam­mung und Begriffs­bil­dung von 1838:

»Der Zweck die­ser Schrift ist, die Ergeb­nis­se deut­scher Wort­for­schung … in der Kür­ze und so all­ge­mein faß­lich, als es der Gegen­stand zuläßt, dar­zu­stel­len, jedoch so, daß, um Raum zu spa­ren, nicht jedes abge­lei­te­te Wort auf­ge­nom­men ward, wenn es jeder­mann selbst ablei­ten kann.… Wo siche­re Wort­ab­lei­tun­gen feh­len, habe ich ent­we­der Ver­mut­hun­gen nicht ange­stellt oder öfters bei­gebracht, um sol­che als gewagt zu bezeich­nen und somit davon abzu­mah­nen, da die Nei­gung dazu ver­brei­tet ist.«

Und dann sto­ße ich zufäl­lig ges­tern auf der Suche nach Syn­ony­men für »ange­sagt« in Her­mann Ehmanns  – wie­der bei Ehmann, tut mir leid – sonst durch­aus brauch­ba­rer Samm­lung von Jugend­spra­che ober­af­fen­geil unter »hip« auf folgendes:

hip / hip­pig engl. “hip” – 1. Hüf­te, Becken; Bedeu­tungs­er­wei­te­rung bzw. ‑ver­schie­bung: ange­sagt; …

Das ist schlicht Unfug. »Hip« hat nichts mit »Hüf­te« zu tun, hat­te nie was mit »Hüf­te« zu tun, ist also weder »Bedeu­tungs­ver­schie­bung« noch »-erwei­te­rung«. Was auch denn schon die ein­zig gesi­cher­te Erkennt­nis ist, was die Ety­mo­lo­gie von »hip« angeht.

Bis vor eini­gen Jah­ren galt als glaub­wür­digs­te Erklä­rung für den Ursprung von »hip« die von schwar­zen Sprach­for­schern wie Smither­man oder Major ver­tre­te­ne, nach der das Wort von »hepi« bzw. »hipi« abstammt, zwei Wör­tern aus dem Wol­of, einer Spra­che, die – ich zitie­re die Wiki­pe­dia – eine Unter­grup­pe der Niger-Kon­go-Spra­chen aus dem nörd­li­chen Zweig der west­at­lan­ti­schen Sprach­fa­mi­lie ist. Das ist weni­ger an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen, als es sich im ers­ten Augen­blick anhört, denkt man an den regen Skla­ven­han­del mit Nord­ame­ri­ka und dar­an, dass »hip« dort zunächst nur unter Schwar­zen ver­brei­tet war. »Hepi« bedeu­tet im Wol­of »sehen«, »hipi« heißt »die Augen öffnen«.

Nun nei­gen schwar­ze Lin­gu­is­ten dazu, Wör­ter aus dem schwarz­ame­ri­ka­ni­schen Dia­lekt von schwarz­afri­ka­ni­schen Spra­chen abzu­lei­ten, was nur all­zu logisch wäre, über­trie­ben sie es nicht manch­mal dabei. Die Ety­mo­lo­gie gilt ent­spre­chend als noch nicht gesichert.

Ein wei­te­res inter­es­san­tes Argu­ment kam nun jüngst von Dani­el Cass­idy, der in sei­nem unge­mein inter­es­san­ten Buch How the Irish inven­ted Slang (2007) eine gan­ze Men­ge ame­ri­ka­ni­scher Slang­wör­ter, deren Ety­mo­lo­gie bis­lang als unknown galt, aus dem Iri­schen (einer gäli­schen Spra­che) ablei­tet, dar­un­ter auch ein nicht weni­ger schwar­zes als »hip«, näm­lich »jazz«.

Cass­idy lei­tet »hip« bzw. die von schwar­zen Sprach­for­schern nie aner­kann­te Neben­form »hep« ab vom iri­schen aibí (gespro­chen: h‑abí bzw. zusam­men­ge­zo­gen h‑ab’); das Wort bedeu­tet soviel wie »reif, flink, klug, gewitzt« oder im über­tra­ge­nen Sin­ne »infor­miert«.

Auf das Pro­blem, wie das Wort von den Iren bzw. aus den von Iren bevöl­ker­ten Städ­ten und Gegen­den im Nor­den in die von Schwar­zen bewirt­schaf­te­ten Plan­ta­gen des Süden kam, geht Cass­idy nicht ein. Oder anders gesagt, wie­so es bei Iren, ja bei den Wei­ßen über­haupt, nie im Schwang gewe­sen zu sein scheint. Wie soll­te ein Wort sozu­sa­gen gera­de­wegs aus dem Iri­schen in den schwar­zen Dia­lekt über­ge­hen, um sich dann dort eine Ewig­keit zu ver­ste­cken, bevor es zurück in die Welt der Wei­ßen fin­den? Folgt man der Abstam­mung aus dem Iri­schen, muss es doch wun­dern, dass das Wört­chen nir­gend­wo schrift­lich fest­ge­hal­ten scheint; dass das schwar­ze Eng­lisch eine aus­schließ­lich münd­li­che Tra­di­ti­on hat, ist nicht von der Hand zu weisen.

Aber das sind Betrach­tun­gen, die hier zu weit füh­ren. (Obwohl es natür­lich auch  hier um Pseu­do-Ety­mo­lo­gien geht). »Hip« jeden­falls hat nichts mit der »Hüf­te« zu tun, es ist von der Wur­zel her noch nicht ein­mal ein eng­li­sches Wort – ein Blick in irgend­ein Wör­ter­buch hät­te genügt, um die­sen volks­ety­mo­lo­gi­schen Schnit­zer als »gewag­te Ver­mut­hung« zu ent­lar­ven und damit zu umge­hen. So etwas wer­tet der­lei Samm­lun­gen lei­der auch immer ab; man traut einem Buch, das voll ist von sol­chen Mut­ma­ßun­gen, auch in so manch ande­rer Hin­sicht nicht mehr. Was scha­de ist. Und genau das Gegen­teil des­sen, was For­scher wie der oben zitier­te Schwenk wol­len: gesi­cher­te Infor­ma­ti­on. Viel­leicht soll­te man das bei allem Unter­hal­tungs­wert, der natür­lich bei sol­chen Samm­lun­gen im Vor­der­grund steht, nicht außer Acht las­sen. Immer­hin war auch Schwencks »Schrift nicht für die soge­nann­te gelehr­te Welt bestimmt«.

Mir fällt hier eben noch ein, dass »hip« und »Hüf­te« doch etwas mit­ein­an­der zu tun hat­ten,  inso­fern unter herz­lich unhip­pen Zeit­ge­nos­sen in den 60er-Jah­ren der Scherz umging, dass sie »hip­pie« bis dahin immer mit »breit in den Hüf­ten« ver­bun­den hat­ten, also mit kur­vi­gen bis voll­schlan­ken Frauen…