Eine der merkwürdigeren Stellen, die mir in Songtexten so untergekommen sind, stammt ganz aus der Anfangszeit meiner Beschäftigung mit der Materie. Damals hatte ich meine liebe Mühe, die Zeile „You keep lying when you ought to be truthing“ aus Nancy Sinatras „These Boots are Made for Walking“ in den Kopf zu bekommen. Alles daran sperrte sich dem Verständnis. Und wen wollte man Mitte der 60er-Jahre nach so etwas fragen? Ich meine, selbst wenn es einer verstanden hätte, mehr als eine Klugscheißerantwort wie die, dass es „truth“ als Verb eben nicht gibt, war nicht drin.
Nun geistert seit einigen Jahren ein Wort durch die Presse oder das Web oder die Presse im Web, das mich jedes Mal an die „Boots“ denken lässt: „truther“.
„Truthers“, so lässt sich leicht feststellen, sind Leute, die der Ansicht sind, Onkel Sam habe seinem Volk im Gefolge von 9/11 keinen reinen Wein darüber eingeschenkt, was an dem Tag wirklich passiert ist; die extremeren unter den „truthers“ behaupten gar, der “Staat” hätte von dem Anschlag im voraus gewusst und ihn zugelassen, wenn nicht gar selbst geplant.
Nun, bei einem Land, das Elvis mit schöner Regelmäßigkeit in seinen Supermärkten auftauchen sieht und in dem Verschwörungstheorien ganze Bibliotheken füllen, möchte man das einfach als Unfug abtun. Aber ich habe dieser Tage Eagle Eye gesehen, einen amerikanischen Thriller, in dem der Computer der amerikanischen Staatssicherheit sich selbstständig macht und einen Anschlag auf den Präsidenten – der ihm nicht patriotisch genug scheint – in die Wege leitet, also enthalte ich mich einer Meinung und bleibe beim Wort an sich.
Laut Leslie Savans Sprachkolumne in der New York Times stammt der Begriff von Jon Gold, einem der Aktivisten des „9/11 Truth Movement“, der damit bereits 2004 einem Gleichgesinnten Mut zugesprochen haben will: „You’re a 9/11 truther, don’t let them get to you.“
Wordspy, stets an der Front sprachlichen Geschehens, nennt als ersten schriftlichen Beleg George Washington’s Blog vom 22. Mai 2006: „Therefore, virtually every press release or statement about 9/11 should include a reference to the poll to show people that many Americans are 9/11 truthers who scoff at the 9/11 Commission as a fraud and that demand a real 9/11 investigation.“
Jon Gold hatte bei der Prägung des Wortes eigenen Aussagen zufolge das solide alte „Quaker“ im Ohr, aber was Verschwörungstheorien angeht, hat es natürlich zuvor schon die grassy-knollers und die mooners gebenen. „Truther“ selbst scheint mittlerweile Pate für weitere Bildungen auf -er wie etwa birther und deather gestanden zu haben. Was an sich nicht Besonderes wäre, da -er als Suffix schon immer „Handelnde“ bildet; den Genannten ist freilich gemein, dass sie nicht wie im Fall von teach / teacher von einem Verb abgeleitet sind. Es sei denn, man denkt an Nancy Sinatras Song…
Apropos: Savans nennt die Bewegung „links angehaucht“, was nicht nur angesichts der damit verbundenen Namen verwegen scheint, sondern auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass mehr als ein Drittel der Amerikaner derlei Theorien nicht ganz ausschließen will. „36 Prozent“, so schrieb Lev Grossman in Time, „das ist eine Menge Holz. Es handelt sich nicht um eine Randerscheinung. Wir sprechen hier vom Mainstream, von politischer Realität.“ Ob die Ermittlungen also noch einmal aufgenommen werden oder nicht, die Verschwörungstheorie wird Amerika auf jeden Fall erhalten bleiben wie die um Marilyn Monroe oder John F. Kennedy.
Are you ready, boots?