E.B. Tylor – Linguistische Aspekte des Slang (9)
Macmillan’s Magazine, Vol. XXIX (1873–74) pp. 502–513
Übersetzung © Bernhard Schmid
(Fortsetzung von hier)
So eng ist die Verwandtschaft zwischen dem englischen und anderen Dialekten der germanischen Sprachfamilie, dass der unbedachte Slangetymologe rasch einmal ein gutes altenglisches Wort für einen holländischen oder deutschen Import halten mag. Er wird dann das Diebswort für »stehlen« to nim (dem Corporal Nym seinen Namen verdankt) vom deutschen »nehmen« ableiten, wo es doch in Wirklichkeit direkt vom angelsächsischen niman (nehmen) kommt; desgleichen wird er das alte Cantwort cranke für die »Fallsucht« etc., von dem die Wendung »to counterfeit cranke« kommt, womit man die Vortäuschung epileptischer Anfälle bezeichnet, vom deutschen krank ableiten, wo es doch zweifelsohne ein gestandenes altenglisches Wort ist. In Fällen wie diesen ergibt sich die Verbindung zwischen englischen und hochdeutschen bzw. niederländischen Wörtern aus einer gemeinsamen Abstammung, nicht aus einer modernen Übernahme.
Die tatsächlich aus dem Deutschen bzw. Niederländischen entlehnten Wörter, die während der letzten Jahrhunderte ihren Weg in den englischen Slang gefunden haben, vermitteln den Eindruck, als hätten unsere Soldaten sie im Krieg auf dem Kontinent und in holländischen Seehäfen aufgelesen. Ein Slangsatz wie »he left me without a stiver, but I didn’t care a rap« mag vielleicht die Erinnerung an die kleinen Münzen niederländischer und schweizer Währung einer Zeit erhalten, in der die Originale nur noch bei Altmetallhändlern und in Sammlervitrinen zu sehen sind. Wenn man bedenkt, wie Germanismen dieser Klasse England erreicht haben, braucht es uns nicht zu überraschen, dass viele von ihnen zwar durchaus lebendig, aber alles andere als achtbar sind. So gehören zu ihnen carouse – vom deutschen gar aus – in der Bedeutung »alles austrinken«; smear gelt, das »Bestechungsgeld«; swindle vom deutschen »Schwindel«, was sich ursprünglich auf ein Schwindelgefühl bezog, dann auf jede Art von leichtsinnigen oder extravaganten Plan und schließlich auf den Betrug; skellum, ein Schurke oder Dieb, »a Dutch skellum«, wie es in Coryats »Crudities« heißt (vom deutschen und niederländischen »Schelm«):
“But if a drunkard be unpledged a kan,
Draws out his knife, and basely stabs a man,
To runne away the rascall shall have scope;
None holds him, but all cry, Lope, scellum, lope!”
Die technische Sprache der Courmacherei, so scheint es, wurde mit einer Anleihe beim Hochdeutschen um das Verbum ogle (vom deutschen äugeln, liebäugeln) bereichert, »jemandem Augen machen«. Das Wort war gewiss zuerst Slang (das Substantiv ogles für Augen ist es immer noch), erreicht aber selten ein höheres literarisches Niveau als den Zeitungsbericht über einen Preiskampf. Die ursprüngliche Bedeutung des Adjektivs spooney gehörte, für das Verbum to spoon gilt das immer noch, zweifelsohne ausschließlich in den Bereich der Liebelei seliger Albernheit; auch wenn es seither die Symptome ohne Anspielung auf die Krankheit beschreibt. Wie hat unsere Sprache nur so lange ohne das Wort auskommen können, und woher kam es dann endlich? Ich weiß es nicht genau, aber auf jeden Fall ist es ebenfalls Schweizerdeutsch. Sich um das andere Geschlecht bemühen, heißt dort löffeln; und ein Sprichwort besagt: »Liebe macht Löffelholz aus manchem jungen Knaben stolz.« Ich habe zu meiner Belustigung aus dem Mund einer Engländerin eine witzige Übersetzung des deutschen Satzes »Sie löffelten miteinander« gehört: »They were spooning together«. Die Übersetzerin war sich dabei überhaupt nicht bewusst, wie weit sie wirklich zurückging in die Frühzeit alemannischer Liebe. Als letzte Beispiele der deutsch-niederländischen Gruppe nehmen wir jene malerischen Amerikanismen, die letztlich nichts weiter sind als niederländische oder hochdeutsche Wörter, die früher oder spätere Siedler mitgebracht haben. Cookey-shine etwa, ein witziges Wort für eine Teegesellschaft, bezeichnet wörtlich eine Festlichkeit, auf der hauptsächlich kleines Gebäck (holländ. koekje) gereicht wird. Die Abneigung des Amerikaners, jemanden als Herrn und Meister zu bezeichnen, äußert sich darin, von seinem boss zu sprechen, was nichts weiter ist als der niederländische baas und damit seither nichts anderes als Herr und Meister bedeutet hat. Diesn beiden niederländischen Beispielen sollen noch zwei deutsche folgen. Im deutschen Kartenspiel entspricht der Bauer unserem knave, und so kam es, dass in Amerika die beiden höchsten Karten beim Euchre als bowers bezeichnet werden. Der rechte bower ist der Trumpfbube, und der linke bower der Bube von der gleichen Farbe:
»But the hands that were played
By that heathen Chinese,
And the points that he made
Were quite frightful to see
Till at last he put down a right bower,
Which the same Nye had dealt unto me.”
So einiges – wenn auch nicht mehr als eine Kunst von so weiter Verbreitung verdient – wurde über die Etymologie von loafer und dem davon abgleiteten Verbum to loaf geschrieben. Es bestehen jedoch keine Zweifel an der herrschenden Meinung, dass beide von Läufer bzw. Landläufer, einem deutschen Wort für einen nichtsesshaften Streuner, abstammen. Die Etymologien, die loafer vom niederländischen looper bzw. landlooper oder von den englischen Slangwörtern loper bzw. landloper (höchstwahrscheinlich eine Anleihe bei den Niederlanden) abzuleiten versucht haben, hätten sich womöglich die Mühe gespart, hätten sie sich Grimm’s Law* vor Augen gehalten, den gesetzmäßigen Unterschied nämlich im Falle von f und p zwischen den hochdeutschen Dialekten und den niederdeutschen Mundarten, etwa dem Holländischen, und der englischen Sprache. Der amerikanische loafer und der englische loper hatten zweifelsohne einen gemeinsamen Vorfahren, aber keiner ist ein Abkömmling des anderen.
(Fortsetzung folgt)
*Die Erste Lautverschiebung ist ein grundlegendes Lautgesetz, das im Jahre 1822 von Jacob Grimm formuliert wurde (daher Grimm’s Law im Englischen). Bereits 1806 war dieses Lautgesetz von Friedrich von Schlegel bzw. 1818 von Rasmus Christian Rask entdeckt worden.