Der Rabe
von
Edgar Allan Poe
Deutsch von Alexander Neidhardt.
Einst in mitternächt’ger Stunde,
Als ob lang vergess’ner Kunde
Ich in alten, netten Bänden
Grübelte, das Herze schwer,
Und ich nickend kaum noch wachte,
Plötzlich ich zu hören dachte
Klopfen an der Thür es sachte.
“Ein Besucher ist es, der
Angeklopft!” so sagt’ ich murmelnd,
“Ein Besucher ist es, der
Klopft, – nur dies – und sonst nichts mehr.” –
O mir dünkt noch völlig klar es –
In Decembers Bleiche war es –
Sterbend jeder Aschefunken
Malte Geister rings umher;
Heiß ersehnte ich den Morgen,
Denn umsonst strebt’ ich zu borgen
Aus den Büchern Trost für Sorgen
Um Lenore, die nicht mehr;
Um das strahlend holde Mädchen,
So genannt im Engelheer –
Hier einst namenlos so sehr. *)
Und das dunkle, traurig-milde
Rauschen seidnen Vorhangs füllte
Mich mit Schauer, mit phanthast’schem
Grausen, nie gefühlt vorher;
So daß, meines Herzens Schlagen
Zu besänft’gen, ich mit Zagen
Wiederholte: “Anzufragen,
Ob nicht unwillkommen er,
Klopft noch später ein Besucher,
Ob nicht unwillkommen er,
Einlaß wünschen – sonst nichts mehr!”
So mein Herz zur Ruhe bracht’ ich –
Und nich länger zögernd sagt’ ich:
“Monsieur oder Madame – wahrlich,
Um Vergebung bitt’ ich sehr;
Doch die Wahrheit ist, ich wachte
Kaum noch recht, – und so ich dachte,
Da ihr klopftet nur so sachte,
Mich getäuscht hat mein Gehör!”
Drauf die Thüre öffnet’ weit ich –
Ja – mich täuschte mein Gehör –
Nacht war draußen – sonst nichts mehr!
Tief dann in das Dunkel schauend,
Stand ich lange, staunend, grauend,
Zweifelnd, träumend, wie noch nimmer
Sterblicher gewagt vorher;
Aber Nichts brach’s tiefe Schweigen,
Und das Dunkel gab kein Zeichen;
Nur “Lenore” klang’s im weichen
Flüsterlaute leis daher.
Ich sprach selbst es, und ein Echo
Klang “Lenore!” leise daher –
Einzig dies – und sonst nichts mehr!
Mich zurück in’s Zimmer ziehend,
Meine Seele tief erglühend,
Hört’ ich wieder bald ein Pochen,
Etwas lauter, als vorher.
“Sicher, sprach ich, ist es, daß es
An das Fenster klopfte, – lass’ es
Darum mich erforschen, was, –
Schweig’, mein Herz, daß ich erklär’
Dies Geheimnis, nur ’ne kleine
Weile, daß ich es erklär’,
’s ist der Wind – und sonst nichts mehr!”
Oeffnet’ drauf ich’s Fenstergatter,
Als in’s Zimmer mit Geflatter
Stattlich schritt herein ein Rabe
Aus vergangen Zeiten hehr;
Nicht zum Gruß sich beugt’, noch bog er,
Keinen Augenblick verzog er,
Nein, vornehmer Miene folg er
Ueber meine Thür’, wo er
Saß, auf einer Büst’ der Pallas,
Grad’ ob meiner Thür’ wo er
Saß sich spreizend – sonst nichts mehr.
Und der nächt’ge Vogel machte,
Daß mein trübes Herze lachte
Ueber’s würdige Decorum
Seiner Mien’, gedankenschwer.
“Ob gestutzt dir, sagt’ ich, immer
Sei der Kamm, bist du doch nimmer
Ater Rab’, gespenstisch grimmer,
Zieh’nd vom nächt’gen Strande her;
Sag’, welch’ stolzen Namen trägst du
Vom Pluton’schen Strande her?”
Sag’, welch’ stolzen Namen trägst du
Vom Pluton’schen Strande her?”
Sprach der Rabe: “Nimmermehr!”
Ob des täpp’schen Vogels war ich,
Sehr erstaunt, als also klar ich
Hört’ ihn sprechen, ob die Antwort
Dunkel auch, bedeutungsleer;
Denn ich mußte mir gestehen,
Wie es wohl noch nie geschehen,
Daß ein Sterblicher gesehen
Solchen Vogel, steift und hehr,
Sitzend auf der Büste über
Seiner Thüre, steif und hehr,
Der geheißen: Nimmermehr!
Doch der Rabe, dort alleine,
Einsam sitzend, sprach das eine
Wort nur, als ob seine Seeele
In dies Wort gegossen wär’;
Weiter Nichts hervor er brachte,
Kein Geräusch’ ’ne Feder machte,
Bis ich, kaum gemurmelt, sagte:
“Andere Freunde floh’n vorher!
Morgen wird er mich verlassen,
Wie mein Hoffen mich vorher!”
Sprach der Rabe: “Nimmermehr!”
Ich erschrak, als war gebrochen
Durch das Wort, so klar gesprochen,
Jetzt die Stille: “Sicher, sagt’ ich,
All sein Vorrath ist’s, den er
Aufgeschnappt bei einem armen
Meister, welchem ohn’ Erbarmen
Unglück folgte, bis des Armen
Lieder mit dem Wort, so schwer,
Schlossen all, und seines Hoffens
Grablied mit dem Wort, so schwer,
Schloß mit: Nimmer-Nimmermehr!
Doch da stets der Rabe machte
Daß mein krankes Herze lachhte,
Alsogleich mit meinem Polster
nach der Thüre macht’ ich Kehr;
Dann auf’s Ksiten nieder sank’ ich,
Träume so an Träume schlang ich,
Und vertiefend mich, dacht’ lang ich,
Was der Vogel ungefähr,
Der gespenst’ge, hagre, grimme
Unglücksvogel ungefähr
Meine, krächzend: Nimmermehr.
Also grübelnd, sinnend lag ich;
Doch kein Wort zum Vogel sprach ich,
Dessen feur’ge Augen brannten
Mir in’s tiefste Herz – und scher
Von Gedanken, ließ ich neigen
Sich mein Haupt dann auf den weichen
Sammt des Kissens, dass der bleichen
Lampe Schimmer mich nicht stör’,
Auf den Sammt, darauf nicht stör’,
Sie ach, wird doch nimmermehr!
Dann schien süßer Duft zu mengen
Mit der Luft sich, als ob schwängen
Engel ein unsichtbar Rauchfaß,
Deren Fußtritt träte hehr;
“Armer! rief ich, Gott dir wendet
In den Engeln, dir gesendet,
Um Lenore; leer’ drum, leer’
Das Vergessens Trank – gedenke
Ihrer nimmer, leer’ ihn, leer!”
Sprach der Rabe: “Nimmermehr!”
Du Prophet, sprach’ ich, on’ Zweifel
Dies, ob Engel, oder Teufel.
Sprich, ob der Versucher sandt’ dich,
Ob dich Sturm hat von dem Meer
Einsam, aber ohne Zagen
An dies öde Land verschlagen,
In das Haus des Grams – und sagen
Sollst – o gibt es Trost im Gilead?
Sag’s getreu – ich bitt’ dich sehr!”
Sprach der Rabe: “Nimmermehr!”
Du Prophet, sprach ich, ohn’ Zweifel
Dies, ob Engel, oder Teufel,
Bei dem Himmer ob uns, bei dem
Gott, dem geben wir die Ehr’:
Künde dieses Herzens Bangen,
Ob in fernem Reich umfangen
Wird ’ne Maid all sein Verlangen.
Die “Lenore” im Engelheer
Heiß – sich strahlend holde Mädchen,
So genannt im Engelheer?”
Sprach der Rabe: “Nimmermehr!”
Sei dies Wort des Scheidens Zeichen!
In der Nacht Pluton’schen Reichen
Fort – zum Sturm, ob Vogel oder
Teufel, schrie ich, fort! und stör’
Meine einsamkeit nicht, – keine
Schwarze Feder, die an deine
Lüg’ gemahn’, laß’ hier, – alleine
Laß’ mich, – von der Büst’, o hör’
Fort mit dir! und deine Krallen
Nimmer aus meiner Brust, o hör!”
Sprach der Rabe: “Nimmermehr!”
Und der Rabe, wankend nimmer,
Sitzt noch immer, sitzt noch immer,
Auf der Pallas weißer Büste
Ueber meiner Thür’; – als wär’
Er ein Dämon, traumbefangen,
Scheint sein Aug’ – und seine langen
Schatten wirft die Lamp’ im bangen
Dämmer an der Wand umher;
Und mein Herz aus diesem Schatten,
Lagernd um mich dicht umher,
Wird sich heben – Nimmermehr!
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*) Im Original ist auch hier, wie in allen anderen Strophen, der Schlußreim more, nämlich evermore. Im Deutschen gibt es keine Reime mit “mehr” für immer, ewig, – und so wird die einzige Abweichung von der Form nicht zu streng beurtheilt werden. (Alexander Neidhardt)
Aus: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen
Elfter Jahrgang: Neunter Band (1856)
Braunschweig: George Westermann (1856) S. 185 ff.
Bildmaterial aus:
William F. Gill, The Life of Edgar Allan Poe (New York: W.J. Middleton, 4. Aufl. 1878)
Edgar Allan Poe, »The Raven« in der Übersetzung von Alexander Neidhardt.
Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
Ein Meisterwerk im Englischen, eine richtig harte Nuss für den Übersetzer ins Deutsche. Gut gelöst hat das meiner Meinung nach Anna Vivanti-Lindau, deren Übersetzung aber kaum jemand kennt. Ich habe mir dazu zum 175. Jubiläum des “Raben” mal Gedanken gemacht — siehe Link.
Herzlichen Dank, Tom, kannte ich tatsächlich nicht & werd ich mir definitv zulegen in dem Augenblick, in dem ich den Kopf aus dem Hintern der Genfer Abrüstungskonferenz 1932–34 bekomme, mit der ich gerade befasst bin. Der Falter sieht auch super aus. Hier der Link zu dem Shop von Ihrer Angetrauen für alle die’s interessiert: Halber Hahn. Sehr hübsche Sachen. Die Staedtler-Bleistift-Blechschatulle habe ich übrigens auch hier liegen; ist ja auch ein alter Nürnberger Betrieb & deren moderner Shop ist grade mal ein paar Meter von mir… Cheers, Bernhard