Stets auf der Suche nach einem halbwegs vernünftigen Einsatz von Fremdwörtern zwischen Übermaß aus dummer Selbstgefälligkeit und pathologischer, aus der Phobie geborener Deutschtümelei, sticht mir natürlich jede einschlägige Aussage zum Thema sofort ins Auge. Offensichtlich haben gegen den Mittelweg auch nur wenige etwas einzuwenden, die Frage ist nur, wo er bei dem einen oder anderen verläuft. Natürlich kocht der eine oder andere die sprachliche Problematik eher aus Prinzip in ein viel komplexeres Süppchen ein…
So hatten wir hier im Blog jüngst Heigelins Vorwort zu seinem Allgemeinen Fremdwörter-Handbuch für Teutsche von 1818, in dem er Turnvater Jahn zitiert:
Rabennachsprechen, Starmätzigkeit und Papageykunst entstellen kein Volk so sehr, als das teutsche, und unglücklicher Weise finden wir diese Misgeburten schön, wie manche Gebirgsleute ihre Kröpfe. — Klar, wie des Teutschen Himmel, fest wie sein Land, ursprünglich wie seine Alpen, und stark wie seine Ströme, bleibe seine Sprache!
Ich habe mal rasch nach dem Ursprung des Zitats gesucht und es in Jahns Werk Deutsches Volksthum gefunden, das 1810 erstmalig erschien. Wir befinden uns also mitten in der Zeit der Napoleonischen Kriege, zu einer Zeit, in der – nur um den Aussagen etwas Perspektive zu geben – Deutschland des Öfteren ein Hauptkriegsschauplatz war.1
»In einer Sprache wird man nur groß. Homer und das ganze mustergültige Alterthum, Ariosto, Tasso, Cervantes und Sheakespear verplapperten gewißlich nicht ihre Muttersprache in fremden Wörtern. Sprechen ohne Sprache; Sprachen können und doch keine einzige in seiner Gewalt haben; wissen, wie Brot in allen Sprachen heißt, es aber in keiner verdienen; Rabennachsprechen, Staarmätzigkeit und Papagyenkunst – entstellen kein Volk so sehr, als das Deutsche, und unglücklicher Weise finden wir diese Mißgeburten schön, wie manche Gebürgsleute ihre Kröpfe. Unsere Affenliebe für fremde Sprachen hat lange schon Windbeutel, Aufblasefrösche und Landläufer wichtig gemacht; in den fremden Sprachlehren gefährliche Kundschafter ins Land gezogen; durch die Immerzüngler und Näseler unser biederherziges Volk verdorben, unsere sinnigen Weiber verpuppt. Fremde Sprachen sind für den, der sie nur aus Liebhaberei und Plappermäuligkeit treibt, ein heimliches Gift, Cato’s Ausjagen der Griechischen Sprachmeister aus Rom ist selten richtig verstanden. In einer fremden Sprache wird man vor einer Anstößigkeit schon weniger roth, und in manchen klingen die Lügen sogar schön. Wenn der Türkische Sultan etwas Türkisch verspricht, dann ist Verlaß auf sein Wort, zum Betrug und zur Worttäuscherei entweiht er die Muttersprache nicht. Dazu wählte er fremde, am Liebsten Französisch, und würde schon bei einer Nothlüge in Verlegenheit kommen, wenn er diese nicht bei Zeiten lernte. Klar wie des Deutschen Himmel, fest wie sein Land, ursprünglich wie seine Alpen, und stark wie seine Ströme, bleibe seine Sprache. Sie lerne der Schriftsteller und Redner stimmen, wie der Tonkünstler das Werkzug, auf dem er Wohllaut hervorzaubert.«2
Der etwas jüngere Schopenhauer,3 immerhin ein Zeitgenosse, sieht das alles weniger verbissen:
Bisweilen auch drückt eine fremde Sprache einen Begriff mit einer Nüance aus, welche unsere eigene ihm nicht giebt und mit der wir ihn jetzt gerade denken: dann wird Jeder, dem es um einen genauen Ausdruck seiner Gedanken zu thun ist, das Fremdwort gebrauchen, ohne sich an das Gebelle pedantischer Puristen zu kehren.
Hierzu fällt mir eine andere Stelle aus demselben Abschnitt ein, der eine besonders nette, wie ich finde, Prägung enthält:
Diese allmälige Degradation ist ein bedenkliches Argument gegen die beliebten Theorien unserer so nüchtern lächelnden Optimisten vom “stätigen Fortschritt der Menschheit zum Besseren”, wozu sie die deplorable Geschichte des bipedischen Geschlechts verdrehen möchten; überdies aber ist sie ein schwer zu lösendes Problem.
Die »deplorable Geschichte des bipedischen Geschlechts« – so was vergisst man so schnell nicht wieder. Aber nur um der schönen Formulierung kurz auf den Zahn zu fühlen. Schlagen wir bei Heigelin (1838) »deplorabel« nach, so finden wir als deutsche Lösungen dafür »kläglich, beklagens‑, beweinenswert«. Ganz ehrlich gesagt, so nett ich die Formulierung – nicht zuletzt des Fremdwortes wegen – finde, ich bräuchte es hier eigentlich nicht; »kläglich« scheint mir vorzüglich zu passen; das mir bislang nicht geläufige »beweinenswert« böte gerade der heutigen Seltenheit dieses Wortes wegen einen prima Ersatz. Es macht die Formulierung nicht weniger exotisch.
Übrigens führt Heigelin auch das Verb »deplorieren« (beklagen, beweinen) auf, dessen Einsatz mir tatsächlich – von meinem heutigen Standpunkt aus – als übertrieben erscheinen würde; noch schlimmer die »Deploration« (Beklagung, Beweinung), die definitiv unter Heigelins Kategorie des »Sprachkehrigs« fallen würde. Nur gaudihalber schlagen wir auch mal bei Petri (1852) nach und finden und »deplorabel« »bejammernswerth«; für »Deploration« hat er »Bejammerung, Beklagung, Beweinung« und für »deploriren« »bejammern, beweinen, beklagen«.
Und wie ist es um »bipedisch«bestellt? Nun, Petri hat »Biped« als »zweifüßiges Thier« und entsprechend »bipedisch« als »zweifüßig«. Die beiden hat Heigelin leider übersehen. Aber sei’s drum, Schopenhauers »zweifüßig« erscheint mir etwas merkwürdig, weil es über den Füßen die Beine zu vergessen scheint. »Zweibeiner« bzw. »zweibeinig« wäre mir lieber gewesen. Aber weder ein »zweifüßiges«, noch ein »zweibeiniges Geschlecht« wollen so recht zünden; ich denke mal, dass hier der Witz ins Spiel kommt; etwas anderes als »bipedisch« würde der Wendung diesen wohl nehmen. Was dem augenzwinkernden Einsatz von Fremdwörtern zwischen Luftgänsefüßchen um des Witzes willen entspricht, gegen den man nichts haben kann – gerade weil er den bierernsten Einsatz aus der Profilneurose heraus karikiert. Andererseits die »beweinenswerthe Geschichte des zweifüßigen Thiers« …
- Es würde den Rahmen dieser eher sprachlichen Betrachtungen sprengen, sich mit Jahns Hintergrund zu befassen. Das hat, weit besser, als ich es könnte, Knut Germar in seinem Artikel »Ein deutsches Ur-Muhen« in Bonjour Tristesse Nr. 8 (2/2009) gemacht. Nachlesen lässt sich das auf Materialien und Kritik. [↩]
- Zitiert nach der Ausgabe von 1817; die von Euler besorgte Werkausgabe ist jedoch lesbarer; orthographisch unterscheiden sich alle leicht voneinander, auch Heigelins Zitat. [↩]
- Arthur Schopenhauer (* 22. Februar 1788 in Danzig; † 21. September 1860 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Philosoph, Autor und Hochschullehrer. Er war der Sohn der Schriftstellerin und Salonière Johanna Schopenhauer und Bruder der Schriftstellerin Adele Schopenhauer. Schopenhauer entwarf eine Lehre, die gleichermaßen Ethik, Metaphysik und Ästhetik umfasst. Er sah sich selbst als Schüler und Vollender Immanuel Kants, dessen Philosophie er als Vorbereitung seiner eigenen Lehre auffasste. Weitere Anregungen bezog er aus der Ideenlehre Platons und Vorstellungen östlicher Philosophien. Innerhalb der Philosophie des 19. Jahrhunderts entwickelte er eine eigene Position des Subjektiven Idealismus und vertrat als einer der ersten Philosophen im deutschsprachigen Raum die Überzeugung, dass der Welt ein unvernünftiges Prinzip zugrunde liegt. [↩]