Mein Interesse an der Rapmusik geht letztlich auf meine Beschäftigung mit englischem Slang – insbesondere in seiner amerikanischen Machart – zurück. Und da das alles zu Zeiten vor dem allmächtigen Internet begann – nun, man musste damals die Mucke eben noch tatsächlich hören, um neue Wörter zu lernen. Man konnte sich nicht einfach – buchstäblich sang- und klanglos – auf Ohhla die einschlägigen Texte ziehen. Aber im Gegensatz zu allen meinen Bekannten in meinem Alter hat mir die Mucke nicht nur zum neuesten Slang verholfen, sie hat mir auch zunehmend gefallen.
Rap habe ich, wie vermutlich die meisten anderen hierzulande, zum ersten Mal bei Blondie gehört. Da mag jetzt mancher junge Gangsta nur müde lächeln. Aber dann hat er eben keine Ahnung, denn Blondies »Rapture« war nicht nur einer der ersten richtigen Rap-Tracks,1 die putzige Debbie Harry hat in dem Song die Hiphopkultur in ihren Anfängen auch gleich erklärt. So wie sie ihr wiederum damals kein geringerer als Fab 5 Freddy erklärt hatte:
Fab Five Freddy told me everybody’s fly
DJ spinning, I said “My my”.
Und das war 1980. Selbst in New York wusste da noch lange nicht jeder Bescheid, was es mit dieser neuen Subkultur auf sich hatte. Ich habe das damals aber noch gar nicht so ernst genommen; um da so recht dran zu bleiben, war ich denn doch schon zu alt. Der entscheidende Schritt dann war Colors, Dennis Hoppers Film um zwei Polizisten in der Bandenwelt von Los Angeles von 1988. Die Mucke in dem Streifen war aufregend. Gelinde gesagt. Da bin ich nächsten Tag zu WOM, das hatte ich damals direkt neben mir, und habe mir den Soundtrack gekauft. Ich höre ihn heute noch. Und von da hatte man denn auch Namen, um weiter zu hören. Big Daddy Kane, Eric B. and Rakim, Salt-n-Pepa und vor allem Ice‑T…
Soweit die eine Seite. Die andere, die ältere Seite meiner Interessen ist die schwarzamerikanische Literatur. Mit der habe ich mich spätestens während des Amerikanistik-Studiums befasst, also in den 1970er-Jahren. Ich habe eben eines der vielen Bücher wieder gefunden, die ich damals zum Thema gelesen habe: Edward Margolies’ Native Sons. Das war 1968 herausgekommen. Und im ersten Kapitel heißt es darin:
Während der letzten dreißig Jahre ist ein Korpus von Literatur amerikanischer Negerautoren entstanden, der nicht nur von beträchtlichem künstlerischem Wert ist, sondern darüber hinaus gnadenlos die Richtung entlarvt, in die sich die Subkultur des ›nicht assimilierten‹ Negers zu entwickeln scheint. Das Bild, das sich bietet, ist alles andere als schön, noch sind die Aussichten optimistisch, da die Revolution in der Haltung des Negers, eine Folge dieser Literatur, ungeachtet der Flut an neuen Bürgerechten und anderen Verbesserungsmaßnahmen zur Beschwichtigung der Armen, bislang unter der breiten amerikanischen Masse noch keine adäquate Antwort gezeitigt hat. Was hier letztlich auf dem Spiel steht, ist die künftige Entwicklung der amerikanischen Kultur, denn kommt es nicht zu einer umfassenderen Angleichung der Ansichten zwischen weißen und schwarzen Amerikanern, dann werden weitere Unruhen unter der Bürgerschaft von der Art folgen, wie das Land sie seit einigen Jahren kennt.
Nun hat mich das erscheinen der Rap Anthology, die ich neulich hier vorgstellt habe, an diese – und ähnliche – Passagen erinnert. Was ist seit den 1960er-Jahren in dieser Hinsicht passiert? Die schwarze revolutionäre Bewegung wurde erfolgreich niedergeschlagen bzw. im Keim erstickt. Die Literatur seither hat daran und auch an der Situation des amerikanischen Schwarzen nichts ändern können. Sie scheint sich damals aufgespalten zu haben in eine für alle Rassen genießbare Hochliteratur für Buchhändlerinnen und Lehrer und eine Exploitation-Literatur, die außer schwarzen Ghettobewohnern und vielleicht einigen weißen Hipstern niemandem etwas zu sagen hatte und die, wenn man von den Übersetzungen ausgehen darf, auch keine weitere Verbreitung fand. Der Schwarze blieb letztlich arm und unsichtbar wie Ellisons Invisible Man.2
Geändert im großen Stil hat sich daran erst etwas mit dem Aufkommen einer neuen Art von Musik und der mit ihr einhergehenden »Literatur« von Songtexten; ich spreche von Hiphop und seiner Subspezies Rapmusik und hier wiederum insbesondere vom Gangsta-Rap. Letzterer hat, und ich spreche hier sowohl von der Rezeption in der weißen Vorstadt als auch von der im weißen Ausland, zu einem ganz neuen Bild und zu einem ganz neuen Ansehen des amerikanischen Schwarzen geführt. Eine Angleichung der Ansichten zwischen schwarz und Weiß?
Margolies schreibt 1968 zu Richard Wrights bahnbrechendem Roman Native Son (1940):
Wrights Darstellung eines scheinbar apathischen jungen Taugenichts aus den Slums mit einem obsessiven Hass auf Weiße erwies sich als bestürzende Offenbarung selbst für den liberalsten unter seinen weißen Lesern – die Neger, wenn überhaupt, wohlmeinend als Menschen wie sich selbst sahen, nur eben mit schwarzer Haut. Womöglich noch schockierender war Wrights augenscheinliche Ansicht, die brutalen Morde, die Bigger3 als rituellen Ausdruck seines Hasses begeht, seien letztlich nur logische Folge seiner absurden Stellung im amerikanischen Leben. Selbstverständlich hieß Wright Gewalt nicht für gut, aber die Alternative, für die Mehrheit der Neger in den Slums, so sagte er, sei das stumme Ergeben in ein entmenschlichendes Schicksal. Darüber hinaus bestürzte Wright weiße (wie schwarze) Leser dadurch, als Hauptfigur den stereotypen »Nigger« zu nehmen (der Name Bigger ist ein Hinweis darauf), dessen Verbrechen gegen ein weißes Mädchen verschwommen sexuell motiviert ist. Einige Leser konnte es nicht fassen: Warum sollte ein Negerautor den paranoiden Phantasien rassistischer Extremisten in die Hände spielen.
Sie sehen die Parallelen? Alles an dem, was Rap zum weltweiten Durchbruch verhalf, und das war nun einmal die Gangster-Variante, war letztlich die Bestätigung negativer Klischees vom amoralischen, geilen, gefährlichen Nigger! Sicher hat das assimilierte schwarze Bürgertum unter Führung von Cosbys liebenswerten Huxtables an Boden gewonnen, aber hätte Ruthie die weiße Jugend Amerikas, ja, die weiße Jugend der ganzen Welt dazu gebracht, sich als Schwarze sehen zu wollen? Wie sollten etwa deutsche Vorstadtgymnastiasten ihr jugendliches Aufbegehren auf schwarze Biederkeit projizieren? Noch nicht einmal der alles andere als biedere Eddie Murphy als Beverly Hills Cop hatte zu dieser ganz neuen Akzeptanz der Schwarzen beim Mainstream geführt. Da mussten schon die schlimmsten Ausgeburten des Milieus – der Zuhälter- und Dealerkultur – kommen, um weltweit weiße Vorstadtjungs dazu zu bekommen, sich als Pimps gebärden zu wollen.
Sicher, es brauchte erst noch eine weiße Zwischenstufe, um die weltweite Explosion des Genres herbeizuführen. Aber ungeachtet der Tatsache, dass es eines schmächtigen weißen Kerlchens wie Eminem bedurfte, der – wie anno dunnemals Elvis – der schwarzen Musik zum endgültigen Durchbruch verhalf, Rap blieb im Grunde seines Wesens rabenschwarz. Anders als beim Rock ’n’ Roll sind allenthalben sind Schwarze zu sehen. Weiße sind die Ausnahme; Eminem war nur der Zünder.
Haben nun die Schwarzen das neue Geld, die neuen Firmen, das neue Ansehen der Bestärkung weißer Vorurteile gegen den gewalttätigen, gefährlichen Schwarzer zu verdanken, auf den weiße Kinder ihren Sturm und Drang projizieren konnten? Tatsache ist, dass erst mit der Rapmusik Milliarden auf schwarze Konten (und ich meine damit keine illegalen) geflossen sind. Tatsache ist, dass es nie so viele schwarze Unternehmer, seien das Labelbosse oder Klamottenhersteller, gegeben hat. Und Tatsache ist auch, dass Hiphop, eine ursprüngliche schwarze Subkultur, nach der Jahrtausendwende eine Einigung herbeigeführt hat, wie weder die schwarze Literatur der Jahrhundertmitte, noch Blues oder Soul sie zu schaffen vermochten.4 Und dass diese Einigung wie alles heute mit Kommerz zu hat …
Nehmen wir eine Erkenntnis aus der Werbebranche von 2005:
Einst ein städtisches Phänomen, überbrückt die Hiphop-Kultur bei der Gruppe der 12- bis 34-jährigen heute politische und ideologische Grenzen von den Maisfeldern Iowas bis auf die Straßen New Yorks. Sie ist die eine große einheitliche Kraft auf dem amerikanischen Markt. Früher eine Nischenstrategie, umfasst der Bergiff »urban marketing« heute die gesamte Zielgruppe junger Konsumenten, und einige der erfolgreichsten Marken haben das erkannt.… Die Erkenntnis, dass der Jugendliche auf der Suche nach einer Khakihose identisch ist mit dem jugendlichen Fan von Jay‑Z, führte zu einem gewaltigen Erwachen unter den großen Marken. Galt vor zehn Jahren Tommy Hilfiger als innovatives Label, so unterschreiben heute Riesen wie Proctor & Gamble, General Motors und Gap die Theorie, dass man das Herzland auf dieselbe Art wie die Kids im Ghetto erreicht.5