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Staats­macht alt und neu

Hier nun der zwei­te Teil des Abschnitts über Wil­liam Blakes Zusam­men­stoß mit der Staats­macht, hin­ter dem sein Bio­graph Ches­ter­ton1 eine Ver­schwö­rung vermutet.

Wenn Ches­ter­ton nicht aus­schlie­ßen möch­te, die Staats­macht könn­te den Jako­bi­ner Bla­ke im Zuge der im Gefol­ge der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on über Eng­land her­ein­ge­bro­che­nen Schre­ckens­herr­schaft pro­vo­ziert haben, so soll das frei­lich nicht hei­ßen, dass ich die Ver­schwö­rungs­theo­rien um die Anzei­ge gegen Juli­an Assan­ge unter­schrei­be. Jeden­falls nicht was die bei­den betrof­fe­nen Frau­en angeht. Nur dass ein inter­na­tio­na­ler Steck­brief wegen eines Delikts, das sonst noch nicht ein­mal eine Mel­dung im Stadt­an­zei­ger wert gewe­sen wäre, auf die Über­le­gen­heit der Staats­macht über das Prin­zip der Rechts­st­at­lich­keit weist. Und dass man in Ame­ri­ka an einem Gesetz labo­rie­ren soll, das aus der Wiki­leaks-Geschich­te im Nach­hin­ein einen Hoch­ver­rat zau­bern und dann rück­wir­kend gel­ten soll… Da müss­te man welt­weit Mil­lio­nen von Straf­ta­ten auf der Basis im Nach­hin­ein geschlos­se­ner Geset­zes­lü­cken ahn­den. Ich brau­che kein Anwalt zu sein, um sagen zu kön­nen, dass da Staats­macht am Recht zu dre­hen versucht.

Aber hier in mei­ner Über­set­zung die betref­fen­de Stel­le aus Ches­ter­tons Bla­ke:

Eines Mor­gens im August des Jah­res 1803 trat Bla­ke hin­aus in sei­nen Gar­ten und fand dort einen Sol­da­ten der Ers­ten Dra­go­ner im schar­lach­ro­ten Rock, der sich mit der zu­frie­denen Mie­ne des Besit­zen­den die Land­schaft besah. Bla­ke äußer­te den Wunsch, der Dra­go­ner möge den Gar­ten ver­las­sen. Der Dra­go­ner äußer­te – »unter zahl­rei­chen ab­scheulichen Flü­chen« – den Wunsch, Bla­ke die Augen aus dem Kopf zu hau­en. Mit ver­blüf­fen­der Behen­dig­keit stürz­te Bla­ke sich auf den Mann, bekam ihn mit den Ellen­bo­gen von hin­ten zu fas­sen und warf ihn aus dem Gar­ten wie einen Streu­ner. Der Mann, der wahr­schein­lich betrun­ken und zwei­fels­oh­ne über­rascht war, ent­fern­te sich unter vie­len Anwür­fen, jedoch kei­ner davon poli­ti­scher Art. Kurz dar­auf jedoch tauch­te er mit einer schwer­wie­gen­den Anzei­ge auf, Bla­ke habe bei die­ser Gele­gen­heit fol­gen­de – eher unwahr­schein­li­che – Wor­te geäu­ßert: »Zum Teu­fel mit dem König, zum Teu­fel mit sei­nen Unter­ta­nen, sei­nen Sol­da­ten, Skla­ven einer wie der ande­re. Wenn Bona­par­te kommt, dann heißt es Mord­bu­be gegen Mord­bu­be. Und ich wer­de ihm dabei hel­fen.« Der unpar­tei­ische Kri­ti­ker dürf­te zur Ansicht nei­gen, dass wohl kaum jemand den Atem hat, der­ar­ti­ge poli­ti­sche Gemein­plät­ze auszu­stoßen, wäh­rend er unter Gewalt­an­wen­dung einen Ange­hö­ri­gen der Leibd­ra­go­ner aus sei­nem Vor­gar­ten wirft; und nir­gend­wo fin­det sich ein Hin­weis dar­auf, dass der Vor­fall län­ger als eine hal­be Minu­te gedau­ert hät­te. Bla­ke hat den Mann mög­li­cher­wei­se, ja sogar höchst­wahr­schein­lich »zum Teu­fel« ge­wünscht, aber der Rest der Tira­de ent­sprang, so kann ich mir vor­stel­len, der Phan­ta­sie eines ande­ren. Aber auch wenn Blakes Bio­gra­phen den Fall als blo­ßes Miss­ge­schick deu­ten, ich kann mir kaum vor­stel­len, dass er das war. Es sind zu vie­le Zufäl­le im Spiel. War­um war der Dra­go­ner aus­ge­rech­net in sei­nen Gar­ten spa­ziert? War­um hat er sich nicht mit einem ande­ren Dich­ter ange­legt? Es scheint doch merk­wür­dig, dass der Mann mit der roten Müt­ze sich mit dem Mann im roten Rock her­um­zu­schla­gen hat­te. Es war eine Zeit der Tyran­nei, und Tyran­nei ist immer voll klei­ner Intri­gen. Es ist gar nicht ausgeschlos­sen, dass die Poli­zei, wie wir heu­te sagen wür­den, Bla­ke zu pro­vo­zie­ren ver­such­te. Aber es trat etwas auf den Plan, was in Eng­land mäch­ti­ger ist als selbst die Poli­zei. Hay­ley, nicht der klei­ne Hay­ley, der Autor der »Tri­umphs of Power«, son­dern der groß­mäch­ti­ge Hay­ley, der Land­jun­ker von Eart­ham und Bognor, erschien – mit dem zusätz­li­chen aris­to­kra­ti­schen Charme einer Jagd­ver­let­zung – vor Gericht. Er ver­tei­dig­te Bla­ke mit Groß­mut und gesun­dem Men­schen­ver­stand, an denen es sei­ner Klas­se in sol­chen Fäl­len sel­ten gebricht; und Bla­ke wur­de frei­ge­spro­chen. Die Bewei­se, so hieß es, sei­en unge­nü­gend; aber wäre Hay­ley nicht ein­ge­sprun­gen, sie hät­ten, wie ich mir den­ken könn­te, voll­auf genügt.

Soweit die klei­ne Par­al­le­le zu den jüngs­ten Vor­fäl­len um Juli­an Assan­ge, die mich eher bei­läu­fig bei der Ches­ter­ton-Über­set­zung ansprang. Wenn man sich klar macht, dass da einer nicht vor den Fol­gen einer pop­li­gen Anzei­ge davon­läuft, son­dern vor der Gefahr an eine Macht aus­ge­lie­fert zu wer­den, die nicht zurück­schreckt, zu den – eben­falls auf Wiki­leaks publik gemach­ten – Gräu­eln gegen Zivi­lis­ten zu ste­hen – in einem Ölkrieg, der ohne­hin auf einem Hau­fen Lügen basiert, dann ist die Par­al­le­le hin­sicht­lich Staats­macht und Ohn­macht des Ein­zel­nen nun sicher nicht an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen. Und dass man die Ankla­ge gegen Bla­ke nur durch Ein­schrei­ten eines Mäch­ti­gen fal­len ließ, ist auch nicht von der Hand zu weisen.

Eine schö­ne und aus­führ­li­che­re Schil­de­rung des »Fal­les Bla­ke« fin­det sich übri­gens in Edward Ver­rall Lucas’ High­ways and Byways of Sus­sex auf den Sei­ten 64ff. Die Über­set­zung von Ches­ter­tons Bla­ke ist als offe­nes Work in Pro­gress auf mei­ner Web­site »Über­set­zen als Hand­werk« zu verfolgen.

  1. Der maß­geb­li­che Bio­graph Wil­liam Blakes ist übri­gens Alex­an­der Gil­ch­rist, des­sen Life of Wil­liam Bla­ke (1863) zahl­rei­che Auf­la­gen und Aus­ga­ben erlebt hat. []

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