Manchmal muten einen Wörter einen komisch an, mitunter nur vorübergehend. Man zerkaut sie dann, lässt sie sich auf der Zunge zergehen, bis sie wieder normal zu werden scheinen. Bisweilen kommt ein Wort einem aber auch buchstäblich komisch vor. Man findet sie lustig, putzig. Was nicht eigentlich schlecht ist, aber solche Wörter sperren sich dann der allgemeinen unkomischen Verwendung. Ich denke da etwa an »nichtsdestotrotz«, das ist spaßig gemeint. Aber warum will mir, seit ich’s vor vielen Jahren gern in einer Übersetzung verwendet hätte (was ich dann aber doch wieder habe bleiben lassen). Ich denke an das gestandene deutsche Adverb »ärschlings« …
»Die Plumpen schlagen Rad auf Rad / Und stürzen ärschlings in die Hölle«, heißt es in Goethes Mephistopheles. Und in seinem Fastnachtspiel warnt ein »Teufelspfäfflein«, sie »müssten all ärschlings zum Teufel gehen, / Wenn wir nicht täten seiner Führung / Uns übergeben und geistlicher Regierung«. Das Wort »ärschlings« finde ich putzig. Und dann ist es ein Wort, das jeder Deutsche kennt oder wenigstens auf Anhieb verstehen dürfte. Und dennoch wird es anscheinend nicht so ernst genommen, wie ich es gerne hätte. Ist es tatsächlich einfach humorvoll bzw. wird heute so aufgenommen?
Wenn wir mal Klaus Kinski nehmen, der das Wort in seiner Biographie Ich brauche Liebe gleich mehrmals effektvoll zum Einsatz bringt:
Ich ziehe Helga das Kleid und die Schlüpfer aus und bewundere ihren jetzt ausgereiften Arsch, ihre zukünftigen Mutterbrüste und ihre schwere Pflaume lange im Mondschein, bevor ich sie ärschlings bespringe.
Das ist ja nun durchaus ernst gemeint. Oder benutzt er es, weil seine Autobiographien unverkennbar ein derb-vulgäres Element haben, das an die doppelrahmstufige Sprache eines Rabelais gemahnt?
In dessen eingedeutschtem Gargantua und Pantagruel es übrigens auch vorkommt, unser »ärschlings«:
Stochert’ sich die Zähn mit einem Holzschuh, wusch seine Hand in Fleischbrüh, strählt’ sich mit einem Humpen, setzt’ sich ärschlings zwischen zwei Stühl an die Erd, trank unter die Suppen, aß seinen Wecken ohn Brot, biß lachend, lacht’ beißend, leckt’ vorn, kratzt’ hinten, pißt’ gegen die Sonnen, versteckt’ sich ins Wasser vorm Regen, bespie sich
Das Wort nimmt sich aus wie geschaffen für eine solche Passage. In einer anderen Übersetzung, nämlich G.K. Chesterstons Der Mann, der Donnerstag war schreibt der Übersetzer Heinrich Lautensack:
Und mir war gerade, als ob die Gestalt vor mir verkehrt liefe, mit dem Rücken voran ärschlings liefe und dabei tanzte!
Hier scheint es mir durchaus ernst gemeint und fernab der vollfetten Mentalität eines Kinski-Rabelais. Warum mutet es mich hier komisch an?
Sollte eigentlich gar nicht sein.
Beim Altmeister umgangssprachlicher Wörterbuchkunst Heinz Küpper heißt es:
arschlings (ärschlings) adv. rückwärts. Nach dem Muster von »rittlings, blindlings u. ä.« gebildet. Seit mhd Zeit.
Wenn wir mhd mal mit der Wikipedia »zwischen 1050 und 1350« ansetzen, dann ist das Wort so alt wie nur irgendeines, das wir heute so in den Mund nehmen.
Und wenn wir ein bisschen in die deutschen Lande gucken, dann gibt es das Wort auch überall. Frischbier hat es in seinem Preußischen Wörterbuch von 1882:
ärschlings ( ä lang), adv., rücklings, rückwärts, mit dem Arsch vorauf. On mâkt, dat öck ärschlings ut de Körch rût kam. Volksl. 25 II, 8; S. 90. Man spricht auch êrlings.
In einem Gstanzl aus dem oberösterreichischen Mühlviertel heißt es:
Schneidn ma vürschling, schneidn ma arschling,
wann ma Holz schneidn, kriagn ma Schwartling
Peter Schels Sammlung zur Kulmbacher Mundart hat es ebenfalls:
ärschlings: rückwärts; vüürschlings: vorwärts »eds schedgg-më fest – gidd nix më ärschlings orre vüürschlings«
Im Erzgebirge kennt man es ebenfalls, wie das Fichtendeutsch-Wörterbuch mit »arschlings rückwärts« belegt. Barbara Suchner, Philologin und Schriftstellerin aus Breslau, hat es in ihrem wunderbaren kleinen Schlesischen Wörterbuch: ärschlich, ärschlings verkehrt, rückwärts, schief. Und Bornemann hat es in seinem monumentalen Werk Sex im Vollmund »ärschlings sex ugs rückwärts«, ganz im Sinne Kinskis nehme ich mal an, aufgeführt.
Der Philologie mit dem definitiv koolsten Namen, J. ten Doornkaat Koolman, hat es 1879 für sein Wörterbuch der ostfriesischen Sprache bei den Ostfriesen gefunden.
arschlings (rückwärts, verkehrt, umgekehrt), bayr. ärschling (rückwärts, verkehrt, umgekehrt) cf. Dietz unter rinculare etc. und bei Schmeller. unter arsch.
In Fischers Schwäbischem Wörterbuch heißt es aussagekräftig:
ärschlingen. ärschling(s); () Buck Adv.: 1. mit dem Arsch voran, rückwärts. Spec. von einem Stamm, der mit dem dicken statt dem dünnen Ende nach vorne sieht Sww. ein Stamm liegt ä. liegt verkehrt eb, – 2.“ärschling, auch schössling reiten, opp. g’rittling Ulm“ c. 1800. – B. 1, 148. Swz. 1, 467.
Und Fischer weist damit auch auf das, was »ärschlings« doppelt interessant machen sollten, nämlich die Bedeutung verkehrt rum. Und gerade hierin, deshalb der ganze Aufriss hier, sähe ich es gern für die Eindeutschung des amerikanischen Adverbs »assbackwards« oder – doppelt gemoppelt – »bassackwards«. Das ist genau das, man zäumt das Pferd beim Schwanz auf, spannt den Wagen vors Pferd, geht eben was völlig verkehrt bis deppert an.
Wäre vielleicht, wie so oft in der Sprache, eine Frage der Gewöhnung. Man müsste es öfter sehen …