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The pusher is a mons­ter… und ein Schieber

Man kann es nicht oft genug sagen: So rich­tig ler­nen kann man als Über­set­zer ab einem bestimm­ten Punkt nur von Über­set­zun­gen. Das genaue oder auch nur punk­tu­el­le Durch­ackern gedruck­ter Über­set­zun­gen anhand des Ori­gi­nals ist da die pro­ba­te Metho­de. Es spielt dabei auch gar kei­ne so gro­ße Rol­le, ob einem die betref­fen­de Über­set­zung bril­lant erscheint oder man­gel­haft, man wird Absatz für Absatz was für sei­ne eige­ne Arbeit mit­neh­men; wich­tig ist nur, dass man sich das abruf­bar merkt – am bes­ten in einer Daten­bank. Da kommt dann im Lauf der Jah­re eine wun­der­ba­re Fibel zusam­men. Mein jüngs­ter Fund kom­plet­tier­te mei­ne »Erkennt­nis­se« zu einem alten Song­text aus den 60er-Jahren.

Easy Rider barg sei­ner­zeit für mich zwei Para­do­xa, die ich nicht so recht auf­zu­lö­sen ver­moch­te, die jedoch in dem Gedan­ken auf- bzw. dar­in unter­gin­gen, dass das ja trotz­dem alles Gegen­kul­tur und damit völ­lig in Ord­nung war. Das eine war der Umstand, dass Wyatt und Bil­ly da ja eigent­lich gleich ganz am Anfang eine gro­ße Men­ge einer har­ten Dro­ge ver­hö­ker­ten. Das ande­re, es hat­te irgend­wie damit zu tun, bestand in dem fei­nen Unter­schied zwi­schen dem »Dea­ler« und dem »Pusher« in Step­pen­wolfs gleich­na­mi­gem Song.

The dea­ler for a nickel
Lord, will sell you lots of sweet dreams
Ah, but the pusher ruin your body
Lord, he’ll lea­ve your, he’ll lea­ve your mind to scream1

Im kon­kre­ten Sprach­ge­brauch ließ sich die­se Unter­schei­dung eher sel­ten nach­voll­zie­hen. So spricht Cur­tis May­field in einem der Songs sei­nes epo­cha­len Sound­tracks zu Super­fly vom »Pusher­man« als dem »nig­ga in the alley«, »your mam­ma«, »your dad­dy«, »your doc­tor« und »your main boy« ist,2 nicht eben Eigen­schaf­ten des Groß­händ­lers, son­dern eben genau das, was den klei­nen Dea­ler aus­macht. Aber wie gesagt, letzt­lich spiel­te das alles eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le, da das alles nicht »Estab­lish­ment« und auch sonst niet­na­gel­neu war.

Was mir damals auf­fiel, als ich »The Pusher« zu über­set­zen ver­such­te, war der Umstand, dass der »pusher« lin­gu­is­tisch doch eigent­lich nichts ande­res als unser »Schie­ber« war. Na ja, bis auf die »Kri­sen­zei­ten«:

Schie­ber 4. (ugs.) jmd., der [in wirt­schaft­li­chen Kri­sen­zei­ten] uner­laub­te, unsau­be­re Geschäf­te macht: Er war kei­ne gro­ße Figur auf dem Schwarz­markt, er war nur ein klei­ner S. (Hil­sen­rath, Nacht 52)3

Und zum dazu­ge­hö­ri­gen Verb weiß der Duden:

schie­ben 6. (salopp) gesetz­wid­ri­ge Geschäf­te machen, auf dem schwar­zen Markt mit etw. han­deln <hat>: Devi­sen s.; Auch schob sie über drit­te Hand Trak­to­ren­er­satz­tei­le gegen Frisch­ge­mü­se (Grass, Butt 638); mit Ziga­ret­ten, Kaf­fee, Rausch­gift s.; er hat nach dem Krieg gescho­ben.4

Da haben wir’s sogar: »mit Rausch­gift schie­ben«. Nicht dass das je einer so über­setzt zu haben scheint. Es geht um Dro­gen, im Dro­gen­mi­lieu ist Eng­lisch ange­sagt, damals wie heu­te, damals sicher noch mehr, da der Stoff haupt­säch­lich über die Ame­ri­ka­ner ins Land kam. Ande­rer­seits habe ich damals bereits prak­tisch kei­ne Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen mehr gele­sen, da mir die eng­li­sche Spra­che längst zur Obses­si­on gewor­den war. Es dau­er­te ein paar Jah­re, bis ich dann Über­set­zun­gen zu sam­meln und gegen ihre Ori­gi­na­le zu hal­ten begann. Ich hielt das Über­set­zen ja für einen ganz nor­ma­len Beruf, in dem man was wis­sen muss.5 Wie auch immer, ich mache das heu­te noch, Ori­gi­nal und Über­set­zung neben­ein­an­der zu hal­ten und durch­zu­ge­hen. (Lässt sich ’ne Men­ge ler­nen bei.) Und dabei stieß ich die­ser Tage auf fol­gen­den Satz:

Yet now Nif­ty Lou­ie was pushing a hea­vi­ly cut gra­de of mor­phi­ne and having his own trou­bles pushing it.6

Und in der deut­schen Über­set­zung hieß es:

Nun aber schob der Schnie­ke Lou­ie mit Mor­phi­um, einer gro­ben Qua­li­tät, und hat­te damit sei­ne eige­nen Sor­gen.7

Sehr inter­es­sant. In dop­pel­tem Sin­ne. Zum einen »pusht« der Schnie­ke Lou­ie (sehr schön!) sei­nen Stoff im grö­ße­ren Stil, wäh­rend sein nach­ge­ord­ne­ter Ver­käu­fer ein Blin­der namens Pig ist:

Yet now Nif­ty Lou­ie was pushing a hea­vi­ly cut gra­de of mor­phi­ne and having his own trou­bles pushing it. Whe­re he got it only the blind bum­my cal­led Pig, who pedd­led it for him, might have gues­sed. Pig never cared to guess. “How could I tell whe­re the stuff comes from when I can’t even see whe­re it goes?” he’d put it to Fran­kie. “It’s why I’m the pedd­ler, ‘cau­se I can’t see what the peo­p­le ‘r doin’.“8

bzw.

Nun aber schob der Schnie­ke Lou­ie mit Mor­phi­um, einer gro­ben Qua­li­tät, und hat­te damit sei­ne eige­nen Sor­gen. Wo er es aber her­be­kam, moch­te nur der alte Halun­ke, den die ande­ren das Schwein nann­ten, ahnen. Denn er ver­hö­ker­te das Zeug für ihn. Aber Schwein lag nichts dar­an, es zu ahnen. »Wie kann ich wis­sen, wo das Zeug her­kommt, wenn ich nicht ein­mal sehe, wohin es geht?« So hat­te er es Fran­kie erklärt. »Des­we­gen nimmt er ja auch mich zum Ver­hö­kern, weil ich nich’ sehe, was die Leu­te tun.«7

En net­ter Fund. Auch wenn der deut­sche Leser nicht so recht weiß, war­um Schwein nicht sehen soll­te, an wen er den Stoff ver­tickt, da bei der Über­set­zung das ent­schei­den­de Wört­chen »blind« unter den Tisch gefal­len und dar­aus »alt« gewor­den ist. Oder hielt man den »blind bum­my« – den »blin­den Wer­mut­bru­der« (bum­my = bum + rum­my) – tat­säch­lich für einen alten Halun­ken? Wie auch immer, auch etwas, was ver­mut­lich unter dem übe­ord­ne­ten Umstand auf­ging, dass es sich um einen Kult­ro­man han­delt; da wird das schon sei­ne Rich­tig­keit haben.

Das heißt jetzt nicht, dass wir heu­te in einem heu­ti­gen Text »pusher« mit Schie­ber und »push« mit schie­ben über­set­zen sol­len, mit­nich­ten, das gin­ge am zeit­ge­nös­si­schen Aus­druck vor­bei,  aber bewusst sein soll­te man sich die­ser Zusam­men­hän­ge allemal.

  1. Step­pen­wolf, »The Pusher« []
  2. Cur­tis May­field — Pusher­man []
  3. © 2000 Duden­ver­lag []
  4. © 2000 Duden­ver­lag []
  5. Ein Gedan­ke, der sich als fata­ler Irr­tum erwies in einer Bran­che, in der nicht der Fach­mann, also der Über­set­zer, son­dern der Ama­teur, der die Redak­ti­on besorgt, das letz­te Wort hat. []
  6. Nel­son Algren, The Man with the Gol­den Arm []
  7. Nel­son Algren, Der Mann mit dem gol­de­nen Arm; dt. von Wer­ner von Grün­au [] []
  8. Nel­son Algren, The Man with the Gol­den Arm []

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