Nicht dass meine kleine Ecke im Web zum offiziellen Schwindelblog werden soll, aber offenbar können Synonyme für »schwindlig« bei mir durchaus zum wohligen Taumel führen. Deshalb mit »schwiemelig« gleich ein weiteres schönes Wort, das – als »landschaftlich« gebrandmarkt – seinen Weg nicht so recht in Übersetzungen finden zu wollen scheint. Was schade ist. Ein weiteres Kapitel meines Plädoyers dafür, in Übersetzungen mehr gestandene Wörter und Wendungen aus deutschen Landen zu verwenden. Die Entwicklung ist eine uralte, also warum sich von dem engstirnigen Dialekt-Vorwurf aufhalten lassen, nur weil man im speziellen Fall vielleicht man ein paar Jahre vorne dran sein mag?
In Eike Schönfelds Neuübersetzung von Salingers Fänger im Roggen heißt es mal »Jedenfalls wollte ich, bevor ich zum Hotel kam, noch in so eine schwiemelige Bar«.1 Als Südstaatler war mir das Adjektiv nicht geläufig, aber es hat mir gefallen. Und ich habe mich seither immer wieder mal damit befasst. Und als ich dann irgendwann mal auf das schweizerische »trümmlig« stieß, ergaben sich da gewisse Ähnlichkeiten: wenn jemand von einer »trümmligen Type« spricht, so scheint mir das eine ähnliche Bedeutungserweiterung wie besagte »schwiemelige Bar«. Inwiefern?
Nun, wir hatten »trümmlig« in erster Linie als »schwindlig« definiert; das gilt auch für »schwiemelig«. Meine CD von Dudens Großem Wörterbuch der deutschen Sprache spuckt folgendes aus:
schwiemelig, schwiemlig <Adj.> (nordd. salopp): schwindlig: Es ward einem manchmal ganz schwiemelig (H.Mann, Unrat 132).2
Und mein noch größerer Grimm sagt folgendes:
schwiemelig, schwiemlig, adj. schwindlich, taumelnd, z. b. vom trunk, dann auch herumtreiberisch, trunksüchtig, betrunken; mir wird ganz schwiemlig, es schwindelt mir, ich verliere die besinnung (s. schwiemel); katzenjämmerlich: er sieht so schwiemlig aus. …3
Hier finden wir denn auch bereits einige der erweiterten Bedeutungen, katzenjämmerlich etwa, die einleuchten, wenn wir uns die Bedeutung des zugrundeliegenden Substantivs »Schwiemel« ansehen:
schwiemel, m. schwindel, bewusztlosigkeit, rausch, sehr verbreitet in der volkssprache des md. und nd. gebietes; vgl. schwiemeln und die übrigen unten angeführten bildungen: schwîmel, m. schwindel, taumel …; schwîmel, schwindel, ohnmacht, rausch … ; schwîmel, schwindel …; nd. swimel, schwindel, taumel …; schwindel, drehkrankheit der schafe, rausch … ; swimel oder swîmel, schwindel, ohnmacht, betäubung, taumel, rausch … ; swimel, schwindel … auch persönlich wie schwimeler, liederlicher herumtreiber, ausschweifender, trunkenbold: … Grein braucht das wort in edler sprache (dichtung der Angels. 1, 120. 122), eine solche verwendung ist ungewöhnlich; in der studentensprache in persönlichem sinne: wer nichts thut und keine vorlesungen besucht; wer von einer kneipe in die andere zieht; wer ordnung und ordentlichkeit nicht beachtet…3
Und dann werfen wir auch noch einen Blick auf das Verb:
schwiemeln, verb. schwindeln, taumeln .… swimmeln … scotoma, das schwimeln. … vertiginare, swymelen. … extasire, beswimelen. … nld. zwijmelen, dän. svimle. schwiemelen, vertigine laborare … schwimmeln, schwiemelen, animo linqui, sensu defici … das wort ist auf nd. und md. gebiete in der umgangssprache gebräuchlich, verliert indessen meist seine neutrale bedeutung und bezeichnet: im trunk taumeln, von einer kneipe in die andre ziehen, zechen, bummeln, sich liederlich herumtreiben, geschlechtlich ausschweifen: er schwiemelt überall, den ganzen tag herum; die nacht durchschwiemeln; er ist beschwiemelt, angeschwiemelt, betrunken, angetrunken (aber auch nd. beswimeln, beschwindeln, betrügen … ; sein geld verschwiemeln; er ist ganz verschwiemelt, verbummelt. verschwiemelt aussehen, verkatert, auch in schlimmerem sinne von wirkungen geschlechtlicher ausschweifung; solche ausdrücke sind besonders in der studentensprache häufig …
Wir können hier eine erhebliche Bedeutungserweiterung feststellen. Es gibt noch eine ganze Reihe von ähnlichen Wörtern, die wir uns hier schenken wollen, weil es wirklich nur um das Adjektiv »schwiemelig« geht. Jeder kann sie selbst im Grimm nachschlagen, seit er allgemein zugänglich im Web steht. Da tun sich unter schwiemen etwa interessante Beziehungen zum englischen to swim auf, das ja auch die Bedeutungen schwindeln hat. Wichtig ist hier nur die Aufforderung, das Adjektiv aus dem ach so verpönten »Dialekt« herauszuholen.
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SlangGuy’s Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
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Worum’s hier geht?
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- J. D. Salinger, Der Fänger im Roggen; dt. von Eike Schönfeld. Kiepenheuer & Witsch. Sehr gut! Besorgen Sie sich die ruhig mal, auch wenn Sie die alte Übersetzung noch im Regal haben. [↩]
- Duden — Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus [↩]
- Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. [↩] [↩]