Übersetzer sollten sich für ihre Sprache oder besser ihre Sprachen – es sind ja mindestens zwei – interessieren. Und das nicht nur weil man auf dem Laufenden zu bleiben hat, da, was man mal in der Schule oder im Sprachenstudium gelernt hat, erstens hinten & vorne nicht ausreicht und zweitens Ausgangs- wie Zielsprache sich ständig verändern. Nein, Interesse geht über derlei bloße Notwendigkeit hinaus. Es gehört dazu einen gewisse Neugier. Man hat das Bedürfnis, Wörter und Wendungen aufzuschrauben wie früher als Kind ein Spielzeugauto und dann wieder zusammenzusetzen, und das Schöne an der Sprache ist, dass man sein zerlegtes »Auto« auf vielerlei Weise wieder zusammenbauen kann. Wichtig ist dabei, dass man sich, was einem bei der täglichen Arbeit oder Lektüre so auffällt, notiert, um der Fundsache bei der nächsten Gelegenheit auf den Grund zu gehen …
Vielleicht liegt es an meiner grundsätzlichen Aversion gegen die ausufernde Verwendung des Genitivs bei der Übersetzung von »of«-Wendungen, wo die althergebrachte Tradition der deutschen Wortbildung völlig ausreichen würde, so etwa »die Treppe des Teufels« statt »Teufelstreppe« – warum nicht mal »Teufelsstiege«? –, wollte man in die Vollen gehen, zu schweigen von Schwachsinn wie »Songs der Liebe« statt »Liebeslieder« – selbst »Love Songs« wäre da noch besser gewesen – aus’nander, mit Bindestrich oder zusammengeschrieben, völlig egal. Wie auch immer, als ich neulich in einer Übersetzung »Pause des Schweigens« las, stellte sich mir das im ersten Augenblick einfach quer.
Da ich aber nun sicher nicht die letzte Instanz in Sachen deutscher Wendungen bin, habe ich – wie immer in solchen Fällen – erst mal in der Digitalen Bibliothek geblättert. Und tatsächlich, wider Erwarten fand ich es in den darin enthaltenen deutschen Werken fünfmal, wenn auch – für mein Sprachempfinden – nicht öfter, Gott sei’s gedankt, dreimal allein bei Karl May:
»Es entstand wieder eine Pause des Schweigens.«1
»zog er den Kopf zurück und wendete sich nach einer kurzen Pause des Schweigens an den Doctor«2
»Er setzte sich also mir gegenüber, und nun trat die Pause des Schweigens ein, welche bei jedem Bittbesuche geboten ist.«3
»Der Mönch schlug die Augen hellauf und erwiderte nach einer langen Pause des Schweigens mit fast unhörbarer Stimme«4
»und nach einer Pause des Schweigens wandte sie das Gesicht der Freundin entgegen und fragte«5
So richtig idiomatisch, so schließe ich mal daraus, ist »Pause des Schweigens« nicht. Was meine Fundstelle anbelangt, so stammt sie aus der Übersetzung von Donna W. Cross’ Roman Pope Joan: »Eine lange Pause des Schweigens trat ein.«6 Aber ein Blick ins Original zeigt mir, dass dort gar kein Genitiv steht: »There was a long pause.« Außerdem finde ich eine zweite Stelle im selben Text: »Nach einer kurzen Pause des Schweigens fragte Paschal…«7 Hier heißt es im Ausgangstext schlicht: »After a moment Paschal asked …«
Ich hätte im Englischen einen »of«-Genitiv erwartet – nicht dass an den Übersetzungen etwas auszusetzen wäre, außer dass ich »Pause des Schweigens« instinktiv nicht mag. Aber das kann ja durchaus mein ganz persönliches Problem sein, dem man Abhilfe schaffen kann. Es gibt einen langen Katalog von Wörtern und Wendungen, die ich mir mehr oder weniger mühsam angeeignet habe. Wie auch immer, vermutet hatte ich ehrlich gesagt »pause of silence«.
Was so abwegig gar nicht war und meine Satzdatenbank spuckt denn auch eine Reihe von Belegen dafür aus, und das quer durch die Literaturgeschichte, so etwa:
»In periods of political adversity, in the pauses of silence when the revolutionists issued no proclamations« Joseph Conrad, Nostromo.
»There was a long pause of silence, a cold silence.« D.H. Lawrence, Lady Chatterley’s Lover
»In a pause of silence among the cattle, he heard behind him, on the opposite shore of the channel, faint and far among the solitudes of the Islet of the Calf, a sharp, sudden sound« Wilkie Collins, Armadale
»There was a pause of silence, but the footsteps still advanced.« Wilkie Collins, The Woman in White
»A long pause of silence and then a single set of footsteps mounted the stairs.« Ruth Rendell, A Demon in My View.
»There was a pause of silence and then Doran said, ›That’s right.‹« Michael Connelly, The Narrows.
Interessanterweise wurde von diesen Beispielen »pause of silence« nur einmal mit »Pause des Schweigens« übersetzt:
»In periods of political adversity, in the pauses of silence when the revolutionists issued no proclamations«8 : »In den Pausen zwischen den politischen Kämpfen, in den Pausen des Schweigens, wenn die Rebellen keine Aufrufe erließen…«
Und in einem der Beispiele fehlt die Wendung ganz, was völlig in Ordnung ist:
»In a pause of silence among the cattle, he heard behind him, on the opposite shore of the channel, faint and far among the solitudes of the Islet of the Calf, a sharp, sudden sound, like the distant clash of a heavy door-bolt drawn back.«9 dt. : »Plötzlich hörte er außer dem fernen Brüllen des Viehs auf der Hauptinsel ein unvermutetes Geräusch hinter sich, am gegenüberliegenden Ufer, auf dem sogenannten ›Kalb‹ — ein hartes, metallisches Geräusch, als würde irgendwo ein schwerer Türriegel zurückgestoßen.«10
Mir persönlich am liebsten sind die folgenden Lösungen, bei denen deutlich wird, dass »Schweigen« oder »Pause« für sich völlig genügen, da ich mich des Gefühls nicht erwehren kann, dass »Pause des Schweigens« irgendwie doppelt gemoppelt ist.
»There was a pause of silence and then Doran said, ‘That’s right.’«11 dt. : »Darauf trat erst einmal kurzes Schweigen ein, bevor Doran sagte: »Das stimmt.’«12
»A long pause of silence and then a single set of footsteps mounted the stairs.«13 dt. : »Eine lange Pause und schließlich die Schritte eines einzelnen Menschen auf der Treppe.«14
»There was a pause of silence, but the footsteps still advanced.«15 dt. : »Es trat eine Pause im Gespräche ein, aber die Schritts kamen immer näher.«
Weitere Beispiele für »Pause des Schweigens« im Deutschen haben folgende Wörter bzw. Wendungen im Ausgangstext:
after a moment, interval of silence, long silence, minute of silence, pause, pause of silence, period of silence, silence, there was a pause.
Lassen Sie mich Ihnen zu diesen noch einige Beispiele zitieren:
»›It’s much better this way, don’t you think?‹ she said after an interval of silence.«
»›So ist das viel besser, meinen Sie nicht auch?‹ sagte sie nach einer Pause des Schweigens.«16
»and filled up an interval of silence by attempting to caress the canine mother«
»und füllte eine Pause des Schweigens mit dem Versuch, die Hündin zu streicheln«17
»that we have talked slowly through nights expecting the long silences and we have taken our time thinking the replies«
»wobei wir lange Pausen des Schweigens erwarteten und uns dann die Zeit nahmen, über eine Antwort nachzudenken.«18
»After a minute of silence, Hunt said, “Dev?«
»Und nach einer Pause des Schweigens sagte Hunt: ›Dev‹?«19
»There had been a longish period of silence when Charley finally said«
»Nach einer langen Pause des Schweigens sagte Charly schließlich«20
»There was a long period of silence.«
»Es folgte eine längere Pause des Schweigens.«21
Und nachdem ich der »Pause des Schweigens« nun vierzehn Tage lang nachgespürt habe, kann ich mich noch immer nicht damit anfreunden. Ob’s nun einfach doppelt gemoppelt ist oder einfach Quatsch wie die »Todesangst des Mitleids« oder ob ich den »des«-Genetiv grundsätzlich nicht mag, ich mag’s einfach nicht.
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Bücher zum Thema
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- Karl Mays Werke: Waldröschen. vgl. KMW-II.3, S. 645 [↩]
- [Karl Mays Werke: Der verlorne Sohn. vgl. KMW-II.16, S. 1320 [↩]
- Karl Mays Werke: Im Lande des Mahdi I. vgl. KMW-IV.9, S. 299 [↩]
- Gutzkow: Der Zauberer von Rom. vgl. Gutzkow-Zauberer Bd. 3, S. 145 [↩]
- Wassermann: Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens. vgl. Wassermann-Hauser, S. 407 [↩]
- Donna Woolfolk Cross, Die Päpstin. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Neuhaus [↩]
- Donna W. Cross, Pope Joan [↩]
- Joseph Conrad, Nostromo [↩]
- Wilkie Collins, Armadale. [↩]
- Wilkie Collins, Der rote Schal. Deutsch von Eva Schönfeld [↩]
- Michael Connelly, The Overlook. [↩]
- Michael Connelly, Die Rückkehr des Poeten. Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb [↩]
- Ruth Rendell, A Demon in My View [↩]
- Ruth Rendell, Dämon hinter Spitzenstores. Deutsch von Renate Steinbach [↩]
- Wilkie Collins, Die Frau in Weiß [↩]
- Raymond Chandler, Farewell My Lovely. Lebwohl, mein Liebling. Wulf Teichmann [↩]
- Emily Bronte, Wuthering Heights. [↩]
- Michael Ondaatje, Collected Works of Billy the Kid. [↩]
- John Lescroart, The Hunt Club. Das Gesetz der Jagd. [↩]
- Richard Brautigan — In Watermelon Sugar. dt. In Wassermelonen Zucker von Celine und Heiner Bastian [↩]
- King, Stephen — Four Past Midnight. dt. Nachts von Joachim Körber [↩]