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Deut­scher Slang à la 1892 (14)

Im Mosa­ik mei­ner Bemü­hun­gen, ein Bild des­sen zu ver­mit­teln, was wir – heu­te und his­to­risch – als »Slang« bezeich­nen, möch­te ich hier eine der ers­ten Samm­lun­gen vor­stel­len, die – nach eng­li­schem Vor­bild – unter die­sem Begriff für die deut­sche Spra­che zusam­men­ge­tra­gen wur­den. Die Ein­lei­tung die­ser Samm­lung ist eben­so inter­es­sant wie auf­schluss­reich. Sie ist außer­dem einer der ers­ten Bele­ge für die Aner­kennt­nis einer gesamt­deut­schen Umgangs­spra­che, an die wir im Augen­blick, dank des Inter­nets, in rasen­dem Tem­po letz­te Hand anzu­le­gen schei­nen. Ich per­sön­lich neh­me das Fol­gen­de als ers­tes Kapi­tel mei­ner Mis­si­on, mehr Umgangs­spra­che aus allen deut­schen Gegen­den bei der Über­set­zung aus Fremd­spra­chen zu verwenden.

Das Vor­wort zu Arnold Gen­thes, Deut­sches Slang habe ich bereits hier vor­ge­stellt. Ich möch­te im Lau­fe der nächs­ten Zeit die Samm­lung selbst vor­stel­len. Inter­es­sant dabei ist, dass Gen­the 1892 kaum ein Wort bzw. eine Wen­dung bringt, die wir nicht auch heu­te noch als soli­des Umgangs­deutsch bezeich­nen wür­den. Um der Samm­lung etwas mehr Gewicht zu geben, wer­de ich den einen oder ande­ren Ein­trag durch einen Blick in ande­re Wör­ter­bü­cher oder ins Inter­net aus­füh­ren bzw. kom­men­tie­ren. Das kann durch­aus dau­ern, schließ­lich muß ich das in Frak­tur gehal­te­ne Bänd­chen müh­sam abtip­pen, lässt sich aller­dings beschleu­ni­gen, wenn die Leser hier Inter­es­se an den ein­schlä­gi­gen Sei­ten haben…

Arnold Gen­the, Deut­sches Slang

Eine Samm­lung fami­liä­rer Aus­drü­cke und Redensarten
Straß­burg: Ver­lag von Karl J. Trüb­ner, 1892.

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[Sei­te 26]

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Kan­ten, m., 1. die bei­den enden eines Bro­des; 2. Red.: nach allen Ecken und Kan­ten hin = in jeder Rich­tung, in jeder Hinsicht.

Mir war bekannt, dass eine Per­sön­lich­keit ihre »Ecken und Kan­ten« haben & dass es »an allen Ecken und Kan­ten feh­len« kann, nicht aber die Wen­dung »nach allen Ecken und Kan­ten«. Da sie mir aber gefällt, habe ich sie mal gegoo­gelt – mit dem erstaun­li­chen Ergeb­nis, dass es gera­de mal neun Fund­stel­len brachte:

»Er such­te augen­schein­lich eine Stel­le, um sei­ne Dra­go­ner zum Angriff zu füh­ren. … So such­te er nach allen Ecken und Kan­ten zum Ein­bruch zu gelan­gen.« Det­lev von Lili­en­cron, Eine Som­mer­schlacht (1886)

»Born und ich haben jetzt das all­ge­meins­te ange­reg­te Hc-Modell nach allen Ecken und Kan­ten durch­ge­rech­net — … und fin­den, daß die Ener­gie sicher falsch her­aus­kommt.« Wolf­gang Pau­li, Wis­sen­schaft­li­cher Brief­wech­sel mit Bohr, Ein­stein, Hei­sen­berg u.a 

»Sie ste­hen aber auch in einem voll­stän­dig aus Stroh her­ge­stell­ten und schon halb wie­der ver­fal­le­nen pol­ni­schen Vieh­stall, durch den Wind und Wet­ter nach allen Ecken und Kan­ten hin­durch­zie­hen, …« Otto Wol­fi­en, Kriegs­ta­ge­buch 1914/15: Ers­ter Welt­krieg — Feld­post­brie­fe an sei­ne Frau

»›Dort­hin!‹ gebot Kos­man Theo­phil Ban­ning, deu­te­te mit sei­nem Stock auf einen gol­de­nen Anker, ließ eine herz­haf­te Lach­sal­ve über Fut­ter­krip­pe, Häck­sel und Hafer knal­len, daß davon die Spat­zen nach allen Ecken und Kan­ten aus­ein­an­der stö­ber­ten, und trat mit sei­nem Beglei­ter über die Schwel­le.« Joseph von Lauff, Der Pre­di­ger von Alde­kerk (1926)

»Er hat nun das deut­sche Vater­land an vie­len Ecken und Enden ken­nen gelernt. Er kennt Ber­lin, Leip­zig, Mün­chen und das süd­deut­sche Hoch­ge­bir­ge.« Adal­bert von Han­stein, Das jüngs­te Deutsch­land (1900)

»Jeder ein­zel­ne hat Ideen, Sie und ich. Wich­tig dabei ist eine poli­ti­sche Kul­tur, die es uns erlaubt, die­se Ideen in die Arbeit der Gre­mi­en auch ein­zu­brin­gen, ohne dass jede Idee bereits vor­ab nach allen Ecken und Kan­ten abge­sucht und durch­ge­prüft wur­de.« RASENGRÄBER Bür­ger­meis­ter infor­miert in Glas­hüt­ten über poten­zi­el­le Alter­na­ti­ve, Kreis-Anzei­ger vom 16. April 2014.

Immer­hin ist dar­un­ter auch ein zeit­ge­nös­si­sches Zitat; und noch drei aus der Schweiz:

»Mei­ne Dar­le­gun­gen basie­ren auf mei­nen per­sön­li­chen und damit sub­jek­ti­ven Über­le­gun­gen und sind nicht stets nach allen Ecken und Kan­ten auf mög­li­che Spit­zen nach­prüf­ba­ren Wer­tun­gen aus­zu­le­gen.« Inter­view mit Dr. jur. Antoine F. Goet­schel, ehe­ma­li­ger Tier­an­walt Zürich, 8. März 2012 

»Und obwohl er die­ses Daten­ma­te­ri­al nach allen Ecken und Kan­ten aus­ge­leuch­tet hat, konn­te er nicht fest­stel­len, dass pro­fes­sio­nell geführ­te (gros­se) Pen­si­ons­kas­sen ihr Geld ertrag­rei­cher anle­gen als klei­ne.« Wer­ner Voto­bel, »Mehr Ren­te durch freie Wahl der Pen­si­ons­kas­se?« Blick, Publi­ziert am 19.10.2005 | Aktua­li­siert am 20.01.2012

»So wird denn zu guter Letzt die­ses Appen­zel­ler Land und Volk nach allen Ecken und Kan­ten ins rech­te Licht gerückt, …« Schwei­zer Schu­le, Band (Jahr): 29 (1942) Heft 14: Appen­zell I (PDF erstellt am: 12.11.2017). 

Ein Drit­tel »Ecken und Kan­ten« aus der Schweiz. Möcht ich jetzt nicht so mir nichts dir nichts Schlüs­se draus zie­hen… Die nächs­te Ein­trag bei Gen­the sieht wit­zi­ger­wei­se nach Schweiz aus, kommt aber mit­nich­ten von unse­ren Nachbarn:

Kan­to­nist, m., Red.: ein unsi­che­rer Kan­to­nist = ein Mensch, auf den man sich nicht ver­las­sen kann.

Der Duden weiß dazu:

Ein unsi­che­rer Kan­to­nist : Die Fügung bezieht sich auf die alte Ein­tei­lung Preu­ßens in Kan­to­ne, also in Aus­he­bungs­be­zir­ke. »Kan­to­nist« ist die ver­al­te­te Bezeich­nung für einen aus­ge­ho­be­nen Rekru­ten. Ein »unsi­che­rer Kan­to­nist« war also ursprüng­lich ein Rekrut, der sich der Ein­be­ru­fung zu ent­zie­hen ver­such­te. In der Umgangs­spra­che bezeich­net man als »unsi­che­ren« Kan­to­nis­ten jeman­den, auf den man sich nicht ver­las­sen kann, der wan­kel­mü­tig, unzu­ver­läs­sig ist: Der Ver­bin­dungs­mann gilt als ein unsi­che­rer Kan­to­nist. In Wil­ly Brandts Erin­ne­run­gen mit dem Titel »Begeg­nun­gen und Ein­sich­ten« heißt es: »Er ver­such­te unse­rem Gast bei­zu­brin­gen, dass die deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten für den Wes­ten unsi­che­re Kan­to­nis­ten sei­en« (S. 76). © 2002 Biblio­gra­phi­sches Insti­tut & F. A. Brock­haus AG

Der Begriff ent­spricht damit den »losen Kano­nen«, die augen­blick­lich – neben am Ende des Tages – als Lehn­über­set­zung bei uns grassieren.

kapern, v.tr., sich lis­tig und flink etw. nehmen.

kapo­res, kaput, a., ent­zwei, zer­bro­chen, rui­niert. (von Sachen); letz­te­res auch von Men­schen, z. B. : ich bin ganz kaput ermattet.

Kar­ree­te, f., alter Wagen.

kar­rio­len, v. int., sich eilig fort­be­we­gen; auch lau­fen, fah­ren, rei­ten; ursprüng­lich nur von fahren.

Käse­blatt, n., klei­ne, unbe­deu­ten­de Zeitung.

Käse­mes­ser, n., unförm­lich gro­ßes Taschenmesser.

käsig, a., blaß, bleich, von der Gesichtsfarbe.

Kas­ten, m., Arrest­lo­kal, Gefängnis.

Kater, m., bezeich­net den Zustand des Unwohl­seins, der die gewöhn­li­che Fol­ge von zu reich­li­chem Spi­ri­tuo­sen-Genuß ist.

Mora­li­scher Kater (gew. abge­kürzt “Mora­li­scher”, z. B.: er hat einen kolos­sa­len Mora­li­schen) ist das phy­si­sche Unbe­ha­gen, das man emp­fin­det infol­ge einer Hand­lung, die man bereut

Kat­ze, f., red.: das ist für die Kat­ze = zu wenig; er macht Gesicht, wie die Kat­ze, wenn’s don­nert = mür­ri­sches Gesicht.

katz­bal­gen, v. refl., sich zan­ken, bal­gen wie die Katzen.

Katz­bal­ge­rei, f., Schlägerei.

Kat­zen­jam­mer, m., das­sel­be wie Kater.

Kat­zen­kopf, m., leich­ter Schlag auf den Kopf.

Kat­zen­sprung, m., kur­ze Stre­cke, kur­zer Weg.

Kat­zen­wä­sche, f., ober­fläch­li­che Wäsche.

kau­fen, v. tr., sich jem. kau­fen = jem. zur Rede stel­len, ihm den Stand­punkt klar machen.

 

[page 27]

Kei­le, pl., Prü­gel; Kei­le Krie­gen, Prü­gel bekommen.

kei­len, v. tr., jem. zu etwas trei­ben, mit Gewalt oder durch Lockun­gen zu etwas herbeiziehen.

Kerl, m., sehr oft in gut­mü­ti­gem Sin­ne: ein net­ter Kerl, ein famo­ser Kerl etc.

kie­ken, v. int., xxx

Kiek­in­die­welt, m., jun­ger, uner­fah­re­ner Mensch.

Kies, m., Geld.

Kie­se­fretsch, kie­see­tig, m. u. a., wäh­le­risch im Essen; einer, der immer etwas aus­zu­set­zen hat am Essen.

Kin­ker­litz­chen, pl., 1. Klei­nig­kei­ten, Nipp­sa­chen, unnüt­zer Tand: 2. Albern­hei­ten, Kin­de­r­ein, Aus­flüch­te, Umschweife.

Kip­pe, f., auf der Kip­pe ste­hen, von einem Gegen­stand, der leicht fal­len kann; auch von zwei­fel­haf­ten Entscheidungen.

kip­pe­lig, a., unge­wiss, schwie­rig aus­zu­füh­ren, von Sachen, die leicht miß­lin­gen können.

Kis­te, f., Sache, Ding etc,. für jeden Gegen­stand, den man nicht näh­re bezeich­nen will.

kla­bas­tern, v. int., mit Gegen­stän­den der­art umher­wirt­schaf­ten, daß ein hef­ti­ges Gepol­ter ent­steht; sich abkla­bas­tern, v. refl., durch­kla­bas­tern, v. tr., rum­kla­bas­tern, v. in.

hier gefällt mir der Ein­trag im guten alten Grimm:

kla­bas­tern, ein merk­wür­di­ges volks­wort, das nach der ent­wi­cke­lung der bed. und den rei­chen neben­for­men alt sein musz.

Das erin­nert mich an die Defin­ti­on einer Socke in Johnson’s Eng­lish dic­tion­a­ry von 1775:

SOCK … Some­thing put bet­ween the foot and shoe.

kla­ckern, v. int., tröp­feln (s. beklackern).

Klacks, m., Fle­cken, Klecks.

Klad­de­ra­datsch!, interj., Aus­ruf, den Fall eines Gegen­stan­des bezeichnend.

Klap­pe, f., 1. Bett; in die Klap­pe gehen = zu Bett gehen; 2. der­ber Aus­druck für Mund: halt die Klap­pe = schweig’ still.

Fort­set­zung folgt …

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