Ich gehöre ja eigentlich nicht zu denen, die alle jüngeren Generationen für doofer halten als die ihre. Auf der anderen Seite kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass erfahrene Übersetzerkollegen für all den Mist verantwortlich sind, der einem gerade in Sachen »Übersetzung aus dem Englischen« Tag für Tag etwa aus den Zeitungen entgegenquillt. Geschweige denn aus dem Web. Und ich meine damit weder die privaten Übersetzungen irgendwelcher Web-User oder junger Leute auf dem einen oder anderen Forum. Ich spreche von unseren »offiziellen« Nachrichtenmedien, gestandenen Zeitungen, ARD und ZDF, Herrgottnochmal…
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Gerade musste ich wieder mal jemandem erklären, dass »wörtliche« Übersetzungen, und ich meine damit solche, die im Deutschen völlig unidiomatisch am englischen Wortlaut kleben, eben auch voll der Fehler sind, die den Anfänger auszeichnen. Man erkennt ihn daran, den Anfänger, den Amateur, den Gymnasiasten, der dem Lehrer zeigen muss, dass er die einzelnen Wörter drauf hat, weil der darauf lauert, mangelnde Wörtlichkeit zu ahnden, anstatt idiomatische Kreativität zu fördern. In anderen Branchen haben Laien in der Regel den Mund zu halten. Anfänger haben eine Lehre durchzumachen, sie haben sich zu beweisen, bevor sie mitreden dürfen. Wenn sie dann immer noch Schaden anrichten, fliegen Sie raus.
Beim Übersetzen ist das anders. Jeder, der mal am Gymnasium an ein paar Brocken Englisch vorbeigeschrammt ist, scheint dieser Tage – mehr denn je – kräftig mitzuhalten. Und wie das heute nun mal so ist, zählt seine Stimme offensichtlich genauso wie die eines Profis. Sie erreicht die Öffentlichkeit direkt und ungefiltert. In dem Augenblick nämlich, in dem so ein Dilettant für eine Nachrichtenagentur übersetzt, schwätzt der Rest des Blätterwalds seine haarsträubenden Fehler nach. In der Kfz-Branche würde so ein System zu Millionen von potthässlichen Autos führen, die schlicht nicht fahren. Beim Übersetzen wirkt hier das unfähigste Glied in der Kette stilbildend & an der Volksbildung mit.
Natürlich muss heute alles – mehr denn je – husch, husch gehen, aber war das bei Nachrichtenagenturen, auf die viele dieser Fehler zurückgehen, denn nicht schon immer so? Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es heute zum Lifestyle gehört, alles aus der Hüfte geschossen bringen zu müssen. Man braucht sich nur den Tsunami an politisch-korrekten Klatschen anzusehen, der Tag für Tag eine offene, demokratische Diskussion erstickt. Da macht einer den Mund auf, und schon entzieht man ihm mit der jeweils angesagten Meinung das Wort. Was das Stichwort ist: die jeweils angesagt Meinung. Es geht um hirnlose Machtausübung über andere, nichts weiter. Soll sich da keiner Illusionen machen, mit welcher Meinung diese politisch-korrekten Roboter einem »zwischen 33 und 45« das Maul gestopft hätten. Die PC-Klatsche gehört zum Lifestyle, wie seinen Kaffee partout im Gehen aus Plastikbechern trinken zu müssen & dabei über das Klima zu »diskutieren«. Diesen Leuten fehlt das Problembewusstsein. Und deshalb erwähne ich das hier. Weil zum Übersetzen in erster Linie Problembewusstsein gehört. Das Bewusstsein, dass der Satz vor einem womöglich nicht so einfach, so einschichtig ist, wie er sich auf den ersten Blick ausnimmt, dass überall ein doppelter Boden lauern kann.
Welchem Profi in aller Welt, um es anders zu formulieren, müsste man denn sagen, dass die Wörter unterschiedlicher Sprachen unterschiedliche Bedeutungen haben können. Und ich will Sie mir jetzt nicht mit semantischen oder Wortfeldern verprellen…
Der jüngste Fall von haarsträubendem Mist prangte mir dieser Tage von unseren tapferen alten Nürnberger Nachrichten entgegen. Unter der Überschrift »EU-Staaten weisen russische Diplomaten aus« lese ich da zu Beginn des zweiten Absatzes: »Moskau verurteilte den ›unfreundlichen Schritt‹ scharf und kündigte eine Reaktion von Präsident Wladimir … an.«1
Sie haben vermutlich verstanden, worum es hier geht. Ich spreche von der Übersetzung von »unfriendly move« mit »unfreundlicher Schritt«. »Unfreundlich« ist hier das Problem. Und wieder frage ich mich kopfschüttelnd: Bei all den Möglichkeiten, die das Web heute bietet, ein Wort nachzuschlagen. Will sagen, Sie brauchen ja noch nicht mal so doof zu sein wie ich und eine fünfstellige Summe für Wörterbücher auszugeben. Abgesehen davon dass in diesem Fall irgendeines der üblichen zweisprachigen Wörterbücher genügt hätte, die man als Übersetzer besitzen sollte.
Und um auf den Mangel an Problembewusstsein zurückzukommen: Irgendwie scheint uns Deutschen heute schlicht nichts mehr »komisch« zu klingen. Das sprachliche Empfinden scheint gelitten zu haben unter der Flut lausig synchronisierter Filme & Fernsehserien, die mit dem Aufkommen der »Privaten« über uns hinweggeschwappt ist. Seither probieren Synchronstudios ständig völlig unerfahrene Neulinge aus, weil die am billigsten sind. Was eigentlich Königsdisziplin sein sollte, wird von blutigen Anfängern besorgt, deren unidiomatisches Gestammel dann wieder stilbildend wirkt. Ein Teufelskreis.
Und der Fall von »unfriendly« ist symptomatisch für diesen Mangel an Problembewusstsein. Es ist ja nicht so, dass »unfriendly« ein neues Wort wäre, auch nicht in der Bedeutung, in der es hier verwendet wird.
Werfen wir doch einfach einen Blick in ein Wörterbuch. In diesem Fall in das fantastische Duden-Oxford Großwörterbuch Englisch. Passen Sie auf:
unfriendly adj. unfreundlich; negativ ; feindlich ; the bull looked unfriendly to him der Stier schien ihm feindselig [zu sein]2
Das nur als erste Anregung. Es gibt dazu natürlich mehr zu sagen. Wir sollten hier vermutlich mit »freundlich« anfangen. Was wir, wenn nichts Schlimmeres dazwischenkommt, das nächste Mal angehen wollen.
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