Kein Zweifel, dass Trumps Tweets den Kurswert des »Kurznachrichtendienstes« satt hat zulegen lassen. Und jetzt, wo Twitter ihm Zwitscherverbot erteilt hat, sackt er mal rasch wieder ab. Ich würde mal sagen, weniger weil Twitter die Demokratie zu retten versucht und Aktionäre so etwas gar nicht mögen – oder Demokratie ihnen grundsätzlich am Arsch vorbeigeht –, als zunächst einfach mal weil Trump nicht mehr dabei ist. Das macht Twitter wohl im selben Maße weniger attraktiv für Anleger, wie sein Beitritt bzw. sein Amtsantritt als Amerikas Chef-Twitterer die Aktie erst mal attraktiver hat werden lassen. Aber was sagt das über Aktionäre an sich?
Alle haben es mitbekommen, Twitter hat der Killer-Orange im Weißen Haus den digitalen Griffel weggenommen, mit dem sie seit vier Jahren Amerikas Wände mit Parolen zum Kampf gegen die Demokratie beschmiert – oder was dort noch davon übrig ist. Und seit seiner Abwahl gebärdet er sich wie ein Dreijähriger auf O‑Saft, der um fünf vor zwölf noch immer partout nicht ins Bett gehen will. Nur dass er im Gegensatz zu einem Dreijährigen eben tatsächlich zum Putsch aufrufen kann …
Ich weiß, selbst unser aller Mutti Angela findet Twitters Reaktion problematisch, weil sie ihr gegen das Prinzip der Meinungsfreiheit zu verstoßen scheint. Aber mal im Ernst – in einem Land, in dem J. Edgar Hoover Meinungsäußernde hat fertig machen lassen, in dem das FBI Unsummen ausgegeben hat, um einen John Lennon zu bespitzeln, der sogar in einem Song – das heißt sogar in zwei Versionen desselben – gesagt hat, er habe mit Revolution nichts am Hut? In einem Land, das Muslime, Schwarze und Mexikaner pauschal an die Wand seiner terrorhysterischen und rassistischen Hetze stellt?
Also ich weiß nicht, ob das Argument angesichts der Umstände in diesem Fall zieht. Aber es gibt da ja noch anderes zu bedenken.
In amerikanischen Filmen ist immer wieder das Beispiel zu hören: Fällt der Ausruf »Feuer! Feuer!« in einem vollen Kino unter freie Meinungsäußerung?
Die Frage wird stets verneint. Aber fällt denn nun der Aufruf zum Sturm auf Washington unter freie Meinungsäußerung? Zumal aus dem Munde des Präsidenten und obendrein eines Präsidenten, der die Uniformen des Landes hinter sich weiß? Und ich meine nicht nur die negermordende Polizei, sondern auch Washingtons Nationalgarde, die seinem Befehl untersteht. Es sind Menschen ums Leben gekommen bei der Aktion. Im rechtlichen Sinne, so ist von Fachleuten – vermutlich etwas überspitzt – zu hören, handelte es sich um einen Aufstand, einen Putschversuch, oder wie man das nennen will. Was jedenfalls hundertmal gegolten hätte, wäre da ein rein schwarzer »Mob« zugange gewesen. Man braucht sich doch nur anzusehen, wie die Polizei mehr oder weniger friedliche Demonstrationen von Black Lives Matter niedergeknüppelt hat. Man sehe sich nur das Aufgebot an Uniformen zum Schutz eines Denkmals – des Lincoln Memorial – an!
»Warum in aller Welt stand dieses vermummte Sinnbild amerikanischer Gewalt gegen schwarze Demonstranten nicht vor dem Capitol?«
Nicht nur stellt sich bei diesem Bild die Frage, warum ausgerechnet Schwarze einem Denkmal für Lincoln an die marmorne Wäsche hätten wollen sollen, es ist so offensichtlich, dass diesmal Trumps uniformiertes Gefolge keinen Finger krumm gemacht hat, um seine Anhänger davon abzuhalten, in den angeblich heiligen Olymp der amerikanischen Demokratie einzudringen.
Fallen Trumps einschlägige Tweets vor diesem Hintergrund unter Meinungsfreiheit? Ich meine, wenn der Mann steif und fest behauptet, man hätte ihn bei der Wahl beschissen, dann ist das zwar schlimm, aber sicher kein Grund, ihm das Konto zu sperren, aber nach dem was letzte Woche passiert ist?
Man muss sich da noch nicht mal gleich zu der Behauptung versteigen, Twitter versuche mit seinem Schritt die amerikanische Demokratie zu retten, aber angesichts des Geschehenen darf man doch wohl durchaus sagen, dass man Schlimmeres habe verhindern wollen.
Da zetert man nun all die Jahre über einen Mangel an Verantwortung bei Facebook, Twitter & Co., und wenn dann tatsächlich mal jemand was in diese Richtung tut, dann sieht man gleich einen Eingriff in die Meinungsfreiheit. Und während die Kanzlerin nur an der Richtigkeit des Schritts zweifelt, schreiten die Aktionäre gleich zur Abstrafung des Konzerns …
»Viele«, so heißt es beim Aktionär, »sehen darin einen Eingriff in die Meinungsfreiheit. Wenn Twitter konsequent bleibt, dann wird es in den nächsten Tagen und Monaten weitere prominente Accounts sperren. Das wiederum würde zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden führen.«
Wobei »wirtschaftlich« mit »finanziell« zu übersetzen ist. Twitter sperrt einem schlechten Verlierer das Konto, der mit seinen Tweets die Stimmung im Land bis zum Siedepunkt anzuheizen versucht, und anstatt zu applaudieren, sorgen die Anleger dafür, dass die Aktie abschmiert! Ich meine, dass Geld nicht stinkt, habe ich mein Lebtag bezweifelt, aber einem besseren Beleg für das Gegenteil ließe sich ja wohl nicht finden. Überspitzt gesagt: Könnte es einen besseren Beweis dafür geben, dass Leute mit Geld Gesindel sind? Man hätte ja auch in Form eines Runs auf das Twitter-Papier applaudieren können. Was natürlich sehr blauäugig ist, aber dass sich für das Aktionärsvolk daraus nur eine mögliche Konsequenz ergeben sollte: Rette sich wer kann! Vor so viel demokratischem Eifer vermutlich – womöglich müssten die armen Leute angesichts derart demokratischer Auswüchse ja mal damit rechnen, einen gerechten Anteil an Steuern für ihr mit Geld verdientes Geld zu zahlen.
Im Endeffekt sieht das freilich so aus: Die Twitter-Aktie sinkt, weil sie einem Psychopathen, der nach den zig Tausenden von Corona-Toten, die er zu verantworten hat, nun auch noch zum blutigen Sturm gegen die amerikanische Demokratie blasen zu müssen meint. Also ich für mein Teil hätte das Papier in dem Fall eher gekauft …