SlangGuy's Blog ...

Offen­bar ärge­re ich mich nun mal ein­fach gern – mit­nich­ten aber lie­be ich das

Mitt­ler­wei­le eine olle Kamel­le, sicher, aber die papier­ne Wen­dung »es nicht lie­ben, etwas zu tun« ist der Pro­to­typ, so könn­te man sagen, für das merk­wür­di­ge Ver­hält­nis zu unse­rer Mut­ter­spra­che, das sich in den letz­ten 30, 40 Jah­ren her­aus­ge­bil­det hat. Gan­ze Gene­ra­tio­nen schei­nen längst kei­nen Anstoß mehr zu neh­men an Sät­zen und Wen­dun­gen, bei denen man nicht mehr sagen könn­te, ob sie häss­li­cher als umständ­lich oder umständ­li­cher als häss­lich sind … 

Ich weiß, ich weiß, Sie alle lie­ben es längst, sagen wir mal seit den 1980ern, dies oder jenes zu tun, und den­ken sich nichts dabei, obwohl sie dies oder jenes auch schlicht, aber ergrei­fend nur gern tun könn­ten.
Was ist so schlimm an der Wen­dung, »etwas ger­ne tun«, dass man sich in so kom­pli­zier­te bis pott­häss­li­che Satz­ge­bil­de – wie etwa »Ich lie­be es nicht, ins Kino zu gehen« – flüch­ten zu müs­sen meint.

Nichts natür­lich, aber es wur­de nach Ein­füh­rung des Pri­vat­fern­se­hens und dem damit ein­her­ge­hen­den rapi­den Ver­fall der Über­set­ze­rei in den Syn­chron­stu­di­os eben Mode; man hör­te es eben in zahl­lo­sen Epi­so­den mehr schlecht als recht ein­ge­deutsch­ter US-ame­ri­ka­ni­scher TV-Seri­en.
Und da ward’s eben Mode.

So wie es Mode ward, auch in Knei­pe, Bar und Club sein Bier aus der Fla­sche zu trin­ken, als wäre man auf dem Bau. Als gin­ge es mehr um eine mehr oder weni­ger effek­ti­ve Alko­hol­zu­fuhr als um den Genuss. Aber man hat’s halt in ame­ri­ka­ni­schen Fil­men gese­hen, also muss es wohl schick sein, Par­don, hip. 

Und natür­lich ist die­se wört­lich aus dem Eng­li­schen gezerr­te Wen­dung nicht an sich schlech­tes Deutsch, bei­lei­be nicht, es gab sie ja durch­aus auch bei uns, ist sie doch in der Lite­ra­tur seit jeher gebräuchlich.

Wenn ich rasch mei­ne gelieb­te Digi­ta­le Biblio­thek 5 kon­sul­tie­re, was sich in sol­chen Fäl­len immer emp­fiehlt, spuckt die­se mir für »liebt es nicht«, was also »er« und »sie« und aller­hand ande­re Sub­jek­te mit­ein­schließt, 25 Fund­stel­len aus. Gar nicht so viel wie ich ange­nom­men hät­te. Und mei­ne Digi­Bib kann sich sehen las­sen.1 Das Prä­ter­itum »lieb­te es nicht« bringt es immer­hin auf 41 Fund­stel­len, »lieb­ten es nicht« dage­gen nur auf 3; »lie­ben es nicht« dage­gen wie­der auf 9, obwohl im fol­gen­den Zitat aus Char­lot­te Birch-Pfeif­fers Pfef­fer-Rösel der Plu­ra­lis Maje­s­ta­tis steht: »Steh’ auf, jun­ger Mann! wir lie­ben es nicht, daß man vor uns kniee, nur vor Gott gezie­met sol­che Demuth.2

Und wo ich das hier nun mal aus Spaß an der Freu­de mache, sehen wir doch ein paar Bei­spie­le an: 

»Die­se Art Mensch liebt es nicht, durch Feind­schaf­ten gestört zu wer­den, auch durch Freund­schaf­ten nicht; sie ver­gißt oder ver­ach­tet leicht. Es dünkt ihr ein schlech­ter Geschmack, den Mär­ty­rer zu machen; ›für die Wahr­heit zu lei­den‹ – das über­läßt sie den Ehr­gei­zi­gen und Büh­nen­hel­den des Geis­tes und wer sonst Zeit genug dazu hat (– sie selbst, die Phi­lo­so­phen, haben etwas für die Wahr­heit zu tun).«3

»Man demas­kiert sich dort oben ungern, noch weni­ger will man von andern demas­kiert wer­den, man liebt es nicht auf den Markt zu tre­ten, noch sei­ne pri­va­ten Ange­le­gen­hei­ten da aus­ge­bo­ten zu sehen; das ist begreif­lich.«4

»Das Volk lieb­te es nicht, daß man an der in ihm leben­den Über­zeu­gung mäke­le und feil­sche, und das­je­ni­ge, was es mit sei­nem Herz­blu­te geret­tet hat­te, blieb ihm teu­er, wenn man ihm auch den zeit­li­chen Ursprung des­sel­ben nach­wei­sen konn­te.«5

»Sie erblick­ten in sei­nem Erschei­nen durch­aus nicht einen Akt der Buße, denn sie lieb­ten es nicht und hiel­ten es für schmäh­lich — hier­in den grie­chi­schen Dra­ma­ti­kern ähn­lich — wenn eine erwach­se­ne Per­son ihren Cha­rak­ter wech­sel­te; sie trau­ten es dem Gene­ra­le zu, daß er kon­se­quent blei­be und reso­lut ins Ver­der­ben fah­re.«6

Selbst wenn wir eher lege­re Bei­spie­le wie die bei­den fol­gen­den dazu­neh­men, bleibt es eine papier­ne Wendung.

»Er liebt es nicht, um die­se Zeit gestört zu wer­den. Was hat er davon, wenn alle Frem­den kom­men, um sei­ne Sachen zu sehen, und dann wie­der gehen, nach­dem sie nichts als einen blo­ßen Dank gesagt haben!«7

»Denn die Frau liebt es nicht, wenn es gar so unper­sön­lich zugeht, und dar­in hat sie ja wohl auch recht.«8

Selbst wenn hier nicht Wör­ter wie »dün­ken« oder Kon­junk­ti­ve wie »mäke­le« das Niveau als eher lite­ra­risch mar­kie­ren, es bleibt gedruckt und damit papie­ren – oder sagen wir mal ein­fach so: dem Mann auf der Stra­ße kam sie wohl eher nicht über die Lip­pen. Und heu­te scheint sich Gabrie­le Mus­ter­mann nichts mehr dabei zu den­ken, wenn sie alles liebt.9

Unterm Strich: es han­delt sich bei all die­sen Fund­stel­len um »Lite­ra­tur« han­delt, ob man sie nun des­halb als ange­staubt ein­ord­nen mag oder nicht. Es ist »Papier­deutsch«, um nicht gleich »Amts­deutsch« zu sagen, das ist wie­der was ande­res, aber gera­de als Letz­te­res mutet es mich schon ihrer Umständ­lich­keit wegen an, wenn ich die Wen­dung im Gespräch, drau­ßen auf der Stra­ße oder was weiß ich wo höre. Und zuge­ge­ben, ihre Ver­brei­tung ist längst eine olle Kamel­le, aber deren epi­de­mi­sche Ver­brei­tung eben auch irgend­wie der Anfang vom Ende des Sprachgefühls …

So wie zwei­fel­haf­te Über­set­zer in den Syn­chron­stu­di­os seit Ein­füh­rung der Pri­va­ten« flei­ßig Raub­bau am Sprach­ge­fühl betrei­ben, so setz­te das Inter­net die­se lamen­ta­ble Tra­di­ti­on fort. Jeder begann selbst zu über­set­zen, die Hilfs­mit­tel schie­nen ja da zu sein, und stell­te sein Werk dann ins Web. Und Jour­na­lis­ten lei­der auch in die Zei­tung. Da wird aus­ge­zeich­ne­tes Deutsch geschrie­ben, aber kaum zitiert man einen Poli­ti­ker aus dem angel­säch­si­schen Raum, quatscht der plötz­lich ban­nig kariert oder gar wie ein Son­der­schü­ler. Und dann kamen die Robo­ter; sie läu­te­ten das Ende des end­gül­ti­ge ordent­li­chen Über­set­zens ein. Bei allem Stau­nen, ja bei aller Bewun­de­rung für ihre weit­ge­hen­de Treff­si­cher­heit, muss es doch mal gesagt wer­den: Sie schei­nen ins Deut­sche zu über­set­zen, sicher, ja, schon, aber nur weil es sich um deut­sche Wör­ter han­delt. Und stö­ren tut sich kei­ner mehr dran, weil sich das Sprach­ge­fühl, der sprach­li­che Aus­druck hier­zu­lan­de, seit der Syn­chron-Kata­stro­phe in die­se Rich­tung merk­wür­dig anmu­ten­der Sät­ze ent­wi­ckelt hat und sich nun das eine mit dem ande­ren, der Hart­hö­ri­ge mit dem Robo­ter im Fackel­zug zum Schei­ter­hau­fen für unse­re Spra­che trifft. 

So wie es bei der Ver­ab­rei­chung von Bier aus der Fla­sche nur um den Alko­hol geht, scheint es bei der Über­set­zung aus dem Eng­li­schen und deren Kon­sum nur mehr um die Infor­ma­ti­on zu gehen, egal in wel­cher Form sie rüber­kommt – wenn man sie ob des ner­vi­gen Kau­der­welschs denn über­haupt rich­tig versteht.

Bei den Fort­schrit­ten, den die Maschi­nen­über­set­zung gemacht, ist es jedoch durch­aus mög­lich, dass nach dem Höhe­punkt der gegen­sei­ti­gen Annä­he­rung auf dem Tief­punkt des Sprach­ge­fühls den Men­schen als Über­set­zer an Qua­li­tät über­ho­len. Was dann wohl pas­sie­ren wird? Wird die brei­te spre­chen­de Mas­se den Robo­ter ihrem lädier­ten bis nicht mehr vor­han­de­nen Sprach­ge­fühl ent­spre­chend kor­ri­gie­ren – oder zie­hen die Robo­ter das rade­bre­chen­de Volk wie­der raus aus dem Sumpf. 

  1. Zumal man die ein­zel­nen Bän­de seit ihrem offi­zi­el­len Able­ben heu­te prak­tisch nach­ge­schmis­sen bekommt. []
  2. Char­lot­te Birch-Pfeif­fer: Pfef­fer-Rösel. Deut­sche Lite­ra­tur von Luther bis Tuchol­sky, S. 53025 (vgl. Birch-Mes­se, S. 40) http://www.digitale-bibliothek.de/band125.htm []
  3. Fried­rich Nietz­sche: Wer­ke und Brie­fe: Drit­te Abhand­lung: Was bedeu­ten aske­ti­sche Idea­le? Fried­rich Nietz­sche: Wer­ke, S. 7309 (vgl. Nietzsche‑W Bd. 2, S. 852) © C. Han­ser Ver­lag http://www.digitale-bibliothek.de/band31.htm []
  4. Was­ser­mann: Cas­par Hau­ser oder Die Träg­heit des Her­zens. Deut­sche Lite­ra­tur von Luther bis Tuchol­sky, S. 561724 (vgl. Was­ser­mann-Hau­ser, S. 105–106) http://www.digitale-bibliothek.de/band125.htm []
  5. Zwei­ter Zeit­raum]: 5. Kapi­tel. Johann Hyr­kan (Fort­set­zung). Geschich­te der Juden, S. 3351 ((vgl. GesJud Bd. 3.1, S. 89) http://www.digitale-bibliothek.de/band44.htm []
  6. Mey­er: Der Schuß von der Kan­zel. Deut­sche Lite­ra­tur von Les­sing bis Kaf­ka, S. 71003 (vgl. Mey­er-SW Bd. 1, S. 90) http://www.digitale-bibliothek.de/band1.htm []
  7. Karl Mays Wer­ke: Deut­sche Her­zen, deut­sche Hel­den. Karl Mays Wer­ke, S. 24950 (vgl. KMW-II.20, S. 404–405) http://www.digitale-bibliothek.de/band77.htm []
  8. »Wo lesen wir unse­re Bücher?« [Wer­ke und Brie­fe: 1930. Tuchol­sky: Wer­ke, Brie­fe, Mate­ria­li­en, S. 7580 (vgl. Tuchol­sky-GW Bd. 8, S. 173) © Rowohlt Ver­lag http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm []
  9. oder hasst, obwohl sie es ein­fach nicht mag oder nur ungern tut []

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