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König Leo­polds Selbst­ge­spräch (5)

Mark Twa­in brach­te 1905 — mit all der ihm gemein­hin zuge­schrie­be­nen Nai­vi­tät — sein Ent­set­zen über die ruch­bar gewor­de­nen Gräu­el zum Aus­druck, die man im Namen des bel­gi­schen Königs Leo­pold II. im Kon­go beging. Er tat dies in Form eines fik­ti­ven Mono­logs, in dem der König sei­ne Hand­lungs­wei­se auf him­mel­schrei­en­de Wei­se zu recht­fer­ti­gen ver­sucht. Ich fra­ge mich, ob sich nach die­sem Mus­ter nicht auch Sati­re auf Putin und Kon­sor­ten schrei­ben lie­ße — nicht weni­ger naiv, aber auch nicht weni­ger wirkungsvoll … 

In die­sem Abschnitt von Leo­polds Soli­lo­qui­um wei­det der bel­gi­sche König sich wei­ter an dem Umstand, dass die Ame­ri­ka­ner ihm, wenn auch unwis­sent­lich, bei der Errich­tung sei­nes bru­ta­len Skla­ven­staats zur Hand gegan­gen sind. Aus­ge­rech­net die »tugend­haf­ten« Ame­ri­ka­ner! Hier scheint natür­lich Twa­ins eige­ne Ansicht über sei­ne Lands­leu­te durch. 

Dann echauf­fiert der Poten­tat sich über die »Whist­le­b­lower« in Gestalt der Mis­sio­na­re, die welt­weit über sei­ne Gräu­el berich­te­ten. So ver­är­gert wie ver­ach­tungs­voll zitiert er aus einem ihrer Pamphlete …

Mark Twa­in

König Leo­polds Selbst­ge­spräch
Eine Ver­tei­di­gung sei­ner Herr­schaft im Kongo

1905

in der Über­set­zung von Bern­hard Schmid © 20231

»Ein Denk­mal zur Ver­ewi­gung mei­nes Namens.« —

[Fort­set­zung von hier]

Gut mög­lich, dass die Yan­kees das jetzt ger­ne zurück­neh­men wür­den, aber sie wer­den fest­stel­len, dass mei­ne Leu­te nicht ohne Grund drü­ben in Ame­ri­ka sind. Aber es besteht ohne­hin kei­ne Gefahr; weder Natio­nen noch Regie­run­gen kön­nen es sich leis­ten, ihre Feh­ler ein­zu­ge­ste­hen. [Mit zufrie­de­nem Lächeln macht er sich dar­an, aus einem Doku­ment mit dem Titel »Bericht von Rev. W. M. Mor­ri­son, ame­ri­ka­ni­scher Mis­sio­nar im Kon­go-Frei­staat« vor­zu­le­sen]

»Ich lege hier­mit eini­ge der vie­len ent­setz­li­chen Vor­fäl­le vor, von denen ich aus per­sön­li­cher Beob­ach­tung Kennt­nis habe; sie ent­hül­len das Sys­tem orga­ni­sier­ter Plün­de­rung und Gräu­el, das König Leo­pold von Bel­gi­en in die­sem bedau­erns­wer­ten Land ein­ge­führt hat und bis auf den heu­ti­gen Tag unter­hält. Ich sage König Leo­pold, weil er, und nur er, dafür ver­ant­wort­lich ist, da er der abso­lu­te Sou­ve­rän ist. Er bezeich­net sich selbst als sol­chen. Als unse­re Regie­rung 1884 durch die Aner­ken­nung sei­ner Flag­ge den Grund­stein für den Frei­staat Kon­go leg­te, konn­te sie nicht ahnen, dass es sich bei die­ser Unter­neh­mung, die unter dem Deck­man­tel der Phil­an­thro­pie ein­her­kam, in Wirk­lich­keit um König Leo­pold von Bel­gi­en han­del­te, einen der raf­fi­nier­tes­ten, herz­lo­ses­ten und gewis­sen­lo­ses­ten Herr­scher, die jemals auf einem Thron geses­sen haben. Und das hat nichts zu tun mit sei­ner allent­hal­ben ruch­bar gewor­de­nen mora­li­schen Ver­derbt­heit, durch die sein Name und sei­ne Fami­lie auf zwei Kon­ti­nen­ten zum Gegen­stand der Ver­ach­tung gewor­den sind. Unse­re Regie­rung hät­te die­se Flag­ge ganz sicher nicht aner­kannt, hät­te sie gewusst, dass es sich in Wirk­lich­keit um König Leo­pold han­del­te, der da um Aner­ken­nung bat; hät­te sie gewusst, dass sie im Her­zen Afri­kas eine abso­lu­te Mon­ar­chie errich­te­te; hät­te sie gewusst, dass sie, die die Ver­skla­vung von Afri­ka­nern in ihrem eige­nen Land mit gro­ßem Auf­wand an Blut und Geld abge­schafft hat, damit eine noch schlim­me­re Form der Skla­ve­rei in Afri­ka selbst einführt.«

[Mit bös­ar­ti­ger Freu­de] Ja, da war ich wohl eine Spur zu schlau für die Yan­kees. Das schmerzt; das wurmt sie. Das kön­nen sie nicht ver­win­den! Und es beschämt sie noch auf eine ande­re, schwer­wie­gen­de­re Wei­se; wer­den sie doch ihre Chro­ni­ken nie von dem Tadel befrei­en kön­nen, dass ihre eit­le Repu­blik, selbst­er­nann­te Für­spre­che­rin und Ver­fech­te­rin aller Frei­hei­ten die­ser Welt, die ein­zi­ge Demo­kra­tie der Geschich­te ist, die ihre Macht und ihren Ein­fluss zur Errich­tung einer abso­lu­ten Mon­ar­chie gel­tend gemacht hat!

»sie lau­fen mit ihren Sor­gen zu ihnen«

[Beäugt mit unfreund­li­chem Blick einen statt­li­chen Sta­pel von Pam­phle­ten] Hol sie der Teu­fel, die­se läs­ti­gen Mis­sio­na­re! Zent­ner­wei­se schrei­ben sie der­lei Zeug. Stän­dig schei­nen sie in der Nähe zu sein, stän­dig am Spio­nie­ren, stets Augen­zeu­gen allen und jeden Gesche­hens; und alles, was sie sehen, brin­gen sie zu Papier. Stän­dig strei­fen sie von Ort zu Ort; die Ein­ge­bo­re­nen betrach­ten sie als ihre ein­zi­gen Freun­de; sie lau­fen mit ihren Sor­gen zu ihnen; sie zei­gen ihnen ihre Nar­ben und Wun­den, die ihnen von mei­nen als Poli­zei ein­ge­setz­ten Sol­da­ten zuge­fügt wur­den; sie hal­ten die Stümp­fe ihrer Arme hoch und kla­gen dar­über, man habe ihnen die Hän­de abge­hackt, als Stra­fe dafür, dass sie nicht genug Kau­tschuk bei­gebracht haben, und als mei­nen Offi­zie­ren vor­zu­le­gen­der Beweis dafür, dass die gefor­der­te Stra­fe ordent­lich und wahr­haf­tig voll­zo­gen wur­de. Einer die­ser Mis­sio­na­re sah ein­und­acht­zig die­ser Hän­de über einem Feu­er trock­nen, um sie mei­nen Beam­ten über­ge­ben zu kön­nen – und natür­lich muss­te er her­ge­hen und alles zu Papier brin­gen und in Druck geben. Sie rei­sen und rei­sen, sie spio­nie­ren und spio­nie­ren! Und nichts ist zu belang­los für sie, um es zu dru­cken. [Nimmt ein Pam­phlet zur Hand. Liest eine Pas­sa­ge aus dem Bericht über eine »Rei­se im Juli, August und Sep­tem­ber 1903 von Rev. A. E. Scri­ve­ner, ein bri­ti­scher Mis­sio­nar«]

» … Als­bald kamen wir ins Gespräch, und die Ein­ge­bo­re­nen erzähl­ten, ohne jede Auf­for­de­rung mei­ner­seits, die Geschich­ten, die mir so ver­traut gewor­den waren. Sie leb­ten in Ruhe und Frie­den, als die Wei­ßen vom See her kamen und aller­lei For­de­run­gen stell­ten, und sie wuss­ten, was das bedeu­te­te – Skla­ve­rei. Also ver­such­ten sie, die Wei­ßen von ihrem Land fern­zu­hal­ten, aber ohne Erfolg. Den Geweh­ren waren sie nicht gewach­sen. So füg­ten sie sich denn und beschlos­sen, aus den ver­än­der­ten Umstän­den das Bes­te zu machen. Zuerst kam der Befehl, Häu­ser für die Sol­da­ten zu bau­en, dem man ohne Mur­ren nach­kam. Dann muss­ten sie die Sol­da­ten und alle Män­ner und Frau­en in deren Beglei­tung ver­pfle­gen. Dann befahl man ihnen, Kau­tschuk bei­zu­brin­gen. Das war etwas ganz Neu­es für sie. Es gab Kau­tschuk im Wald, eini­ge Tage von ihrem Dort ent­fernt, aber dass er etwas wert war, das war ihnen neu. Als man ihnen eine klei­ne Beloh­nung bot, kam es zu einer Art Kau­tschu­k­rausch. »Was für merk­wür­di­ge wei­ße Män­ner, die uns Stof­fe und Per­len für den Saft einer wil­den Ran­ke geben.« Sie freu­ten sich über ihr ver­meint­li­ches Glück. Doch bald sahen sie die Beloh­nung redu­ziert, bis man ihnen schließ­lich sag­te, sie soll­ten den Kau­tschuk umsonst bei­brin­gen. Dage­gen ver­such­te man sich zu sträu­ben; aber zu ihrer gro­ßen Über­ra­schung erschos­sen die Sol­da­ten eini­ge von ihnen; die ande­ren sahen sich unter Flü­chen und Schlä­gen auf­ge­for­dert, auf der Stel­le zu gehen, andern­falls noch mehr von ihnen getö­tet wür­den. Zu Tode erschro­cken, began­nen sie, Lebens­mit­tel für die vier­zehn­tä­gi­ge Abwe­sen­heit von ihrem Dorf vor­zu­be­rei­ten, die zum Sam­meln des Kau­tschuk­safts nötig war. Als sie so dasa­ßen, sahen die Sol­da­ten sie. »Was, ihr seid noch da?« Peng! Peng! Peng! und einer fiel tot um, dann ein wei­te­rer, inmit­ten ihrer Frau­en und Gefähr­ten. Ein furcht­ba­res Weh­kla­gen hebt an, und man ver­sucht, die Toten für die Beer­di­gung vor­zu­be­rei­ten, aber das wird ihnen ver­bo­ten. Alle müs­sen sofort in den Wald. Ohne Nah­rung? Ja, ohne Nah­rung. Und die armen Teu­fel muss­ten sogar ohne ihre Zun­der­büch­sen zum Feu­er­ma­chen los­zie­hen. Vie­le star­ben im Wald an Hun­ger und Unter­küh­lung, und noch mehr durch die Geweh­re der grau­sa­men Sol­da­ten, die für den Außen­pos­ten ver­ant­wort­lich waren. Trotz aller Bemü­hun­gen ihrer­seits ging die Ern­te zurück und es wur­den immer mehr von ihnen getö­tet. Man führ­te mich her­um und zeig­te mir, wo frü­her die gro­ßen Häupt­lin­ge gewohnt hat­ten. Eine vor­sich­ti­ge Schät­zung bezif­fer­te die Bevöl­ke­rung vor, sagen wir mal, sie­ben Jah­ren auf 2000 See­len in und in einem Umkreis von etwa einer Vier­tel­mei­le um den Pos­ten. Heu­te käme man nicht ein­mal mehr auf 200, und es herrscht so viel Trau­rig­keit und Nie­der­ge­schla­gen­heit, dass es rasch noch weni­ger werden.«

[Fort­set­zung hier]

  1. THE P. R. WARREN CO., BOSTON, MASS. 1905, Copy­right, 1905 By Samu­el L. Cle­mens; ein Ori­gi­nal des gemein­frei­en Tex­tes fin­den Sie hier []

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