Bei der Beurteilung von Trumps Chancen, erneut Präsident der USA zu werden, scheint jedes Lager das zu gewichten, was es hören will. So wähnt man hierzulande, wie es scheint, Joe Biden im Rennen um die Präsidentschaft um eine Nasenlänge voraus. Man sollte sich da jedoch nichts einreden und lieber etwas genauer hinschauen, welche Mechanismen da zugange sind. Von Anfang an zugange waren, sollte man besser sagen. Und man wird rasch feststellen, dass bei Trumps Wählerschaft von Anfang an nicht die Vernunft regierte, sondern eher eine Art religiöses Hingezogensein zu einem Mann, der ihr etwas verspricht, von dem sie selbst nicht so genau wissen, was zum Geier das eigentlich ist. Es ist wohl irgendetwas, das sich durch Handauflegen und sonstiges Larifari manifestieren wird. Nicht umsonst ist vielfach von einem »Kult« um Trump die Rede, von einer Art Religion, deren nicht als solcher erkannte Prediger Donald Trump ist …
Der Wiener, so sagt man dem Besucher dort gern, verspreche einem das Blaue vom Himmel, nur holen müsse man es sich selbst. Dasselbe ließe sich von den Brexit-Predigern im Vereinigten Königreich sagen und eben auch von Ober-MAGA-Prediger Donald »The Orange Jesus« Trump. Nur dass der gute alte Wiener Schmäh keine religiösen Züge hat wie die Bewegungen um Brexit oder MAGA. Letztere haben beide eher etwas vom Glauben an die Wiederkehr Christi in den spinnigeren seiner Ausprägungen wie etwa der »Rapture«, der »Entrückung« bei der Wiederkunft Christi 1 nach der »großen Trübsal«. Was in Trumps Fall natürlich voraussetzt, dass man Regierungen der amerikanischen Demokraten, insbesondere die von Obama und Biden als große Trübsal definiert. Was wiederum voraussetzt, dass man Scheuklappen von Scheunentorgröße trägt und sich gegen alles Gute sperrt, was die Regierungen Obama oder Biden erreicht haben bzw. erreichen wollen. Den »Border Deal« etwa, der den Republikanern praktisch alles geben würde, was Ihnen hinsichtlich der Grenze zu Mexiko vorschwebt, und doch von ihnen blockiert wird, nur um der Orange nicht die Wahlkampfmunition zu nehmen …2
Um das nicht zu sehen, braucht es mehr als bloße Blindheit gegenüber der mutmaßlich für alle offensichtlichen Realität. Und auch mit dem Hinweis auf maßlose Dummheit ist es hier nicht getan.
Eine Umfrage unter Trumpwählern von CBS News und yougov vom letzten Jahr (2023) ergab Folgendes: »Man stellte den Trump-Wählern die Frage: ›Glauben Sie, dass das, was folgende Leute Ihnen sagen, wahr ist?‹ Also wie viel Prozent der Trump-Wähler glauben, dass das, was X Ihnen sagt … der Wahrheit entspricht? Sie fragten nach Trump, Freunden und Familie, konservativen Medien und religiösen Führern.
Wer also sagt Ihnen am häufigsten die Wahrheit? Also im Grunde: Wem glauben Sie am ehesten? Trump war die Nummer eins, wenn es darum ging, wem Trump-Wähler am ehesten glauben: Trump, ihren Freunden und ihrer Familie, den Medien und religiösen Führern. Er bekam 71 Prozent, Freunde und Familie nur 63, die Medien 56 und die religiösen Führer weit abgeschlagen mit 42.
Sie nehmen ihn beim Wort, glauben ihm und vertrauen ihm mehr als jedem anderen auf der Welt.«
Und wenn Sie jetzt denken: Moment mal, wenn die religiösen Führern nicht trauen, wie soll das dann eine religiöse Gemeinschaft mit Trump als Oberhaupt sein? Ganz einfach. Trump-Wähler haben keine Ahnung, dass Sie einem Verführer aufgesessen sind und einem Kult angehören. Abgesehen davon dass es dann auch noch die gibt, die Trump als direkt von Gott geschickt sehen.3 Dass ein großer Teil der Trump-Wähler sich durchaus als Christen verstehen, zeugt ja von einer grundsätzlichen Glaubensbereitschaft.4
Diese Leute gehören einer Sekte an, ohne sich dessen bewusst zu sein. Überlegen Sie mal: Die haben doch »gesehen«, wie Donald Trump regiert hat. Vier Jahre lang! Sie haben gesehen, dass ihm nicht zu trauen ist, seine Versprechungen nicht erfüllt hat, dass er nicht zu seinem Wort steht. Wenn sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte wären, würden sie zugeben, dass er nichts weiter als ein Handlanger des Establishments ist – und wenn er zehnmal gegen das Establishment und dessen »Sumpf« kandidiert haben will. Sie müssten doch sehen, und sei es zähneknirschend, dass die große politische Leistung des Mannes eine Steuersenkung für das reichste eine Prozent war, deren Früchte selbstverständlich auch an diese Leute gehen.
Kyle Kulinski bringt dieses blinde, irrationale Festhalten an einem Sektenführer fast schon genial auf den Punkt:
»Da gab’s doch den alten Spruch, wie war das gleich wieder … ›Man kann jemandem einen Glauben nicht über die Vernunft ausreden, den er nicht über die Vernunft angenommen hat.‹«5
Wie anders ließe sich denn auch erklären, dass 2024 – nicht 2016! – die Ansicht, Trump auch als Diktator akzeptieren zu wollen, in den USA zur Normalität geworden ist. Gerade wir Deutschen sollten uns das vor Augen halten, und das gilt umso mehr nach den Enthüllungen von Berlin. Passen Sie mal auf:
»Was wäre Ihnen lieber: ›Vier Jahre Donald Trump als Diktator oder vier weitere Jahre Joe Biden als Präsident? Ich denke, ich entscheide mich für Donald Trump als Diktator für weitere vier Jahre.‹
Hätten Sie lieber vier Jahre lang einen Diktator Trump oder vier Jahre lang eine Präsidentschaft von Biden? ›Vier Jahre mit einem Diktator Trump.‹
›Ich wähle ganz sicher Diktator Trump.‹
Hätten Sie lieber ihn vier Jahre lang als Diktator oder Biden vier Jahre lang als Präsident? ›Ich hätte lieber Donald Trump als Diktator für vier Jahre, auf jeden Fall, ich meine, sehen Sie sich Biden an, er hat nichts anderes gemacht, als dieses runterzuwirtschaften. Ich möchte so einen Präsidenten also nicht für die nächsten vier Jahre haben.‹
Wenn Sie die Wahl hätten zwischen vier Jahren Donald Trump als Diktator oder vier Jahren Joe Biden als Präsident, was würden Sie wählen? ›Donald Trump — Auch als Diktator? — ›Er wäre kein Diktator … ›Nein, nein, aber diese alberne Hypothese mal angenommen … ›Donald Trump, ich würde immer noch Donald Trump sagen, absolut.‹
Hätten Sie lieber Trump als Diktator oder Biden als Präsident? ›Ich hätte lieber Trump als Diktator als Biden, jederzeit. Ist doch irgendwie offensichtlich, wer weiß, was er macht, es gibt keine Diktatur mit Trump. Er sorgt sich, er ist für Amerika … ›Ich meine, er hat gesagt, er würde einen Tag lang Diktator sein.‹ ›Einen Tag lang, ja, aber ich… Ich seh das trotzdem nicht.‹
Hätten Sie lieber vier Jahre Trump als Diktator oder vier Jahre… ›Ich würde lieber acht Jahre Trump haben… ›Nein, nein, ich sage, hätten Sie lieber vier Jahre Trump als Diktator oder vier Jahre Biden als Präsident? ›Äh, Trump als Diktator, der wird uns nicht verkaufen.‹«
Übrigens, wenn Sie hier um der Meinungsbildung willen gelandet sind (ich schreibe das selbst nur aus diesem Grund), gehen vermutlich Sie nicht nach bloßen Äußerlichkeiten, auch wenn der eine oder andere der hier Interviewten definitiv in einen Stephen-King-Film gehört. Ich musste das Hillbilly-Vorurteil selbst revidieren, als ich vor nun schon geraumer Zeit Tennessee Brando entdeckte:
»… und dann kam Donald Trump … und egal, was der Typ gemacht hat, seine Anhänger hielten zu ihm, und ich bin ein Typ, der eine echte Schwäche für eine gute Sekten-Doku hat. Ich habe jedes Buch gelesen, das je über Jonestown geschrieben wurde, und jede Dokumentation über Jim Jones und die Manson-Familie gesehen, die sich auftreiben ließ. Ich war schon immer fasziniert von der Fähigkeit eines Menschen, nicht nur den Verstand einer Person, sondern einer ganzen Gruppe von Menschen zu kontrollieren und sie zu Sachen überreden, die sie sonst nicht tun würden – dass sie so weit gehen, das Leben eines anderen Menschen oder sogar ihr eigenes Leben zu nehmen.«
Sie sehen, bitte nicht nach Äußerlichkeiten urteilen …
Aber Sie können das alles auch bei Psychologen nachlesen, so etwa bei Steven Hassan, der sich in seinem Buch The Cult of Donald Trump eingehend mit eben diesem Kult um die Orange befasst hat. Und da heißt es: »Sektenführer lügen über alles, vom Zustand der Welt bis zur Größe und Hingabe ihrer Anhängerschaft. Meistens erzählen sie Lügen über sich selbst, um ihr Image aufzupolieren.« Okay, das mag mit Donald Trump im Hinterkopf formuliert sein, aber es trifft den Nagel auf den Kopf.
Sektenführer, so schreibt er weiter, bedienen sich einer Vielzahl von »Verwirrtechniken«, deren mit die wichtigste die Bereitstellung einer schlicht schwindelerregenden Menge von Informationen sei, von denen viele so widersprüchlich und falsch sind, dass sie das kritische Denken überfordern, was zum Kurzschluss führt. Und sind Menschen erst einmal überfordert und verwirrt genug, kommen ihnen Zweifel an ihrer Fähigkeit, Wahrheit von Lüge, Richtig von Falsch zu unterscheiden. Das Gefühl für ihre Identität wird und bleibt verunsichert, was es dem Sektenführer ermöglicht, ihnen neue Überzeugungen, Gefühle und Verhaltensweisen einzuprägen. Eine dergestalt verwirrte Person ist leicht zu manipulieren und kontrollieren. Einzelne, die ihren »Führer« mit diesen Widersprüchen konfrontieren, werden bestraft, wenn nicht sogar verbannt, weil sie die Wahrheit gesagt haben.6
Und dass Trump der Weltmeister im Lügen ist, haben wir bereits gesehen.
Anmerkungen:
- Bei der Wiederkunft von Jesus Christus (Parusie) findet eine sog. “Entrückung” statt. Die christliche Gemeinde lebt in der festen Gewißheit, daß Jesus Christus leiblich und sichtbar wieder auf die Erde kommen wird. Quelle ↩︎
- … dass an der Grenze zu Mexiko das reine Chaos herrscht und Biden nichts tut ↩︎
- Sehen Sie hier unter dem Zwischentitel »er ist ein Mann Gottes« ↩︎
- Überlegen Sie, wie viele hierzulande sich als Christen definieren, aber letztlich ein Problem mit Ausländern aller Art haben, was nicht sehr christlich ist. Auf die CDU/CSU-Wählerschaft sei hier nur am Rande hingewiesen. ↩︎
- Gibt es da eine deutschen Entsprechung? Bitte unten in einen Kommentar, falls Ihnen was einfallen sollte. ↩︎
- Frei nach Steven Hassan, The Cult of Donald Trump (2019) ↩︎