Es gibt wohl kaum ein Thema, bei dem Trumps »Flexibilität« (= fundamentale Meinungslosigkeit) zu bestimmten relevanten, potenziell wahlentscheidenden Themen augenfälliger ist als das des Schwangerschaftsabbruchs. Anders gesagt, sein Mäntelchen flattert wie so oft auch hier im Wählerwind. Und sicher, jeder hat ein Recht darauf, seine Meinung zu ändern, ungeachtet seiner persönlichen Gründe dafür, aber in Trumps Fall steht die Änderung seiner »Meinung« eben immer einzig und allein unter dem Primat des Stimmenfangs, und nur um der politischen Macht willen auf eine so private Sphäre wie die der Selbstbestimmung über den eigenen Körper abzuschaffen, ist einmal mehr nichts weiter als typisch für Donald J. Trump.
Wie bei allen Einträgen in diesem herzlich improvisierten Trump-Wörterbuch geht es auch hier um meine spontane Reaktion auf die Angst vor der Wiederwahl eines krankhaft selbstgefälligen, geschäftlich wie politisch unfähigen Schwachkopfs zum mächtigsten Mann der Welt und deren Wirkung auf uns, die wir selbst in Sachen Demokratie wieder mal auf furchtbar wackligen Beinen stehen. Dieser Eintrag unterscheidet sich insofern von den anderen, als ich den Vorwurf befürchten muss, das gehe mich als Mann nichts an. Nun, ich denke, das Thema »Zurück-in-eine-auf-allen-Ebenen-menschenverachtende-autoritäre-Vergangenheit« geht uns alle an. Also sei’s drum.
Ich brauche auf die Sache an sich nicht weiter einzugehen, als es das Verständnis für die einschlägige Situation in den USA erfordert. Es kam 1973, nach langem und zähem Ringen, zu einer Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht des Obersten Gerichtshofs der USA. Sie bestätigte das verfassungsmäßige Recht einer Frau, über Abbruch oder Fortführung ihrer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Diese freie Entscheidung war natürlich nicht absolut, aber der Grundsatz der Selbstbestimmung über Schwangerschaftsabbruch oder nicht war zementiert. Dieses Grundsatzurteil, wohlgemerkt des Obersten Bundesgerichts, firmiert seither unter Roe v. Wade (Roe gegen Wade).
Donald Trump nun brüstet sich im aktuellen Wahlkampf immer wieder damit, dieses Grundsatzurteil 2022 gekippt zu haben:
“Die Tatsache, dass es mir gelungen ist, Roe v Wade ein Ende zu machen, nachdem andere das nach 50 Jahre versucht haben … 50 Jahre haben die’s versucht, ich habe so was noch nie gesehen, sie haben es nicht geschafft … und ich war sogar … es war eine solche Ehre für mich, das zu schaffen.«
»Nun, ich habe etwas geschafft, was niemand für möglich gehalten hat: Ich habe Roe v. Wade abgeschafft, und das hat die Pro-Life-Bewegung in eine sehr starke Verhandlungsposition gebracht.«
»Niemand hat so gute Arbeit geleistet wie ich, einschließlich Roe v. Wade … ich habe es in die [Legislativen der Bundes]Staaten zurückgebracht.«
“Was ich dadurch, dass ich Roe v. Wade gekippt habe, getan habe, von dem alle gesagt haben, dass das unmöglich ist… «
Moderatorin: »Der ehemalige Präsident Donald Trump erntet die Lorbeeren für die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade, womit er das 50 Jahre lang geltende verfassungsmäßige Recht auf Zugang zu Schwangerschaftsabbruch und Gesundheitsversorgung für Frauen aufhob … «
Nur ganz nebenbei: Man beachte bitte, dass er das jeweils unter dem Jubel seiner versammelten Gemeinde sagt.
In der ihm eigenen Großzügigkeit räumte er dabei durchaus Ausnahmen ein: Gefahr für das Leben der Mutter, Vergewaltigung, Inzest.
Wie das jedoch in den einzelnen Bundesstaaten tatsächlich aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Allein die Angst der Ärzteschaft in Bundesstaaten mit besonders enger Auslegung des Abtreibungsverbots hat gefährliche Auswirkungen auf Leben und Gesundheit von Schwangeren bzw. deren Kinder. Aus Angst vor einer Anzeige getraut man sich zum Teil noch nicht einmal mehr, einen Schwangerschaftsabbruch auch nur zu empfehlen.
»Amerika sieht sich vor einer schweren Gesundheitskrise: Schwangere mit Risikoschwangerschaften, die sich in den 21 Bundesstaaten, die für eigene Gesetze gesorgt haben, seit der Oberste Gerichtshof Row versus Wade gekippt hat, mit Notfällen konfrontiert sehen.«
Hier nur eines von zahlreichen Beispielen.
» … unser Interview mit Britney Watts. Sie ist die Frau aus Ohio, die nach einer Fehlgeburt im letzten Herbst wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt wurde. Britney Watts war in der 21. Woche schwanger, als die Ärzte ihr mitteilten, dass ihr Fötus nicht lebensfähig sei. Nach frustrierenden Verzögerungen im Krankenhaus erlitt sie schließlich zu Hause eine Fehlgeburt.«
Diesen Zustand verdanken amerikanische Frauen einem Mann, der 2016 mit dem Versprechen angetreten war, sich um die Gesundheitsfürsorge der Frauen zu kümmern wie kein anderer Präsident vor ihm.
“Ich werd mich so was von gut um die Gesundheitsfürsorge der Frauen kümmern, das werden Sie gar nicht glauben.«
“Sind Sie für eine Bestrafung von Abtreibungen — ja oder nein?”
“Die Antwort lautet, dass es grundsätzlich eine Form der Bestrafung geben muss.”
“Für die Frau?”
“Ja, es muss eine Form von …”
Widersprüche? Fall Sie’s immer noch nicht gemerkt haben: Der Mann hat buchstäblich keinen Plan, wenn es um konkrete Politik geht, er spricht aus, was ihm gerade einfällt und was ihm gerade ins Konzept passt. Immerhin macht er in diesem Wahlkampf eine klare Ansage:
»Ich bin stolz darauf, mehr als jeder andere Präsident in der Geschichte Amerikas pro-life zu sein.«
Seit die Bundesstaaten sich wieder selbst um die Gesetzgebung hinsichtlich von Schwangerschaftsabbrüchen kümmern dürfen, ist es zu drastischen Einschränkungen gekommen, was deren Legalität anbelangt. Einer Studie der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine zufolge haben nach der Dobbs-Entscheidung 14 Staaten ein totales Abtreibungsverbot verhängt – auch im Falle von Vergewaltigungen. Die geschätzte Zahlen; »64.565 Schwangerschaften … davon schätzungsweise 5.586 vergewaltigungsbedingte Schwangerschaften (9 %) in Staaten mit Ausnahmeregelungen für Vergewaltigungen und 58.979 (91 %) in Staaten ohne Ausnahmeregelungen auf, wobei 26.313 (45 %) auf Texas entfielen« mögen hoch gegriffen sein oder nicht, der Streit darüber dauert noch an, aber das Problem ist damit nicht vom Tisch gewischt.
Und jetzt halten Sie sich fest: Mittlerweile wird tatsächlich bereits die Legalität von Verhütungsmitteln diskutiert, wenn nicht gar nicht Frage gestellt. Laut New York Times ist noch nicht aller Tage Abend: »Geburtenkontrolle ist in den Vereinigten Staaten nach wie vor überall gesetzlich erlaubt, obwohl mehrere Bundesstaaten es Ärzten und Apothekern erlauben, Verschreibung oder Abgabe von Verhütungsmitteln zu verweigern … Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die das Urteil Roe v. Wade aufgehoben hat, deutet nicht darauf hin, dass der Gerichtshof frühere Entscheidungen zur Geburtenkontrolle revidieren würde.« Schön und gut, aber allein die Tatsache, dass eine Nation darüber sprechen bzw. Sorgen machen sollte …
Um es noch einmal klar zu Sagen: Donald J. Trump ist verantwortlich für diese Rückschrittlichkeit. Und noch immer bejubeln viele seiner Anhänger sein Back-to-the-Future-Modell. Man kann wirklich nur bange hoffen, dass er es sich mit der Pro-Life-Plattform bei mehr Frauen verdirbt, als er damit zu begeistern vermag.