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Trump-Wör­ter­buch #37: unhinged

Aus dem ange­dach­ten »Trump-Wör­ter­buch« ist ja rasch ein »Trump-Lexi­kon« gewor­den, so fas­zi­nie­rend und beun­ru­hi­gend das The­ma nicht zuletzt auch in Hin­sicht auf die längst auch in Euro­pa ein­ge­schla­ge­ne Marsch­rich­tung gen Rechts­au­ßen ist. Den­noch möch­te ich hier zur Abwechs­lung mal auf die ursprüng­li­che Absicht mei­ner Blog-Serie, will sagen, auf besag­tes »Trump-Wör­ter­buch«, zurück­kom­men, und das aus fol­gen­dem Grund. Nach Sich­tung zahl­lo­ser Zei­tungs­ar­ti­kel und kom­men­tier­ter Clips über Anspra­chen und Aus­sa­gen des ehe­ma­li­gen und ver­mut­lich auch nächs­ten Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten scheint mir kaum eine Eigen­schaft öfter erwähnt, kaum ein Adjek­tiv zur Beschrei­bung die­ser Eigen­schaft öfter zu fal­len als das Wört­chen »unhin­ged«. Des­halb soll­ten wir hier etwas näher auf die­ses aus­sa­ge­kräf­ti­ge Adjek­tiv und, da es zu den Wör­tern gehört, für die das Deut­sche kei­ne hun­dert­pro­zen­ti­ge Ent­spre­chung hat, auch auf sei­ne Über­set­zung eingehen.

Las­sen Sie mich für den Anfang drei Zita­te her­aus­neh­men, die sich alle auf Trump oder sein zuneh­mend bizar­res Ver­hal­ten bezie­hen: »I think he’s the most fla­wed can­di­da­te in my life­time … he is not as enter­tai­ning as he once was, he’s more unhin­ged than he ever was, more extre­me, …«1 Das mein­te Kali­for­ni­ens demo­kra­ti­scher Gou­ver­neur Gavin News­o­me, der sich für Joe Biden stark macht. »How sur­pri­sed are you that after his many legal ent­an­gle­ments and unhin­ged rhe­to­ric, Trump is steam­rol­ling his way to the Repu­bli­can nomi­na­ti­on?«2 Das ist die Fra­ge einer besorg­ten Jour­na­lis­tin auf MSNBC. Und die fol­gen­de Beob­ach­tung stammt von Ken Har­bough, einem Kult-Exper­ten: »Trump cam­paign events have beco­me vicious feed­back loops with Trump fee­ding the para­noia of the crowd and they in turn fue­ling his own unhin­ged rants.«3 Man fragt sich natür­lich, wie man das über­set­zen könn­te. Und wie so oft wenn sich die Über­set­zung als pro­ble­ma­tisch gestal­tet, stellt sich auch hier die Fra­ge: Liegt das eher an der Fül­le der Mög­lich­kei­ten oder in einem Man­gel daran? 

Was zunächst schon mal dar­auf zurück­zu­füh­ren ist, dass das Adjek­tiv »unhin­ged« nicht eben neu ist. Abge­lei­tet von »hin­ge«, der »Angel« einer Tür oder eines Fens­ters, bezeich­net das Verb »to unhin­ge« den Vor­gang dazu: »aus den Angeln heben« und »unhin­ged« dann ist logi­scher­wei­se das Ergeb­nis die­ses Kraft­akts: »aus den Angeln« oder im wei­te­ren Sin­ne »in Unord­nung« oder »aus den Fugen«. Das Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry führt als Erst­be­leg dafür Dani­el Defoes 1719 erschie­ne­nen Aben­teu­er­ro­man Robin­son Cru­soe auf, des­sen Titel­held damit sei­ne Lebens­um­stän­de auf sei­ner ein­sa­men Insel beschreibt. Sein Leben ist durch den Schiff­bruch fast buch­stäb­lich aus den Angeln geho­ben, sei­ne Welt ist aus den Fugen. Der Erst­be­leg für die bild­haf­te, also über­tra­ge­ne Bedeu­tung jedoch, nach der uns hier ist, wird auf 1732 datiert, was nicht heißt, dass es sie nicht eben­falls bereits län­ger gab, sie ist ja nur eine logi­sche Über­tra­gung des kon­kre­ten Zustands auf den Ver­stand: »geis­tig zer­rüt­tet«, »ver­rückt«. Und die Kon­no­ta­tio­nen, sprich das, was man sich dabei vor­stellt, gehen weit über ein blo­ßes »Verwirrt­sein« hin­aus. Wenn Joe Biden aus sei­nem Hub­schrau­ber steigt und dann, unten ange­kom­men, plötz­lich kehrt macht und auf das metal­le­ne Unge­heu­er zugeht, weil er nicht mehr weiß, wo er ist, so dür­fen wir das als »geis­tig ver­wirrt« (und bei einem Prä­si­den­ten der USA als durch­aus beängs­ti­gend) bezeich­nen. Um »unhin­ged« zu sein, müss­te er ver­mut­lich mit dem Hub­schrau­ber reden oder gar auf ihn ein­schimp­fen. Oder das Teil, wie Trump das in die­sem Fall gemacht hät­te, strei­cheln und von einer schö­nen Maschi­ne faseln, der er selbst gebaut hat und die ihn mag. Das Adjek­tiv kon­no­tiert mit ande­ren Wor­ten eher, dass einer »spinnt«. Alles klar?

Somit trifft »unhin­ged« recht gut das kon­fu­se Gefa­sel Donald Trumps. Nun sind aber die in Eng­lisch-Deut­schen Wör­ter­bü­chern seit jeher ange­bo­te­nen Über­set­zun­gen – wie besag­tes »geis­tig zer­rüt­tet« – doch schon recht ange­staubt. Das gute alte »ver­rückt« trä­fe es natür­lich durch­aus, aber damit über­setzt man in der Regel »cra­zy«. Wobei, neben­bei bemerkt, das neu­deut­sche »cra­zy« hier viel­leicht gar nicht so ver­kehrt wäre. Auch das durch­aus betag­te »hirn­ver­brannt« böte sich für sei­ne Ideen eben­so an wie das neue­re »hirn­ris­sig«, das ange­fan­gen von den 1970ern sei­ne gro­ße Zeit in den Acht­zi­gern und Neun­zi­gern zu haben schien. Gefühlt könn­te man ver­mut­lich getrost etwas umgangs­sprach­li­cher zu Wer­ke gehen. Auf der ande­ren Sei­te hört man »unhin­ged« natür­lich vor allem in den Nach­rich­ten. Wie sieht es da mit »abge­dreht« aus, trä­fe es da eher »gestört«? »Über­ge­schnappt«? Sind »bescheu­ert« oder »durch­ge­knallt« da zu flap­sig? »Beknackt«, »dep­pert«, »idio­tisch«, »schwach­sin­nig«, even­tu­ell auch »irre« oder »sel­ten däm­lich«. »Aus­ge­tickt« trä­fe es viel­leicht auch ganz gut. Im Fal­le von Trump ver­mut­lich auch total »ver­peilt«.

Wie gesagt, was woll­te man Nach­rich­ten­spre­chern in den Mund legen? Nicht dass man hier­zu­lan­de aus deren Mund nicht auch »hip­pen« Wort­schatz hört. Aber wie auch immer, es müss­te sowohl auf den Typ selbst pas­sen als auch auf sein Ver­hal­ten, sei­ne Rhe­to­rik und sei­ne Ideen. Da wäre es sicher inter­es­sant, mal hun­dert Fund­stel­len ein­zeln durch­zu­ge­hen. Aber ver­mut­lich nur für Sei­fen­sie­der wie mich. Irgend­wie mag ich »durch­ge­knallt« am liebs­ten. Die »durch­ge­knall­te Oran­ge« – damit hat­te ich die Rei­he hier auch ange­fan­gen. Oder ein­fach »irre«.

Nur, Über­set­zung hin oder her, durch­ge­knallt oder nicht, sol­che Leu­te mögen, zumin­dest in ihrer spin­ni­gen Vari­an­te, hier und da mal ganz komisch sein, aber in der Poli­tik schei­nen sie mir eher gefähr­lich. Haben wir im Augen­blick nicht genü­gend Bei­spie­le für sol­che Typen? Wo man auch hin­sieht: Mos­kau, Tel Aviv, Peking, Tehe­ran, Kabul, Pjöng­jang … Und Trump wäre womög­lich das Streich­holz in die­se hoch­ex­plo­si­ve Welt. Und wenn Sie jetzt den­ken, sei­ne ers­te Amts­zeit sei ja nur halb so wild gewe­sen, wir haben sie über­stan­den, dann ver­ges­sen Sie, dass da noch Wär­ter im Wei­ßen Haus waren, die uns vor dem Schlimms­ten bewahr­ten. Sie soll­ten sich unbe­dingt noch mal mei­nen Arti­kel über das Pro­ject 2025 anse­hen – in einer zwei­ten Amts­zeit wird es in sei­ner Anstalt kei­ne Wär­ter mehr geben …

Aber um auf das Über­set­zungs­pro­blem zurück­zu­kom­men. Einen Begriff zu über­set­zen, gestal­tet sich im kon­kre­ten Fall doch immer etwas kom­pli­zier­ter; kaum etwas lässt sich in jedem Fall so ein­fach über den im Wör­ter­buch gefun­de­nen Kamm scheren. 

»Ich glau­be nicht, je einen Kan­di­da­ten mit so vie­len Feh­lern und Schwä­chen erlebt zu haben … er hat sei­nen Unter­hal­tungs­wert ver­lo­ren, er ist irrer, extre­mer denn je …«

»Wie über­rascht sind Sie, dass Trump trotz all sei­ner juris­ti­schen Pro­ble­me und sei­ner völ­lig gestör­ten Äuße­run­gen unauf­halt­sam auf die repu­bli­ka­ni­sche Nomi­nie­rung zugeht?«

»Trumps Wahl­kampf­ver­an­stal­tun­gen sind zu per­fi­den Kopp­lungs­schlei­fen gewor­den, bei denen Trump die Para­noia der Men­ge anheizt und die­se wie­der­um sei­ne eige­nen gestör­ten Tira­den schürt.« 

In Stein gehau­en ist das frei­lich nicht … 

Anmer­kun­gen

  1. Gavin News­o­me bei Alex Wag­ner, »‘He is dama­ged goods.’ Gavin News­om asses­ses Trump’s flaws and the key issues for 2024.« ↩︎
  2. Alex Witt, MSNBC. »There’s an ava­lan­che about to hit him’ Fmr. Trump insi­der on mas­si­ve legal bills« ↩︎
  3. Ken Har­bough, »TOP Cult Expert CONFRONTS Trump Cult, Expo­ses Brain­wa­shing Methods«. ↩︎

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